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Michael Preetz, 48, ist Rekordtorschütze von Hertha BSC. Er ist mit dem Verein 1997 als Spieler in die Bundesliga aufgestiegen, schaffte es zwei Jahre später mit der Mannschaft in die Champions League und wurde 2009 Manager des Klubs. In nunmehr 20 Jahren bei Hertha BSC steht Preetz jetzt zum ersten Mal im Halbfinale des DFB-Pokals.

© imago/Camera 4

Hertha BSC vor Halbfinale im DFB-Pokal: Preetz: "Wir brauchen gegen Dortmund totale Hingabe"

Hertha-Manager Michael Preetz über seine Erfahrungen mit dem DFB-Pokal, das Spiel gegen Borussia Dortmund und Anfield in Berlin.

Herr Preetz, Sie dürften einer der wenigen im Verein sein, die sich noch lebhaft an das letzte Pokalfinale von Hertha BSC erinnern können.

Echt?

Als Düsseldorfer?

Okay. Jetzt hab ich’s verstanden. Stimmt. Aber lebhaft? Sagen wir: Ich kann mich erinnern.

Hertha hat das Finale 1979 0:1 gegen Fortuna Düsseldorf verloren. Wissen Sie noch, wo Sie das Spiel gesehen haben?

Ich nehme an, dass ich mir das mit meinen Eltern zu Hause angeschaut habe. Aber an das Spiel an sich habe ich keine Erinnerung mehr. Komisch eigentlich. Das WM-Finale 1974 ist mir noch sehr präsent, obwohl das ja ein paar Jahre vorher und ich entsprechend jünger war. Ich weiß noch, dass ich da zwischendurch immer rausgerannt bin, um selber zu spielen. Zum Finale von 1979 habe ich noch in Erinnerung, dass ich am nächsten Tag am Rathaus stand und der Mannschaft zugejubelt habe, als sie mit dem Pokal kam.

Sie waren also großer Fan der Fortuna.

Ich bin in Düsseldorf geboren, dort groß geworden und da logischerweise auch ins Stadion gelaufen, um Bundesliga-Fußball zu sehen. Ich stand regelmäßig im damals berüchtigten R-Block. Das ist eine ganz normale Sozialisation.

Das Pokalfinale gegen Hertha wurde in der 116. Minute durch ein Tor von Wolfgang Seel entschieden. Das Bild, wie er danach an der Eckfahne in die Knie sinkt, kennt vermutlich jeder Fortuna-Fan.

Wenn wir so etwas schaffen würden, würde es auch bei uns Protagonisten geben, die ein Leben lang oder ewig in Erinnerung bleiben würden. Dafür taugt diese Szene mit Wolfgang Seel. Als Berliner erinnert man sich eher an die verunglückte Rückgabe von Uwe Kliemann zu Norbert Nigbur, die dem Tor vorausgegangen ist.

Fortuna war in Ihrer Teenagerzeit eine richtige Pokalmacht, stand dreimal hintereinander im Finale und hält mit der Serie von 18 gewonnenen Spielen den Rekord im Pokal. Sie sind also mit der Gewissheit groß geworden, dass es normal ist, im Pokal erfolgreich zu sein.

Das hat sich dann aber leider nicht über meine Karriere gerettet (lacht).

Wie sind Sie denn mit dem regelmäßigen Scheitern Herthas im Pokal umgegangen. Mit Sarkasmus? Fatalismus?

Das hat es alles schon gegeben. Ich glaube aber, dass unsere Pokalhistorie gar nicht so ungewöhnlich ist. Man findet wahrscheinlich aus dem Stand etliche Bundesligisten, denen es ähnlich ergangen ist. Unsere Situation ist nur insofern besonders, als das Finale jedes Jahr hier in unserem Stadion stattfindet. Dadurch blickt man natürlich anders auf unsere Pokalspiele. Seit 1985 ist das Finale in Berlin, seit 1996 bin ich bei Hertha, und seit 1996 nehme ich in unterschiedlicher Form Anlauf, eine andere Pokaltradition zu begründen.

Gab es auch Momente der Resignation?

Resignation hilft dir im Sport nicht. Aber es gab immer wiederkehrende Momente, wo du gesagt hast: „Das kann eigentlich nicht wahr sein.“ Und zwar eindeutig zu viele. Du kannst gegen Borussia Mönchengladbach im Viertelfinale ausscheiden, auch wenn es superunglücklich war. Aber in Koblenz, in Kiel, in Worms und wo wir überall waren – das ist schon bitter. Oder 2002 das Viertelfinale gegen den 1. FC Köln, im Olympiastadion. Köln war Letzter. Es war ein widerlicher Tag, kalt, nass, schlechtes Spiel – aber wir führen 1:0. Und dann kassieren wir kurz vor Schluss durch einen Weitschuss den Ausgleich und in der Verlängerung das 1:2. Dass das bitter ist, weißt du schon beim Abpfiff. Aber erst im Nachhinein bekam das eine richtig große Relevanz. Als dir klar wurde: Mann, das war eigentlich das Halbfinale! Wir hatten damals eine Mannschaft, die jedes Jahr international gespielt hat. Die Wahrscheinlichkeit, bis zum Ende durchzukommen, war also gar nicht mal so gering. Und das haben wir leichtfertig aus der Hand gegeben.

Es scheint aber auch Mannschaften zu geben, die im Pokal besser sind als in der Liga.

Es scheint so etwas zu geben, ja. Es gibt Typen und Mannschaften, die dafür stehen. Werder Bremen fällt mir da ein. Die waren schon früher eine Pokalmannschaft. Jetzt stecken sie in der Liga in Abstiegsgefahr und haben trotzdem wieder das Halbfinale erreicht. Da wird es ein Charakteristikum geben. Es ist aber unstrittig, dass das bisher nicht auf Berlin zutraf.

Was ist in diesem Jahr anders?

Wir haben uns nicht nur vor dieser Saison überlegt, wie wir uns mit dem Thema Pokal auseinandersetzen können, damit es vielleicht anders in die Köpfe der Spieler gelangt. Deswegen werde ich jetzt auch nicht behaupten: Das hat in diesem Jahr perfekt funktioniert. Aber es ist zum Beispiel so, dass wir schon ab der ersten Runde eine Prämie bezahlt haben. Das haben wir vorher nie gemacht. Weil die erste Runde normalerweise für einen Bundesligisten gegen einen kleinen Amateurverein einfach Pflicht sein sollte.

Hat die Mannschaft diesen monetären Anreiz wirklich benötigt?

Darum geht es gar nicht. Aus meiner aktiven Zeit weiß ich, dass jeder das Geld zwar gern nimmt. Aber es macht nicht wirklich den Unterschied. Das ist Quatsch. Doch möglicherweise kann man damit noch einmal verdeutlichen: Das Thema ist uns wirklich wichtig. Wir wollen das in eure Köpfe tragen. Wenn es hilft und das Bewusstsein schärft, dann versuchen wir es eben. Oder dass der Trainer vor der Saison sagt: „Ich möchte ins Pokalfinale. Das ist mein Traum.“ Auch da passiert ja was in den Köpfen der Spieler.

Hat Pal Dardai Sie gefragt, ob er das öffentlich aussprechen darf?

Nein, hat er nicht. Aber als wir vor der Saison über unsere Ziele gesprochen haben, hat man gemerkt, dass ihn das umtreibt, dass das für ihn eine echte Herzensangelegenheit ist. Er hat aber nicht gesagt: „Ich will das Ding gewinnen.“ Er hat gesagt: „Wir wollen in dieses Finale.“ Das unterschreibt jeder hier im Verein. Du kannst im Pokalwettbewerb eigentlich auch nur ein Ziel haben. Das ist ein K.-o.-Wettbewerb. Da willst du so weit wie möglich kommen, idealerweise ins Finale.

Ärgern Sie sich nicht, dass Sie das Finale nicht schon früher als Ziel ausgegeben haben? Es scheint ja zu klappen.

Man sollte nicht glauben, es hätte nur daran gelegen. Man kann auch nicht sagen: Wir legen jetzt eine Schablone auf diese Saison, und dann erreichen wir jedes Jahr das Halbfinale. Aber ich finde es dem besonderen Stellenwert des DFB-Pokals angemessen, dass man sich besondere Gedanken macht. Und wenn aus dieser Saison so etwas wie ein Pokalspirit innerhalb dieser Truppe erwächst, der sich vielleicht auch auf weitere Generationen überträgt, wäre das schön. Neben Losglück und Tagesform brauchst du auch die Fähigkeit, im Kopf total umzuschalten auf diesen Wettbewerb und alles abzurufen. Das wird in Zukunft genauso sein. Und dafür würde es ohne Frage helfen, wenn wir etwas Außergewöhnliches erreichen.

Dardai hat erzählt, wie frustrierend es für ihn war, am Tag des Finales durch Westend zu spazieren und die fremden Fangruppen zu sehen. Ist es Ihnen ähnlich gegangen?

Ich wohne zum Glück etwas weiter weg vom Olympiastadion und komme immer mit dem Auto (lacht). Aber ich kenne dieses Gefühl. Im Stadion denke ich immer: „Was wäre das für ein einmaliges Erlebnis?“ Ich finde die Atmosphäre im Pokalfinale außergewöhnlich. Ich habe das WM-Finale hier im Olympiastadion gesehen, das Champions-League-Finale, aber das Pokalfinale steht noch mal darüber.

Was macht das Pokalfinale für Sie aus?

Da treffen 45- bis 50 000 richtige Fans aufeinander. Genau die, die bei ihren Klubs für die Stimmung verantwortlich sind. Es ist klar, dass das ein unvergleichliches Spektakel ist. Bei einem Länderspiel, wo Fußballinteressierte hingehen und nicht nur die Fans aus der Kurve, hast du das so nicht. Ich finde auch, dass die Lautsprecheranlage an diesem Tag etwas anders aufgedreht ist, als es bei uns der Fall ist. Das Olympiastadion sagt immer: Das ist nicht so. Ich bin sicher: Es ist so (lacht). Das Flair … Ich finde, da kriegst du Gänsehaut. Das ist elektrisierend. Das wäre zu schön, wenn wir das mal erleben dürften.

Ist der Ausgang schon fast egal, wenn man es tatsächlich mal ins Finale geschafft hat?

Heute würde ich sagen: ja. Aber es ist auch klar, dass ich das nach einem erfolgreichen Halbfinale anders sehen würde. Jetzt zählt nur dieser Mittwoch. Das ist ein besonderer Moment für die Stadt; dem fiebern die Leute entgegen. Das wird man hören, und es wird an uns liegen, diesen Eindruck auf den Gegner zu transportieren.

Wäre Ihnen der Pokalsieg wirklich wichtiger als die Champions-League-Teilnahme?

Finanziell würde die Champions League den größten Unterschied machen und den Verein wirtschaftlich am weitesten nach vorne bringen. Aber emotional wäre der Pokalsieg, oder schon der Finaleinzug, für uns von enormem Nutzen. Weil es nach langen Jahren auch darum geht, mal wieder etwas zu kreieren, das verbindet. Etwas, das bleibt, einen außergewöhnlichen Triumph. Nicht nur den Ligapokal, den man sich in den Briefkopf schreiben kann, der aber keine Relevanz hat. Wir hören seit hundert Jahren überall: „Wir fahren nach Berlin.“ Und jedes Mal denken wir: „Wir sind doch schon da.“ Jetzt lass uns das mal im eigenen Stadion ziehen.

Wann hatten Sie in dieser Saison erstmals das Gefühl: Diesmal könnte etwas gehen?

Nürnberg war so ein Spiel. Ich habe selten so entspannt ein Spiel angeschaut wie dieses. Weil wir es total kontrolliert haben und einer Zweitliga-Spitzenmannschaft überhaupt keine Chance gelassen haben. Das hat mir das Gefühl gegeben: Wenn wir ein bisschen Losglück haben, können wir weit kommen. Das war ja dann auch so.

Den nächsten Gegner Heidenheim hat Pal Dardai sogar als Geschenk bezeichnet.

Da sagt eigentlich jeder: „Das kannst du doch nicht machen, weil die das nur zusätzlich motivieren wird.“ Aber wir hätten im Viertelfinale eben auch nach Leverkusen fahren können, nach München oder Dortmund. Das Spiel in Heidenheim war untypisch für Hertha. Als wir nach zwei Minuten 0:1 hinten lagen, haben sich wahrscheinlich ganz viele an Koblenz oder Worms erinnert gefühlt, nur in einer anderen Runde. Aber dann hat die Mannschaft gezeigt, wie sie gereift ist in dieser Saison, und am Ende souverän gewonnen.

  Arminia Bielefeld, FSV Frankfurt, 1. FC Heidenheim – das ist eigentlich genau die Kategorie Gegner, gegen die sich Hertha in der Vergangenheit immer blamiert hat.

Auf der einen Seite ist diese Pokalsaison ein Beleg dafür, dass dich ein bisschen Losglück in eine solche Situation bringen kann, weil das – in Anführungsstrichen – nur Zweitligisten waren; auf der anderen Seite wissen wir, dass es in einem Spiel auch mal möglich ist, gegen einen Zweitligisten auszuscheiden. Dafür waren wir in den letzten Jahren der lebende Beweis. Wir hatten auch in dieser Saison schwierige Momente. Der Anpfiff in Bielefeld war keineswegs sorgenfrei, weil die alte Saison weder im Klub noch in der Stadt verarbeitet war. Und beim FSV Frankfurt haben wir mindestens gewackelt. Wir haben aber die Köpfe oben behalten und uns nicht ablenken lassen. Die Mannschaft hat es geschafft, sich in den entscheidenden Momenten anders zu fokussieren. Das ist der Grund, warum wir endlich mal ein Halbfinale bestreiten dürfen.

Hatten Sie von den drei Klubs einen Wunschgegner fürs Halbfinale?

Der erste Wunsch war ein Heimspiel. Wenn du dann Werder Bremen kriegst, wirst du dich nicht beschweren. Aber wir wollten natürlich nicht nach Dortmund oder München. Insofern: Alles gut. Als wir als Erster aus dem Topf gezogen wurden, waren wir glücklich.

Und als Ihnen Dortmund zugelost wurde?

Die Dortmunder haben eine unglaubliche Erfahrung im Umgang mit diesen Halbfinals und leider ja auch einen sehr positiven in den letzten Jahrzehnten. Das haben sie unserer Mannschaft voraus. Aber wir müssen versuchen, uns daran zu erinnern, was wir im Februar hier gegen Dortmund gespielt haben und was das mit den Spielern gemacht hat.

Beim 0:0 in der Bundesliga.

Die Mannschaft hat gesehen, wie eng es in einem Spiel sein kann und dass wir Chancen hatten, dieses Spiel zu gewinnen. Wenn wir dieses Ergebnis noch mal hinkriegen, wären wir schon in der Verlängerung – das würden wir auch unterschreiben heute.

In welchem Zustand ist der Rasen?

Der wird in einem ausgezeichneten Zustand sein. Es wird nach dem Spiel keinen Grund für Thomas Tuchel geben, über den Rasen zu reden.

Was wird Hertha der Routine der Dortmunder entgegensetzen?

Leidenschaft. Wir brauchen eine totale Hingabe, wie sie in einem Halbfinale im eigenen Stadion nur angemessen ist. Und wir brauchen eine großartige Unterstützung von den Rängen. Aber ich bin sicher, dass wir die haben werden. Dann kann das funktionieren. Dass wir Außenseiter sind, ist klar. Aber ich hoffe sehr, dass man sehen kann, dass es in einem Spiel möglich ist. Und dass es uns gelingt, das Momentum dieser Pokalsaison zu nutzen.

Kann das Olympiastadion zu Anfield werden?

Wir hätten nichts dagegen. Ich glaube, dass es zumindest einen ähnlichen Geist geben muss. Die Mannschaft braucht einen besonderen Spirit. Ich bin auch sicher, dass wir den haben werden. Und dieses Spiel taugt möglicherweise für den einen oder anderen dazu, sich in dieser Nacht unsterblich zu machen.

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