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Hertha vs. Berlinale: Den Blauen fehlt der rote Teppich

Am Sonnabend kommen die Bayern – und die Bären. Es sind Fußball- und Filmfestspiele. Zum großen Kickerkino ist’s für Hertha BSC trotz gutem Tabellenplatz noch ein gewaltiger Sprung. Doch der Klub könnte lernen – zum Beispiel von der Berlinale

Wir wollen im Stadion für unser Geld nicht nur Schweißarbeiter sehen, sondern auch Künstler

Heute vor einer Woche griff Hertha BSC einmal kurz nach den Sternen. Es war, wenn nicht in dieser Welt, so doch in Bielefeld – und es ging für eine Nacht um die Tabellenspitze der Bundesliga. Galaktische sind die Blauen aus Berlin darum noch lange nicht, aber ein Platz ganz weit oben in der deutschen Königsklasse ist inzwischen höchst real. Trotzdem glaubt ihnen das noch keiner so richtig. Sogar vor dem morgigen Spitzenspiel gegen die Münchner Bayern soll es Anfang der Woche noch ein paar Karten gegeben haben, und überhaupt: Außer gegen Bayern ist Hertha nie ausverkauft, selbst gegen andere Spitzenteams kommen selten viel mehr als 40 000 Zuschauer ins zugige Olympiastadion, das auch halb voll immer halb leer aussieht.

Kein Bundesligaverein hat im Verhältnis zur Einwohnerzahl der eigenen Stadt so wenige Zuschauer wie Hertha BSC. Und wie der Zufall spielt: Wenn morgen Bayern kommt, dann sind in Berlin auch die Bären los. Zum Höhepunkt der Berlinale gibt es die goldenen und silbernen Preise, da brummt und boomt es nochmal, was nicht nur Feuilletonisten, die sowieso viel lieber über Fußball als über die achthundertdreißigste „Emilia Galotti“ schreiben, auf die Frage bringt, was Hertha (ausstrahlungsschwach) von den Filmfestspielen (ausstrahlungsstark) wohl lernen könnte.

Auf den ersten Blick denkst du: nichts. Oder wenig. Weil Film und Fußball trotz Sönke Wortmann normalerweise nur so viel miteinander zu tun haben wie Elfmeter und 32 Millimeter. Außerdem ist die Bundesliga die meiste Zeit kein Sommermärchen, sie dauert zehn Monate und die Berlinale, das jährliche Wunder von Berlin, zehn Tage. Seine Festspiele hat der Fußball, ein Alltagssport, nur bei Welt- oder Europameisterschaften.

Trotzdem sollte ein Fußballmatch, wenn es glückt, durchaus mehr sein als ein Spiel. Nämlich ein Fest. Ein Festspiel. Heute reden Profis und Trainer zwar dauernd von ihrer „Arbeit“, was ja unter der Woche auch stimmt und, zumal in der Wirtschaftskrise, den Ruch der Luxusgehälter durch einen volksnahen Schweißhauch vertreiben soll. Aber im Stadion möchten wir für unser Geld dann doch nicht nur elf Schweißarbeiter sehen. Sondern auch: Künstler. Zauberer. Stars. Spieler, die nicht allein den Ball, sondern auch Herzen und Emotionen bewegen.

Genau damit tut sich Hertha schwer. Der Klub hat zwar als einziger eine blaue Laufbahn im Stadion. Aber ihm fehlt der rote Teppich. Hier könnte Hertha zum Beispiel von Berlinale-Chef Dieter Kosslick lernen. Der weiß natürlich sehr gut, dass viele seiner Filme so toll gar nicht sind. So wenig wie viele Fußballspiele. Aber Kosslick macht als Kommunikationsgenie mit Humor und Spielwitz auch aus den (menschlichen, künstlerischen) Schwächen noch ein Fest. Er zieht einfach alle und alles über den roten Teppich.

Hertha indes hat das seltene Talent, sich selbst und seinen besten Spielern, seinen wahren Stars, den roten Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Und sie und sich in griesgrämiges Grau zu hüllen. Was haben sie hier nicht unternommen, um Paradiesvögel, die Farbe, Freude, Erfolg und sogar einen Hauch Glamour ins Berliner Spiel gebracht haben, bei irgendwelchen internen Regelverstößen oder der leisesten (menschlichen, spielerischen) Schwäche sofort zu demontieren. Wie haben sie so den großen, bunten, an seinen besten Tagen wunderbaren Marcelinho aus Berlin vergrault. Und jetzt sind sie seit Monaten dabei, den momentan völlig unersetzlichen Marko Pantelic wegzuekeln. Pantelic, den die Fans lieben und der mit seinem Apachenhaar Deutsch spricht wie einst die Indianer in Horst Wendtlands Karl-May-Filmen (apropos!): „Früh am Abend, wenn Sonne bald schlafen, ich langsam sterben, für Berliner Fans!“

Den Pantelic aber kann Hertha-Trainer Lucien Favre nicht leiden. Dabei könnte Favre, anders als Pante, wirklich mal Deutsch lernen. Das würde die Ausstrahlung nach innen und außen gewaltig erhöhen. Auch einer, der wie der ideale Schwiegervater aussieht, macht bedeutungsvoll radebrechnd auf Dauer nur bei Tonausfall eine gute Figur. Und als kundiger Trainer und kluger Mann, der er offensichtlich ist, müsste Favre im Fall seines einzigen Stars endlich über den eigenen Schatten springen. Tolle Regisseure erweisen sich gerade darin, dass sie schwierige, aber wichtige Akteure über alle Krisen und Abgründe hinweg immer wieder neu motivieren. Favre jedoch tut so, als hätte er es bei dem eher harmlosen Pantelic mit drei Kinskis zu tun.

Favre und sein Entdecker, der Manager Dieter Hoeneß, sind fachlich wohl Glücksfälle für Hertha. Große Kommunikatoren und in die Stadt wirkende Animateure aber sind sie beide nicht. Man denke auch an die Sprüche und gelegentlichen Temperamentsausbrüche von Hoeneß-Bruder Uli bei den Bayern. Von den beiden Köpfen der Hertha ist uns jedoch, trotz Kompetenz und Intelligenz, noch kein einziger origineller Satz oder Ausspruch im Gedächtnis. Keiner, der das Zeug zum Zitat oder gar Slogan hätte. Nein, dem ganzen Verein fehlt in der Außendarstellung so etwas wie weltläufiger, hauptstädtischer Charme. Wie Ironie. Oder Berliner Witz.

Für Herthas Berlinale, fürs große Kickerkino muss es ja nicht gleich reichen. Obwohl es bei dem Hauptstadtklub sogar einigen Filmstoff gäbe. All die hübschen Skandale: Ein Bestattungsunternehmer als Vorstandsmitglied, der Mitte der 60er Jahre schwarz gedruckte, also unversteuerte Eintrittskarten im Sarg versteckte. Oder Neueres, rührend Komisches: Als es letzten Herbst in Hannover zur Pause 0 : 0 stand, hat der Hertha-Brasilianer Cicero seine Kollegen in der Halbzeit zu einem Spielerkreis versammelt und ihnen eine fünfminütige Brandrede gehalten. Allerdings auf Portugiesisch. Hertha hat dann trotzdem noch 3 : 0 gewonnen.

Das zeigt im Kleinen wie im Kuriosen: das Unsichere, das Unbestimmte bei diesem Westberliner Verein, der zwar viele Fanklubs in Brandenburg, aber mit dem Selbstverständnis Probleme schon bei sich zu Hause hat. Man ist im Ostteil der eigenen Stadt noch immer nicht richtig angekommen. Was Kosslick bei dieser Berlinale der Sprung in den Friedrichstadtpalast war, das steht bei Hertha weiter aus. Ein eigenes, reines Fußballstadion im Osten? Bevor es soweit ist, wäre eine coole Niederlassung in Mitte schon was. Und die Berlinale braucht künftig noch Sponsoren. Da könnten sich die Blauen mal auf dem roten Teppich präsentieren – und von Dieter Kosslick in Sachen Witz und spielerischer Selbstdarstellung eine Menge lernen.

Coach Favre tut bei Pantelic so, als hätte er es mit

drei Kinskis gleichzeitig zu tun

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