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Hand in Hand. Braunschweigs Mannschaft hat immer öfter Grund, nach Spielschluss mit den Eintracht-Fans zu feiern.

© dapd

Eintracht Braunschweig: Gebrüllte Moderne

Eintracht Braunschweig hat die Mythen vertrieben und den Ruin verhindert – und bastelt nun an seiner Zukunft.

Wenn die Stadionuhr die 67 zeigt, werden sie wieder singen. Wie bei jedem Heimspiel stimmen die Fans von Eintracht Braunschweig in der 68. Minute ihren Gedenkgesang an, „Deutscher Meister, in den Farben Gelb und Blau, 1967, das war unser BTSV“. Die Gegenwart, das Zweitligaspitzenspiel gegen Hertha BSC, ist dann einen Moment egal. Über 20.000 Fans in der ausverkauften Arena besingen die glorreiche Vergangenheit, davon kann sich keiner lösen, und die Tradition brüllt in der Löwenstadt.

Von der Hamburger Straße aus kommend ist von Stadion und Tradition nichts zu erkennen. Zu sehen sind nur Baugerippe; Bagger schaufeln, Sägen kreischen, Presslufthämmer dröhnen. Doch hinter den Kränen verraten schräge Flutlichtmasten, dass hier ein Fußballverein an seiner Zukunft baut. Eine neue Geschäftsstelle, Tribünen und VIP-Logen entstehen, mit öffentlichen Mitteln. Eine Bürgerbefragung gewährte sie 2011 dem damaligen Drittligisten, der fast schon ruiniert war und der nun am Tor der Bundesliga rüttelt. Die Fans im Südosten Niedersachsens empfinden den Klub immer noch als Bundesligisten, aber da spielt die Eintracht seit 1985 nicht mehr. 15 Jahre war der Klub gar nur drittklassig.

Im Moment ist alles ein Provisorium, die Pressekonferenz findet in einem Baucontainer statt, der Boden vibriert. Nach Jahrzehnten Tristesse ist es wieder die Gegenwart, die ruft. Die Eintracht ist ungeschlagener Tabellenführer, Samstag ist der Zweite zu Gast, Bundesliga-Absteiger Hertha aus Berlin. Trainer Torsten Lieberknecht bemüht trotzdem die Phrase von „David gegen Goliath“ und sieht die Eintracht dabei an der Steinschleuder. Lieberknecht kennt den Klub, hat hier gespielt, war Präsidiumsmitglied und Jugendtrainer. Er weiß, wie nüchtern man hier bei aller Euphorie bleiben muss. Und dennoch bricht bei dem 39-Jährigen neben dem Pfälzer Dialekt auch immer wieder der Schalk durch. Er erwarte schon „eine prickelnde Atmosphäre, es wird ja auch Herbst, vielleicht machen wir das Flutlicht an“. Nach dem Gelächter kommt der Einwand, das Spiel finde um 13 Uhr statt. Lieberknecht beugt sich über das Mikrofon und raunt hinein: „Wir machen es trotzdem düster.“

Düster ist es nur noch in den Gängen, durch die der Trainer führt. Wegen der Bauarbeiten bis Mai ist die Geschäftsstelle unter die Gegengerade gezogen. In die niedrigen Gänge fällt kaum Tageslicht, dafür zieht an Spieltagen der Geruch der Würstchenbuden hinein. Draußen wartet eine Schulklasse auf Autogramme vom Maskottchenlöwen Leo. Kinder schwärmen wieder von der Eintracht, nicht von den Bundesliga-Nachbarn Hannover und Wolfsburg.

"Es läuft sich einfacher, wenn man von etwas begeistert ist"

Ein Verdienst von Lieberknecht und Marc Arnold. Im engen Büro des Managers flachsen beide über gemeinsame Spielerzeiten in Braunschweig. „Du hattest es als Zehner nicht einfach bei den Fans, ich bin als Mann fürs Grobe nicht so aufgefallen“, sagt Lieberknecht zu Arnold und lacht. Der Manager am anderen Ende des Schreibtisches ist das Gegenstück zum emotionalen Coach, er redet ruhiger und sachlicher. Sehr hilfreich, sagt der 42-Jährige, sei ihre Erfahrung im Traditions- und Emotionsverein. „Hier kommen auch 15.000 Fans in der Dritten Liga, aber sie pfeifen auch mal, wenn es nicht läuft.“

Als die beiden 2008 begannen, drohte die Eintracht die Qualifikation für die neue Dritte Liga zu verpassen. Das hätte das Aus für den verschuldeten Klub bedeutet. A-Jugendtrainer Lieberknecht übernahm drei Spieltage vor Schluss und erreichte den rettenden Platz 10, Arnold wurde Manager. Doch die Skepsis der Fans war groß, sie wollten größere Namen. „In Braunschweig geistern viele Mythen in den Köpfen der Leute herum, von Heinrich dem Löwen bis Branko Zebec und Paul Breitner“, sagt Lieberknecht. Aber er und Arnold waren weder Stadtfürsten des Mittelalters noch Startrainer oder -spieler der Siebzigerjahre.

Lieberknecht hat auch für gefallene Traditionsklubs wie Kaiserslautern, Mannheim und Saarbrücken gespielt, der Titel seiner Trainerdiplomarbeit war: „Der schwierige Spagat zwischen Tradition und Zukunft bei Eintracht Braunschweig“. Man müsse sich für die Moderne öffnen, fasst er seine Diplomthese zusammen, „Tradition soll keine Last sein, sondern ein Pfund“. Mit den beiden schaffte die Eintracht den Sprung in die Moderne, sparte 30 Prozent Spielergehälter und auch mal an der Rasenheizung. Trotzdem gelang 2011 der Aufstieg mit Drittligarekord. „Heute sind wir schuldenfrei“, sagt Arnold. In vier Jahren investiere er weniger als 200.000 Euro Ablöse in Neuzugänge. Der Kern der Mannschaft um Abwehrchef Deniz Dogan, Kapitän Dennis Kruppke und Torjäger Domi Kumbela spielt seit Drittligazeiten zusammen. Neuzugänge werden oft in der Oberliga entdeckt, wo pensionierte Trainer Lieberknecht mit Tipps versorgen. „Wir suchen bewusst Spieler, die auf Fans zugehen können und die Distanz durchbrechen“, sagt Arnold, „die aus dem Mythos Eintracht Braunschweig entsteht“, vollendet Lieberknecht. Identifikation ist die Basis, auch für sein laufintensives, taktisch variables System. „Es läuft sich einfacher, wenn man von etwas begeistert ist“, sagt Lieberknecht.

Auch die Fans sind trotz der neuen Bescheidenheit begeistert. Mittlerweile schreiben Leser der Braunschweiger Zeitung Briefe, man solle ja nicht zu viel Druck auf die Mannschaft aufbauen. Vom Aufstieg wollen auch Lieberknecht und Arnold nicht reden. Aber sollten sie es schaffen, dann werden die Fans bald schon in der 14. Minute anfangen zu singen, in Erinnerung an 2013.

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