zum Hauptinhalt
Rein oder raus: Das ist für Hertha BSC dieser Tage ganz gewiss nicht nur eine philosophisch völlig überhöhte Frage. Der Existenzkampf ist real - mit etwas Pech steht der Verein nach der Relegation am Abgrund.

© Ottmar Winter

Herthas Abstiegsfinale: Relegation gegen Düsseldorf: Momente für Millionen

Bei einem Abstieg würde sich Herthas finanzielle Lage dramatisch verschlechtern, für die Zweite Liga wäre ein Kraftakt nötig, der den ganzen Klub bedrohen könnte. Bilanztricks erodieren die solide Basis der Bundesliga-Vereine.

Zwei Spiele werden darüber entscheiden, ob Hertha BSC weiterhin Bundesliga spielen wird. Am Ende werden die beiden Relegationsspiele gegen Fortuna Düsseldorf auch darüber entscheiden, welchen wirtschaftlichen Spielraum der Berliner Klub haben wird. Dass es Hertha überhaupt noch in die Nachspielzeit der Saison geschafft hat, kann für den Moment als Erfolg verbucht werden, aber wenn am Ende der Abstieg stünde, würde Hertha Millionen verlieren.

Seit Wochen laufen die Planungen für die kommende Spielzeit zweigleisig. Sollte Hertha das Klassenziel verfehlen, muss der Klub zusehen, dass man in der Zweiten Liga konkurrenzfähig bleibt und möglichst um den Wiederaufstieg mitspielen kann. Das hat nicht nur etwas mit dem Selbstverständnis und den Erwartungen in Berlin zu tun, sondern ist eine Grundvoraussetzung, um das Fortbestehen zu sichern. Eigentlich kann sich Hertha die Zweite Liga gar nicht leisten.

Die offiziellen Verbindlichkeiten des Klubs belaufen sich auf rund 35 Millionen Euro. Eine solche Schuldenlast ist – wenn überhaupt – nur als Bundesligist auszuhalten. „Die Herausforderung Zweite Liga wäre ähnlich wie die vor zwei Jahren“, sagte kürzlich Herthas Finanzgeschäftsführer Ingo Schiller. Womöglich ist der zweite Abstieg binnen drei Jahren aber existenzieller. Bereits vor zwei Jahren war klar, dass man sich die Zweite Liga mit einem Erstliga-Etat nur ein Jahr wird leisten können. Hätte Hertha nicht den sofortigen Aufstieg geschafft, hätte der Klub auf allen Ebenen eine kleinere Dimension bekommen. Vor zwei Jahren war Hertha als Zweitligist noch „aufgestellt wie ein Erstligist“. Aber Schiller, seit 2001 im Amt, sagte auch, „dass wir den gleichen Aufwand nicht noch einmal betreiben können“.

Nach dem Abstieg vor zwei Jahren konnte man durch einen finanziellen Kraftakt eine Mannschaft wie unter Bundesligabedingungen ins Rennen um den Wiederaufstieg schicken. Der FC Bayern der Zweiten Liga, wie Hertha bezeichnet wurde, war das Abenteuer Unterhaus mit einem Etat von 33 Millionen Euro angegangen, wobei ein Großteil des Etats für das kickende Personal draufging. Wesentliche Sponsoren und Partner konnten gehalten werden, der Wiederaufstieg gelang. Allerdings hat Hertha den Abstieg teuer bezahlen müssen. Zwar wurden im Zweitligajahr 2010/2011 rund 55 Millionen Euro erlöst, dem aber standen Aufwendungen in Höhe von knapp 62 Millionen Euro gegenüber, geplant waren 45 Millionen. Das Geschäftsjahr wies zum 30. Juni 2011 einen Fehlbetrag von knapp sieben Millionen Euro aus. Und er wäre deutlich höher ausgefallen, wenn ein Investor Hertha im vergangenen Jahr nicht acht Millionen Euro gezahlt hätte.

Im Lizenzantrag für die kommende Spielzeit geht Hertha für den Fall Bundesliga von einem Haushalt von rund 58 Millionen Euro aus, was in etwa dem der abgelaufenen Saison entspricht. Für eine Zweitligaspielzeit plant Hertha Umsatzerlöse von rund 30 Millionen Euro. Die Personalkosten für die Bundesliga würden 24 Millionen Euro betragen, in der Zweiten Liga würde sich dieser Betrag mehr als halbieren. Das bedeutet, dass man sich von verkaufbaren Spielern trennen müsste. Etwa von Raffael, der bereits gesagt hat, dass er sich die Zweite Liga kein weiteres Mal antun werde. Nach Informationen des Tagesspiegels beinhaltet sein Vertrag die Klausel, dass er den Klub nach dem Abstieg für eine Ablöse von sechs Millionen Euro verlassen darf.

Alle nicht auslaufenden Verträge gelten auch für die Zweite Liga – weil Hertha eine entsprechende Option ziehen kann, so wie es der Klub in der vergangenen Woche bei Torhüter Thomas Kraft getan hat. Allerdings laufen die Verträge dann zu den bestehenden Konditionen weiter. Die Spieler würden also auch in der Zweiten Liga Erstligagehälter bekommen. Für den kompletten Kader kann sich Hertha das nicht leisten. Der Verein wird prüfen, bei welchem Spieler es wirtschaftlich vernünftig ist, ihn zu halten, unter Umständen auch mit dem Ziel, bei einem Verkauf eine Ablöse zu erzielen. Vieles wird auch davon abhängen, wer die Mannschaft trainieren wird. Der neue Trainer wird auch bei einem Verbleib in der Bundesliga einige Spieler aussortieren müssen, die der Mannschaft nicht wirklich weiterhelfen.

Während Hertha für die Bundesliga mit einem ausgeglichenen Haushalt rechnet, kalkuliert der Klub für die Zweite Liga mit einem Fehlbetrag von rund acht Millionen Euro. Allein die Werbeeinnahmen dürften von 30 Millionen Euro auf knapp 15 Millionen Euro fallen. Auch das Fernsehgeld würde sich um gut die Hälfte auf acht Millionen Euro reduzieren. Hertha befindet sich seit über einem Jahrzehnt in finanzieller Schieflage. Seitdem der Klub die Lizenzmannschaft 2001 aus dem eingetragenen Verein in die „Hertha BSC GmbH und Kommanditgesellschaft auf Aktien“, kurz KGaA, ausgegliedert hat, hat sie in fast allen Geschäftsjahren ein Minus erwirtschaftet. Bei Gründung der KG betrug das Eigenkapital 2,6 Millionen Euro, zum Abschluss des vergangenen Geschäftsjahres am 30. Juni 2011 hatte Hertha ein negatives Eigenkapital von 13,16 Millionen Euro. Und auch dieser Minusposten ist schon gestützt, beispielsweise durch Genussrechte im Wert von 4,5 Millionen Euro. Der Genussscheininhaber kann frühestens 2016 sein Kapital zurückverlangen, vorausgesetzt, Hertha hätte dann entsprechende Mittel zur Verfügung. Wie nötig Hertha frisches Geld braucht, zeigte 2010 auch die Ausgabe einer zweiten Anleihe, die sechs Millionen Euro erbringen sollte, allerdings bis Mai 2011 nur gut die Hälfte erzielte.

Lesen Sie im zweiten Teil über die Bilanztricks der Hertha

Auch Hertha hat sich auf ein Spiel eingelassen, das in gewisser Weise ohne Bilanztricks nicht auskommt. Die sind für Laien schwer zu durchschauen und rechtlich kaum zu beanstanden. So hat die KGaA Vermarktungs- und Verwertungsrechte im Wert von 38 Millionen Euro in zwei eigens gegründete Tochtergesellschaften ausgegliedert. Auf die Frage, warum Hertha das getan habe, antwortete Ingo Schiller einmal: „Wir haben dadurch stille Reserven des Vereins gehoben und gleichzeitig die damalige Kapitalauflage der DFL erfüllt.“ Der Vorteil: Eigentlich stille Reserven konnten auf diese Weise auf der Habenseite in die Bilanz eingestellt werden. Reales Kapital ist nicht geflossen.

Seit Jahren stören sich die Kritiker an dieser Praxis. Die wahre Höhe der Verbindlichkeiten sei dadurch nicht erkennbar. Demnach wären Herthas Schulden zum 30. Juni 2011 weit höher als jene 35 Millionen Euro – wenn man nämlich unter Schulden nicht nur die Verbindlichkeiten (35 Millionen) und Rückstellungen (5,7 Millionen) versteht, sondern auch die in der Bilanz ausgewiesenen Rechnungsabgrenzungsposten (21,91 Millionen).

Die Experten sprechen hier von sogenannten Leistungsschulden. Die Berliner haben bereits Geld bekommen (und ausgegeben), für das sie die entsprechenden Leistungen erst noch erbringen müssen. Dabei handelt es sich oft um Erlöse aus sogenannten Signing Fees, also Einmalzahlungen bei Abschluss langfristiger Verträge wie etwa mit dem Ausrüster Nike und dem Rechtevermarkter Sportfive. Für die vorzeitige Verlängerung der Zusammenarbeit mit Sportfive von 2014 bis 2018 erhielt Hertha vor drei Jahren auf einen Schlag 25 Millionen Euro. Im Gegenzug bekommt Sportfive von allen aus der Vermarktung erzielten Einnahmen 20 Prozent – und zwar nicht nur bis 2018, sondern vielleicht sogar bis 2020. Durch Herthas Abstieg 2010 hat sich der Vertrag automatisch schon um ein Jahr, nämlich die Zeit in der Zweiten Liga, verlängert.

Dass die Berliner sich zu erwartende Zahlungen vorab haben ausbezahlen lassen, beeinträchtigt die Einnahmesituation auf absehbare Zeit – egal in welcher Liga. Luft verschaffen könnte ein weiterer Investor aus der Schweiz, der angeblich bereit sein soll, zehn Millionen Euro zu investieren. Aber es ist völlig unklar, unter welchen Bedingungen ein solcher Deal zustande kommen könnte, eventuell durch den Erwerb von Anteilen an der KGaA. Bekanntlich sucht Hertha seit Jahren nach einem strategischen Partner, wie sie der FC Bayern in Audi und Adidas gefunden hat. Der geheime Acht-Millionen-Euro-Investor von 2011 hat als Gegenleistung Transferwert-Beteiligungen an Spielern erhalten. Die Annahme, es könne sich um einen selbstlosen Gönner handeln, ist naiv. Die acht Millionen Euro waren keine Schenkung, sondern werden verzinst.

Weiter im Gespräch ist die Fluggesellschaft Etihad Airways, die wohl als neuer Hauptsponsor einsteigen würde, wenn die Deutsche Bahn von ihrer Option Gebrauch machte, den Vertrag nach einem Abstieg zu kündigen. Hertha muss sich zwangsläufig auf solche Geschäfte einlassen, da der Verein unter chronischen Haushaltsdefiziten leidet und wenig Eigenfinanzierungskraft besitzt. Als Zweitligist wäre Hertha dringender denn je auf Kapitalzufluss von außen angewiesen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false