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Vergebene Chancen: Hertha und die Angst vor dem Tor

Die Niederlage gegen Wolfsburg offenbart eine neue Variante der Hertha-Krise: Die Berliner scheitern jetzt nicht mehr an einem vermeintlich übermächtigen Gegner, sondern an sich selbst.

Patrick Helmes tänzelte als einer der Letzten durch die Mixedzone. Das ist jener Bereich, wo nach einem Spiel im bezahlten Fußball Spieler und Journalisten für ein paar Minuten aufeinander treffen. Der 28 Jahre alte Stürmer des VfL Wolfsburg war am Samstagabend einer der gefragtesten, er hatte zwei Tore erzielt beim 4:1-Sieg der Niedersachsen im Berliner Olympiastadion, und so eilte er von einem Interview zum nächsten. Seine Geschichte ist einfach zu schön. Vor sieben Wochen galt er faktisch als aussortiert, er hockte auf der Tribüne, wenn sein Team kickte. Dann bekam er eine neue Chance. Die nutzte er. In den vergangenen sechs Spielen hat er sechs Tore erzielt. „Vor sechs Wochen war ich praktisch der Absteiger des Jahres, jetzt der Comebacker des Jahres. So einfach ist das“, sagte Helmes.

Wenn man so will, ist Patrick Helmes so etwas wie der Gegenentwurf zu Hertha BSC. Vor sechs Wochen, als Otto Rehhagel den Berliner Bundesligisten als dritter Cheftrainer der Saison übernahm, stand Hertha mit 20 Punkten auf dem 15. Tabellenplatz, drei Mannschaften hinter sich. Inzwischen aber ist die Lage bedrohlich wie noch nie in dieser Spielzeit. Der Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz ist bereits auf vier Punkte angewachsen. Nur eine Woche nach dem 3:1-Sieg in Mainz haben sich die Hoffnungen auf den Klassenerhalt zerschlagen. Als die Spieler nach dem Spielende sich verzagt aufmachten in die Kurve ihrer Fans, schlugen ihnen böse Pfiffe entgegen. Vielleicht war das der Augenblick, als sie für sich beschlossen haben, sich der Öffentlichkeit ganz zu verweigern. Wortlos stapften sie durch die Mixedzone, ließen die Reporter stehen.

Ein Porträt in Bildern von Herthas Manager Michael Preetz:

„Manches Mal ist es besser, wenn man gar nichts sagt“, sagte Otto Rehhagel hinterher und meinte damit wohl nicht nur die Spieler. Michael Preetz, Herthas Geschäftsführer Sport, Medien und Kommunikation, war wie vom Erdboden verschluckt. Bei den Berlinern geht anscheinend die Angst vor der Selbstzerfleischung um. „Es ist wichtig, dass die Spieler keine Schuldzuweisungen machen. Jetzt dürfen keine falschen Worte fallen.“ Sein Resümee zum Spiel presste er in einen Satz: „Wer keine Tore schießt und solche Chancen auslässt, kann kein Spiel gewinnen.“

Selbst für Felix Magath war der Wolfsburger Sieg "etwas glücklich"

Tatsächlich wäre die Niederlage vermeidbar gewesen. Als das Spiel beim Stande von 1:2 aus Berliner Sicht noch drehbar war, drehte Hertha mächtig auf. Die Berliner erspielten sich Torchancen, die, wenn sie genutzt worden wären, für zwei Siege gereicht hätten. Doch der eingewechselte Pierre-Michel Lasogga und vor allem Adrian Ramos vergaben beste Gelegenheiten kläglich. In aussichtsreichsten Positionen zitterten ihnen die Füße. Selbst der Wolfsburger Trainer Felix Magath sprach hinterher von einem Sieg, der „etwas glücklich“ zustande kam. „Das Ergebnis täuscht, Hertha hatte viele gute Chancen.“

Die Bildergalerie zum Spiel gegen Wolfsburg:

Hertha hat schlicht nicht die Qualität im Sturm, wie die Wolfsburger mit Torjäger Helmes und Mario Mandzukic. An diesem Abend hatten sie die im Vergleich zu den Berlinern schlechteren Chancen in Tore verwandelt. Allein die beiden Helmes-Tore verdeutlichten das. Bei seinem ersten Tor verwandelt er eine Flanke von Ashkan Dejagah, obgleich er viel schlechter zum Ball stand als sein Gegenspieler Christoph Janker. Beispielhaft auch, mit welcher Seelenruhe er kurz vor Schluss am wild herausstürmenden Torwart Thomas Kraft vorbei das 4:1 erzielte. „Patrick ist ein Stürmer mit einem unheimlich guten Abschluss“, wie Magath sagte. Mit ihm sei der VfL in der Offensive „gefährlicher und durchsetzungsfähiger“ geworden. Allein in den jetzt vier siegreichen Spielen in Folge für den VfL haben Mandzukic und Helmes acht Tore erzielt. Von einer solchen Quote sind die Berliner meilenweit entfernt, mal ganz zu schweigen von der nicht konkurrenzfähigen Abwehrleistung.

Bezeichnenderweise sind die Berliner nicht Opfer einer ausgeklügelten Taktik des Gegners geworden. Im Gegenteil, die Taktik des Gegners, nämlich besonders hoch zu verteidigen, hat Hertha erst die vielen Chancen ermöglicht, mindestens aber begünstigt. Dass sie diese nicht zu nutzen wussten, konnte der Gegner nicht wissen. Und so mischt sich zu der eigenen, erlebten Unfähigkeit vor des Gegners Tor der Niederlage gegen Wolfsburg ein weiteres negatives Momentum hinzu. Da hat man so viele Chancen wie noch nie in einem Spiel in dieser Saison und verliert 1:4. Was soll Hoffnung geben? So fängt jedenfalls keine gute Geschichte an.

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