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Hertha in der Nazi-Zeit: Braune Hülle, blauer Kern

Hertha BSC war zwischen 1933 und 1945 kein Nest des Widerstandes – aber auch kein Hort fanatischer Nazis. Der Verein stellt eine Studie über seine Vergangenheit vor.

Ist es zu gewagt formuliert, dass die Russen Hertha BSC vor dem Abstieg gerettet haben? Kurz vor Schluss dieser tausend Jahre zwischen 1933 und 1945, als Berlin nur noch ein Schutthaufen neben Potsdam war. Aber wo immer noch Fußball gespielt wurde. Hertha BSC war Vorletzter in der Gau-Liga, als die Meisterschaft abgebrochen werden musste, weil die Rote Armee zum Sturm auf Berlin blies. Am 25. April 1945 eroberte sie den Bezirk Wedding, der Hertha-Platz am Gesundbrunnen versank in Schutt und Asche. Das Vereinsarchiv ging in den Flammen verloren und mit ihm die Erinnerung an die braunen Jahre des populärsten Berliner Fußballklubs.

Ein halbes Jahr forschte der Historiker in Herthas Auftrag

Ein Menschenleben lang hat sich bei Hertha niemand dafür interessiert, was in der Nazizeit so alles passiert ist unter der blau-weißen Fahne. Der Verein stand immer ein wenig im Verdacht, mit den braunen Machthabern paktiert zu haben. Zwischen den gewonnenen Meisterschaften der Jahre 1930 und 1931 und dem Neubeginn nach dem Krieg klaffte eine lange Lücke. Daniel Koerfer, Historiker am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität, hat sie geschlossen. Ein halbes Jahr lang forschte er im Auftrag von Herthas Präsident Bernd Schiphorst in Archiven. Gestern hat er seine Studie vorgelegt und mit ihr eine Antwort auf die Frage:

War Hertha BSC ein Naziverein?

„Nein, Hertha war ein Verein der kleinen Leute“, sagt Koerfer. Verwurzelt im Wedding, dem Arbeiterbezirk im Norden der Stadt, der nicht zufällig Roter Wedding genannt wurde, auch und gerade von den Nazis, die sich dort so schwer taten wie nirgendwo sonst in der von ihnen ohnehin wenig geliebten Reichshauptstadt. Bei den letzten halbwegs freien Reichstagswahlen am 5. März 1933 kam die NSDAP im Wedding auf 25,9 Prozent – SPD und KPD holten zusammen 62 Prozent.

Auch auf dem Herthaplatz hoben sie den rechten Arm

Doch auch im Wedding drehte sich nach 1933 einiges. Als Hitler an die Macht kam, hatte Deutschland 6,1 Millionen Arbeitslose, Hertha musste 40 seiner 380 Mitglieder ausschließen, weil sie den monatlichen Beitrag von einer Reichsmark nicht mehr bezahlen konnten. Drei Jahre später herrschte Vollbeschäftigung, die Arbeiter machten ihren Frieden mit den Nazis, und auch die Fußballfans auf dem Herthaplatz hoben den rechten Arm zum Hitlergruß.

Hertha BSC ließ sich vereinnahmen: für Propagandareisen ins (noch französische) Saargebiet, ins von Polen dominierte Danzig und später in die Slowakei, die im Krieg zu den wenigen Ländern zählte, die nicht Krieg führten gegen Deutschland oder von ihm besetzt waren. Oder für Briefe an befreundete Klubs im Ausland wie West Ham United, Ajax Amsterdam oder den FC Barcelona, in denen „die im Ausland verbreiteten unsinnigen Meldungen über Deutschland“ dementiert wurden.

„Im Vorstand gab es Nazis, die breite Mitgliederschaft war eher unpolitisch“, sagt Daniel Koefer. „Der Kern war blau, die Hülle braun.“ Als der Klub 1936 vor der Zahlungsunfähigkeit stand, beschlossen die Herren vom Vorstand den Bau eines Kriegerdenkmals, mit dessen Gestaltung sie den SA-Obersturmbannführer Oskar Glöcker beauftragen. Im Gegenzug wurde Hertha via Gemeinnützigkeit von allen Steuerschulden befreit und bekam dazu den zuvor gepachteten Vereinsplatz am Gesundbrunnen übertragen.

Hertha war nicht interessant für die Nazis

Es war wohl Herthas Glück, dass der Verein seine sportliche Glanzzeit gerade hinter sich hatte, als die NSDAP an die Macht kam. Von 1931 an ging die Erfolgskurve der Berliner stetig nach unten. Die gealterte Mannschaft war nicht mehr interessant für die Nazis, die sich der neuen Kraft Schalke 04 zuwendeten oder Klubs wie 1860 München und VfB Stuttgart, die der nationalsozialistischen Idee schon vor 1933 nahegestanden hatten.

Ein Nest des Widerstandes war Hertha BSC nicht– aber ebensowenig ein Hort fanatischer Nazis. In monatelanger Archivarbeit hat Daniel Koerfer nur ein grob antisemitisches Zitat eines Hertha-Funktionärs gefunden. Es entspringt der Feder des Kassenwarts Karl Neumann. Der schrieb 1937 über eine Propagandareise nach Danzig: „Der großartige Eindruck der am Strande liegenden Prachtbauten der Zoppoter Badeverwaltung wurde getrübt durch den Anblick der zahllosen polnischen Juden, die sich dort in jeder Beziehung breitmachten.“ (Zum Vergleich: Graf von Stauffenberg urteilte noch fünf Jahre vor seinem Attentat auf Hitler über die Polen: „... ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich sicher unter der Knute wohlfühlt.“)

Herthas Leuchttürme hießen Wilhelm Wernicke und Hanne Sobek. Wernicke war bis 1933 Sozialdemokrat, Gewerkschafter und Herthas Vorsitzender. Er versuchte, „den Klub nach der linken Richtung zu bringen, was mir auch gelang“. Nach der Machtübernahme der Nazis überließ er den Vorsitz seinem Stellvertreter, dem Nazi Hans Pfeiffer, der sich fortan Vereinsführer nannte.

Sobek versteckte einen Juden in seiner Wohnung

Und Sobek? Trat zwar 1940 in die Partei ein, aber das geschah offensichtlich auf Druck der Nazis und zu einer Zeit, als Hitler nach den Blitzsiegen über Polen und Frankreich auf dem Höhepunkt seiner Popularität war. Hanne Sobek war Berlins bester Fußballspieler der Vorkriegszeit und zählte zur gehobenen Gesellschaft, die Nazis eiferten um seine Gunst. Sobek opponierte im Stillen gegen die politische Strömung, indem er als Mannschaftskapitän Schulungsabende der Nazis boykottierte und sich gegen die Ausgrenzung jüdischer Mitglieder stellte. 1939 versteckte er einen flüchtigen jüdischen Bankier in seiner Wohnung am Kaiserdamm.

Es gibt dann doch noch eine tragische Geschichte. Sie betrifft Hermann Horwitz, den jüdischen Mannschaftsarzt, der 1935 ein vereinspolitisches Beben bei Hertha ausgelöst hatte, Daniel Koerfer nennt es die „Pfeiffer-Krise“. Vereinsführer Hans Pfeiffer hatte Horwitz für die Anschaffung medizinischer Geräte einen Kredit gewährt, was ihm ein Parteigerichtsverfahren eintrug. Pfeiffers Zeit bei Hertha war damit abgelaufen, die des jüdischen Arztes sowieso. Horwitz durfte nicht mehr praktizieren, er geriet in Vergessenheit und wurde über die Sammelstelle an der Hamburger Straße deportiert. Seine Spur verliert sich im April 1943 in Auschwitz.

Die Rote Armee mag Hertha BSC vor dem Abstieg gerettet haben. Für Hermann Horwitz kam sie zwei Jahre zu spät nach Berlin.

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