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Hertha Favre

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Hertha BSC: Wo ist die Linie?

Hertha BSC erfüllt die Ansprüche von Trainer Favre noch nicht. Im Winter soll aufgerüstet werden. Mit neuen Spielern soll sich die Mannschaft den Saisonzielen annähern.

Berlin - Zum Abschluss einer ausgiebigen Experimentierphase ist Lucien Favre dann doch wieder am Ausgangspunkt angekommen. Im letzten Spiel der Vorrunde versetzte der Trainer von Hertha BSC Josip Simunic aus dem defensiven Mittelfeld zurück auf seinen alten Platz in die Innenverteidigung, und nach einer starken Darbietung des Kroaten beim 0:0 gegen Bayern München beschlich Favre die Erkenntnis: „Die Position ist besser für Joe und für die Mannschaft.“ Was das für die künftige Besetzung in der Innenverteidigung bedeute, wurde der Trainer des Berliner Fußball-Bundesligisten gefragt. „Es bedeutet nichts“, antwortete er. In Wahrheit bedeutet es, dass Favre ein Problem gelöst hat und sich mindestens zwei neue auftun.

Das ist keine neue Erfahrung für den Schweizer, der gerade sein erstes halbes Jahr als Trainer bei Hertha hinter sich hat. Es wird als ein Halbjahr in Erinnerung bleiben, das vom Prinzip Versuch und Irrtum geleitet war. Nichts verdeutlicht dies besser als die Personalie Josip Simunic. Jahrelang hat der Kroate bei Hertha in der Innenverteidigung gespielt, doch weil Favre für die beiden zentralen Positionen in der Abwehr drei Bewerber zur Verfügung standen, musste der Kroate ins Mittelfeld vorrücken. Am Ende durfte Simunic zurück in die Abwehr, dafür wich Arne Friedrich wieder auf die rechte Seite aus; einzig der dritte Kandidat, Favres Landsmann Steve von Bergen, hatte seinen Platz in der Innenverteidigung immer sicher.

„Ich habe viel probiert“, lautete in den vergangenen Wochen Favres Lieblingssatz. Seine Experimentierlust beschränkte sich nicht allein auf die Defensive, sie betraf alle Ressorts: das Mittelfeld genauso wie den Sturm, und vermutlich wird diese Phase nach der Winterpause eine Fortsetzung finden. Herthas Manager Dieter Hoeneß hatte Favre im Sommer nach Berlin geholt, weil der in Zürich bewiesen hatte, dass er eine Mannschaft formen und ihr eine klare Linie verpassen kann. Eine Linie aber ist in Berlin bisher nicht zu erkennen. „Wir haben sehr inkonstant gespielt“, sagte Kapitän Friedrich. „Wir haben relativ stark angefangen und sehr stark nachgelassen.“

Favres Arbeit war viel zu sehr von der Notwendigkeit des Augenblicks geprägt: Gegen die Bayern ermauerte sich die Mannschaft mit archaischen Mitteln ein 0:0. „Es war in unserer Situation das, was wir erreichen konnten“, sagte Manager Hoeneß. Und das, was die Mannschaft erreichen musste, um den Jahresabschluss halbwegs versöhnlich zu gestalten. „Die Hinrunde hätte besser sein können“, fand Verteidiger Malik Fathi. „Aber wir fallen genau in den Punktebereich, in dem uns viele Experten vor der Saison gesehen haben.“ Das Unentschieden gegen die Bayern wirkte nach den jüngsten Enttäuschungen sogar wie ein Stimmungsaufheller. Erstaunlicherweise war es Favre, der das allgemeine Hochgefühl relativierte. „Das ist kein Sieg“, sagte er. „Wir können nicht zufrieden sein.“

Der Trainer hat immer noch andere Ansprüche, vor allem in spielerischer Hinsicht. Diese Ansprüche kann die Mannschaft in ihrer jetzigen Besetzung allerdings nicht befriedigen. „Es fehlt uns Schnelligkeit, mit und ohne Ball“, sagt Favre. „Das Umschalten muss viel schneller gehen.“ Vor allem die Verletzung des Brasilianers Lucio hat sich nachteilig auf das Gleichgewicht innerhalb der Mannschaft ausgewirkt. Hinzu kommt, dass Lucios Landsmann Gilberto laut Favre „sechs Monate komplett platt“ war und „nicht mit Qualität gespielt“ hat.

Bis Ende Januar hat Hertha nun die Gelegenheit, den Kader so zu ergänzen, dass er stärker auf Favres Vorstellungen zugeschnitten ist. In der letzten Transferperiode im Sommer konnte der Trainer kaum Einfluss nehmen, er musste mit den Spielern zurechtkommen, die weitgehend von Manager Dieter Hoeneß verpflichtet worden waren. Dabei ist eine kluge Transfertätigkeit für Favre der entscheidende Schlüssel für das Fortkommen einer Mannschaft.

„Wir dürfen keinen Fehler machen“, sagt Herthas Trainer vor der neuen Transferperiode. „Du musst dir Zeit nehmen, die Spieler, die du haben willst, gut studieren und analysieren.“ Es gibt viele Parameter, die stimmen müssen: Position, Qualität, Größe, auch der Charakter und die Mentalität des Spielers. Bei einem Kandidaten weiß Favre auch ohne intensive Nachrecherche, was ihn erwarten würde. Mit dem Brasilianer Raffael hat er schon beim FC Zürich zusammengearbeitet, bereits im Sommer wollte er den Stürmer nach Berlin holen. Herthas Interesse besteht nach wie vor, am Wochenende verhandelte Manager Hoeneß mit Zürichs Vereinsführung. Allerdings verlangt Favres früherer Klub sechs Millionen Euro Ablöse für Raffael.

Der Preis ist wohl eher als Verhandlungsbasis anzusehen, für einen Spieler dieser Qualität sind vier Millionen Euro realistisch. Aber selbst das überschreitet das Budget von drei Millionen Euro, das den Berlinern in diesem Winter für Neuverpflichtungen zur Verfügung steht – für sämtliche Neuverpflichtungen. Neben einem Stürmer sucht Hertha aber auch noch einen Verteidiger und einen Ersatz für den verletzten Lucio. „Es wird schwierig für uns“, sagt Lucien Favre zu Meldungen, dass der Transfer Raffaels schon perfekt sei. „Ich bin nicht sicher, dass es klappt.“

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