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Hertha BSC

© dpa

Hertha: Es zwickt noch

Lucien Favre ist weiterhin auf der Suche nach dem perfekten Zuschnitt für sein Team. Seit Beginn der Saison befindet sich die Mannschaft in einer Entwicklung. Doch es häufen sich die Rückschläge.

Es gibt also doch noch erfreuliche Nachrichten für Hertha BSC: Mit den Anpassungsschwierigkeiten wird es bald endgültig vorüber sein, in dieser Woche schon. Am Dienstag haben die Spieler des Berliner Fußball-Bundesligisten einen Termin bei ihrem Herrenausstatter, dann bekommen sie ihre neuen Ausgehanzüge, für die vor ein paar Wochen Maß genommen wurde. Sollte es trotzdem noch irgendwo zwicken oder haken, können die Schneider gleich an Ort und Stelle letzte Korrekturen vornehmen. So weit ist Herthas neuer Schneidermeister Lucien Favre auf dem Spielfeld noch lange nicht. Sein Kader ist zwar längst vermessen, aber den perfekten Schnitt für seine Mannschaft hat der Schweizer noch nicht gefunden. „Es wird noch eine Weile brauchen, bis die richtige Abstimmung gefunden ist“, sagt Manager Dieter Hoeneß.

Dieser Satz begleitet die Mannschaft so oder in leicht abgewandelter Form bereits seit Anfang der Saison, nur ist inzwischen fast ein Drittel des Spieljahres vorüber, und nach einigen Zeichen der Hoffnung war die 2:3-Niederlage bei Werder Bremen ein weiterer Beleg dafür, dass der Fortschritt bei Hertha derzeit ein rückläufiges Phänomen ist, auch wenn Favre sagt: „Ich habe auch positive Sachen gesehen.“

Mit der Verpflichtung des Schweizers verbanden sich große Hoffnungen: Er soll die Mannschaft auf die Erfordernisse des modernen Fußballs zuschneiden, seine Ideen auf dem Platz deutlich zu erkennen sein. Stattdessen verfiel Favre in ein Muster, das Hertha aus der Vergangenheit wohlvertraut ist: Er passte sich dem Gegner an, er reagierte, anstatt zu agieren. Gegen Bremen, die – zugegeben – systemfesteste Mannschaft der Liga, reduzierte er den Abwehrverbund von vier auf drei Spieler, um im Mittelfeld Überzahl herzustellen. Favre wollte auf diese Weise nicht nur Werders stärkste Abteilung neutralisieren, sondern auch „mehr Kreativität durchs Zentrum“ schaffen. Der Plan ging nicht auf. „Es war nicht gut“, sagte Favre. „Für die Defensive war es nicht einfach.“ Nach einer Viertelstunde korrigierte er seinen Fehler, er stellte auf eine Viererkette um und zog Josip Simunic ins defensive Mittelfeld vor. Vier Verteidiger, davor eine zweite Viererkette, so wird jetzt vermutlich erst einmal Herthas System aussehen, trotz aller Schwächen, die Favre erkannt hat: „Wir hatten in den letzten drei Spielen zu wenige Torchancen.“

Mit zwei zentralen Defensivspielern fehlt Hertha im Mittelfeld das kreative und spielerische Element; doch das ist keine Frage des Systems, sondern eher eine des Personals. Die Bayern spielen ebenfalls mit zwei Sechsern, von denen aber schaltet sich Zé Roberto stetig ins Offensivspiel ein. Mit Gilberto wäre das auch bei den Berlinern in dieser Form möglich, Gilberto aber muss derzeit für den verletzten Lucio auf der linken Seite aushelfen. Die Alternative wäre eine Raute im Mittelfeld mit einem ausgewiesenen Mann für die Offensive. Favre sagt: „Du musst die Spieler haben, um die Raute zu spielen. Dafür brauchst du eine Komplementarität“, also Spieler, die in diesem System zueinander passen und sich wertvoll ergänzen. Die hat Favre nicht.

Zu Herthas systematischen Schwierigkeiten kommen auch noch die personellen Experimente des Trainers. „Wir müssen versuchen, die richtige Mannschaft zu finden“, sagt Kapitän Friedrich. Simunic war nach Pal Dardai, Andreas Schmidt, Mineiro und Gilberto bereits der fünfte Spieler, den der Schweizer in der Zentrale aufgeboten hat. „Er hat hervorragend gespielt“, sagte Favre, „er hat kreativ was gebracht. Es war kein Zufall, dass wir später besser waren.“ Doch nach Arne Friedrich, der gegen Cottbus rechts in der Viererkette spielen musste, ist Simunic der zweite planmäßige Innenverteidiger, der seinen Platz räumen musste. Immer mehr drängt sich daher der Eindruck auf, die Umstellungen seien vor allem der Tatsache geschuldet, dass Favre seinen Landsmann Steve von Bergen in der Startelf unterbringen will.

Das passende System, die passende Besetzung – als wären das der Aufgaben nicht schon genug, muss Favre bei seinen Spielern auch weiterhin intensive Grundlagenschulung betreiben. „Wir verlieren zu viele Bälle für nichts“, sagte er. „Wir spielen zu kompliziert.“ Solche Klagen ziehen sich bereits durch die gesamte Saison. Favre vermisst bei seinen Spielern die Fähigkeit, ein Spiel zu lesen, die richtige Bewegung, die Sicherheit mit dem Ball, er bemängelt taktische Fehler: Anstatt den Ball in den Lauf zu passen und damit das Tempo hoch zu halten, landet er viel zu oft im Fuß des Mitspielers. All diese Mängel haben dazu geführt, dass die Berliner, die in dieser Saison sogar für ein paar Stunden Tabellenführer waren, sich wieder grundlegend umorientieren müssen. „Nach oben haben wir erst mal nichts mehr verloren“, sagte Arne Friedrich. „Wir müssen jetzt den Abstand nach unten so groß wie möglich halten.“ Immerhin: Damit kennen sie sich bei Hertha bestens aus.

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