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Sport: Herthas Brasilianer hockt, bockt und mag sich noch nicht anfreunden mit der mitteleuropäischen Auswechselpraxis

Diese 65. Spielminute hat Folgen.

Diese 65. Spielminute hat Folgen. Bryan Roy flankt von der linken Seite hoch in den Bielefelder Strafraum. Dort versucht Alex Alves, den sich noch in der Luft befindlichen Ball derart zu treffen, dass er ins gegnerische Tor geht. Daraus wird aber nichts, weil Bielefelds Torwart Miletic etwas dagegen hat. Es ist die erste und schon die letzte Chance für den Brasilianer, den Hertha BSC um den Jahreswechsel für 15 Millionen Mark eingekauft hat.

Die reich gewordenen Berliner führen zu diesem Zeitpunkt in ihrem unansehnlichsten Bundesligaspiel seit Jahren gegen den Tabellenletzten durch ein Tor von Michael Preetz mit 1:0. Fünf Minuten später steht Manager Dieter Hoeneß im Regen neben der überdachten Auswechselbank und blickt zunächst zur Uhr und dann verstohlen zu Boden. Hertha BSC spielt schlecht, und auch der teure Mann agiert nahezu wertlos. Kurz darauf hat Trainer Jürgen Röber genug und tauscht den Brasilianer gegen Sebastian Deisler aus. Entgegen den Gepflogenheiten verlässt Alves das aufgewühlte Berliner Grün in respektablem Abstand zur Trainerbank. Den Weg unter die Dusche bricht er auf halber Strecke ab, dreht sich wieder zum Feld, bleibt aber auf Distanz zur Bank seines neuen Arbeitgebers. Selbst als Herthas Zeugwart ihm einen wärmenden Blouson reichen will, bleibt Alves erhitzt und schickt den Mann zurück. So verstreichen fünf oder sechs Minuten. Erst dann fasst er einen ersten klaren Gedanken und nimmt auf Herthas Bank Platz.

Zwischendurch erzielt Michael Preetz das endgültige 2:0. Für ihn ist es sein siebentes Saisontor, sein 45. für Hertha und sein 51. in der Bundesliga überhaupt. Das Spiel geht mit dem 2:0 zu Ende und Alves Stimmung gegen Null. "Das ist mir in Brasilien nie passiert, nie", lässt er dolmetschen. Einzig Michael Preetz hat sich ein gelbes Trikot der Bielefelder zum Feiern in der Hertha-Kurve übergestreift. Der Torschützenkönig der vergangenen Saison (23 Treffer) hat den Tabellenletzten im Alleingang bezwungen. Während Trainer Röber seiner erfolgreichen Formation entgegenläuft, steuert Manager Hoeneß auf den schmollenden Alves zu. Später nimmt nur noch Torwart Christian Fiedler Kontakt mit dem am Rande kauernden Alves auf. Fiedler kennt diese Perspektive und die damit verbundenen Gefühle. Er vertritt nach zweieinhalb Jahren zum zweiten Mal den verletzten Stammtorwart Gabor Kiraly. Erneut bleibt er fehlerlos, was ihm so viel Lob einbringt, dass er davon abgeben möchte. "Für Alex ist es bei solchen Bedingungen nicht ganz einfach", sagt Fiedler und sieht gute Chancen für den Berliner Brasilianer, sich doch noch an das Fremde in der Fremde zu gewöhnen.

Jürgen Röber interessiert sich herzlich wenig für das Böckchen des Brasilianers. "Damit muss er leben. Er soll sich einmal überlegen, was mit Emerson bei Bayer Leverkusen passiert ist. Der hat ein halbes Jahr auf der Bank gesessen und ist jetzt 50 Millionen wert", sagt der Trainer. Natürlich sei es schwer gewesen für beide Spitzen, schließlich habe Hertha praktisch ohne Mittelfeld gespielt. "Alex hatte irgendwann die Schnauze voll. Er ließ sich ins Mittelfeld zurückfallen, um sich so selber die Bälle zu holen", sagt Röber. Der Trainer könne verstehen, dass "er nicht gerade strahlend" auf seine Auswechselung registriert habe. "Er muss sogar unzufrieden sein", sagt Röber.

Für Michael Preetz war es aus einem zweiten Grund ein besonderes Spiel. Im August hatte er beim Hinspiel auf der Alm einen Unterarmbruch erlitten. Neun Wochen lang hat er Gips getragen und bis Weihnachten steif wie glücklos agiert. In der Rückrunde geht es an der Seite von Alves besser. "Wir ergänzen uns gut", sagt Preetz. In der Hinrunde war die Rede von zu ähnlichen Laufwegen mit seinem bisherigen Sturmpartner Ali Daei. "Wir müssen Geduld mit Alex haben. Ich habe mich auch dagegen gewehrt, nur nach Toren abgerechnet zu werden." Das sagt einer, dessen drei Tore in zwei Spielen sechs Punkte einbrachten.

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