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An der Hauptstraße entlang kann man Sandhausen in 30 Minuten durchqueren.

© IMAGO

Herthas Gegner Sandhausen: Ein Dorf will nach oben

Mit 14 500 Einwohnern ist Sandhausen der kleinste Standort im deutschen Profifußball. Der Zweitligist, bei dem Hertha BSC am 13. Spieltag gastiert, ist stolz auf seine Wurzeln – und sieht sich als Gegenentwurf zur TSG Hoffenheim. Ein Rundgang.

Ein Rundgang durch Sandhausen dauert etwas länger. Zumindest für Frank Löning, obwohl man das Dorf zu Fuß in weniger als einer halben Stunde durchqueren kann, immer die Hauptstraße entlang. Doch Löning ist Kapitän des Zweitligavereins SV Sandhausen, und nicht nur deshalb muss er pausenlos Leute grüßen, hier im kleinsten Ort des deutschen Profifußballs. „Guten Tag, Herr Löning!“ „Hallo Frank!“ Ständig hebt der 31-Jährige, blond, gebräunt, kräftig, die Hand und lächelt ein breites Lächeln. 14 500 Menschen leben hier, die meisten sind einander bekannt. „Ich kenne in jedem zweiten Auto wen, auch mit Vornamen“, sagt Lönung, also schnell weiter, „auch wenn es nicht viel zu sehen gibt.“

So barock wie Heidelberg, acht Kilometer weiter nördlich, ist Sandhausen nicht. Eine Schule im Jugendstil, das alte Rathaus und die alte Synagoge liegen an einem kleinen Platz mit Brunnen, das war’s an Sehenswürdigkeiten. Rundherum prägen graue, weiße und grauweiße Häuser aus den fünfziger und sechziger Jahren das Bild. Sandhausen sieht aus wie viele Dörfer hier in der Gegend: sauber, aber ohne viel Glanz. Im Hintergrund hängt Nebel über Rhein und Feldern.

Löning geht im blauen Mantel den schmalen Gehweg entlang und muss aufpassen, dass ihn keines der Autos auf der Hauptstraße überfährt. Viele brausen hier schnell durch, fast 90 Prozent der Sandhäuser arbeiten andernorts. Mittags sind wenig Menschen unterwegs, die Läden haben geschlossen. Löning trifft seinen ehemaligen Nachbarn und fragt dessen kleinen Sohn, ob es ihm schon besser gehe. Der gebürtige Ostfriese ist einer der wenigen aus der Mannschaft, die im Ort leben, die meisten wohnen rundherum, im Radius von ein paar Kilometern, in dem dichten Flickenteppich aus den Dörfern in der Rhein-Neckar-Metropolregion oder in Heidelberg.

Normalerweise ist Löning mit dem Fahrrad unterwegs, von seiner Doppelhaushälfte radelt er zum Training. „Ich mag die kurzen Wege“, sagt der Stürmer. Zum Verein hat er es nicht weit. Dort, wo die Hauptstraße den Ort verlässt und zur Landstraße wird, beginnt der Hardtwald. Auf der rechten Seite, noch vor dem Seniorenheim und dem Friedhof, liegt ein Gebäudekomplex, der mit seinen Fertigflachbauten und Containern aussieht wie ein Bauhof oder ein Sägewerk. Es sind Stadion, Vereinsgaststätte und Geschäftsstelle des SV Sandhausen. Fast alles neu. Früher staubten hier die Sanddünen, die dem Ort seinen Namen gaben. Nun hat der Klub sein Stadion gerade für 12 000 Zuschauer ausgebaut. Laut Zweitlligaauflagen müssen es 15 000 werden, mehr als der Ort Einwohner hat. Eine neue Stehplatz- und Vip-Tribüne kamen hinzu. Nur die Gegengerade fehlt fast komplett, über wenigen Reihen neigen sich Kiefern zum Spielfeld, davor ein wellblechener Hochsitz, als wollte auch der Förster zuschauen. Sandhausen kann jeden Zuschauer gebrauchen. Etwas weniger als 40 00 kamen zu den Zweitligaspielen, der schlechteste Schnitt der Liga. Gehofft hatte der Klub auf 6000, immerhin doppelt so viel wie in Liga drei. „Wenn beim Aufwärmen nur ein paar hundert Fans da sind und man hört fast jeden Furz auf der Tribüne, denkt man manchmal schon: super Stimmung heute“, sagt Löning.

Am Spieltag muss der Trainer sein Büro räumen, es fungiert dann als Umkleide für die Schiedsrichter

Am Freitag kommt der Bundesliga-Absteiger Hertha BSC. Größer könnte der Kontrast kaum sein. Hertha hat 30 000 Mitglieder, Sandhausen 700. Der Haupstadtverein hat mit 16 000 mehr Dauerkarten verkauft, als Sandhausen Einwohner hat, und bringt am Freitag allein knapp 1500 Fans mit zum Auswärtsspiel. Fast 7000 Zuschauer werden im Hardtwaldtstadion erwartet, es wäre eine Saisonbestmarke. „Die meisten kommen dann aber, um Hertha zu sehen“, sagt Löning. Ein harter Kern unterstützt die Mannschaft seit Oberligazeiten, „die machen schon Radau, auch wenn das nur 1000 sind“, der Rest kommt aus den umliegenden Dörfern, weniger aus der Akademikerstadt Heidelberg, aus Neugier und eher zum Gucken.

Zumindest die, die nicht lieber in der Bundesliga Hoffenheim zuschauen. Der Verein gräbt viele Fans und Sponsoren ab. Sinsheim liegt eine halbe Autostunde entfernt, im nächsten Ort Walldorf liegt die Zentrale von SAP. Der Unternehmensgründer und Mäzen Dietmar Hopp wollte 2005 die drei Vereine fusionieren lassen, aber Sandhausen wollte kein Farmteam werden. „Sandhausen ist gewachsen, Hoffenheim ist Dietmar Hopp“, lästern die Fans in der Vereinsgaststätte, die sich ansonsten einfach nur freuen, die große Fußballwelt zu sehen.

Die Fußballatmosphäre muss aber noch weiter wachsen in Sandhausen. Nach vier Monaten Umbau werden im Stadion noch die letzten Rohre verlegt, einige Fans halfen im Sommer mit beim Umbau. Über Stahltreppen kommt man ins Innere der neuen Haupttribüne, dort riecht es nach Farbe und Putzmittel, nach frisch fertiggestellt, wie der Verein. Doch auch die Tradition ist da, gerahmte Fotos von der Amateurmeisterschaft 1978 und 1993, mit Autogrammen.

Gerd Dais nimmt seinen Schlüsselbund und schließt eine Tür auf. Sandhausens 49 Jahre alter Trainer sieht aus wie eine gemütlichere Version von Jürgen Klopp, blonde Haare, Badeschlappen, der schwarze Trainingsanzug spannt. An Spieltagen muss Dais sein Trainerbüro räumen, da funktioniert es als Schiedsrichterumkleide. Das Improvisieren ist er gewohnt, er arbeitet bereits zum dritten Mal im Verein. Auch als der Verein jahrzehntelang in der Oberliga Baden-Württemberg spielte, vor teils nur 250 Zuschauern. Doch „die Ziele und Ambitionen waren groß“, sagt er, der Klub wollte in Liga zwei, und er musste gehen, obwohl er den Klub in die Dritte Liga geführt hatte. Sandhausen stieg fast ab, Dais kam zurück und stieg im Sommer auf, als Drittligameister. Jetzt ist sein Verein nach gutem Start Vorletzter, der Etat von knapp fünf Millionen Euro ist der kleinste der Liga, die Mannschaft, praktisch ohne Ablösesummen verstärkt, scheint an ihre Grenzen zu stoßen.

Im Sommer wurde ihnen Europameister Angelos Charisteas angeboten, aber der passte nicht hierher. Dais passt hierher, er ist von hier, ein Kurpfälzer, er sagt „viellaischt“ und „Aldernadiiiwe“. Wenn Dais mit Vereinsangestellten scherzt, ist sein Dialekt kaum zu verstehen. „Neue Spieler fragen in der Kabine manchmal: Was hat er jetzt gesagt?“, erzählt Löning. Auch er hatte seine Probleme mit dem Dialekt, aber mittlerweile kann sich der gelernte Krankenpfleger vorstellen, nach der Karriere zu bleiben. In der wirtschaftsstarken Region gibt es mehr Jobs als in der norddeutschen Heimat. „Und in Sandhausen hat man eigentlich alles, was man braucht, man muss hier gar nicht weg“, sagt er und zeigt eines der drei Cafés im Ort, in dem er oft frühstückt, den Frisör, der Freunden gehört, die Schule der Kinder und die Metzgerei Balles. Da kauft Löning ein, wenn er für die Familie kocht „oder fürs Mannschaftsgrillen“.

Der Vizepräsident steht hinter der Fleischtheke, der Präsident ist Bauunternehmer

Drinnen steht Frank Balles mit Schürze hinter der Fleischtheke. Der 43-Jährige ist Vizepräsident des Vereins. „Früher sagte man hier, man kommt aus der Nähe von Heidelberg“, sagt er stolz, „heute kennen die Leute Sandhausen.“ Die Hotels profitieren von den Buchungen der Gästefans, die Bauern vermieten ihre Felder als Parkplätze. Die Metzgerei hat Balles von seinem Vater übernommen, Erich Balles war bis 1998 Präsident und sitzt im holzvertäfelten Hinterzimmer, an den Wänden Vereinsteller. „Sandhausen ist ein sportbegeistertes Dorf, das immer nach oben strebte“, sagt der rundliche 76-Jährige mit dem weißen Haarkranz. Doch eines hat er in rund zwanzig Jahren Amtszeit gelernt. „Wer den Job hat, der muss finanziell flexibel sein und Verbindungen haben, Geld kostet’s immer.“

Das Geld stellt nun ein anderer Präsident. Um zu Jürgen Machmeier zu kommen, muss man die Hauptstraße in die andere Richtung, weg vom Stadion, zum überraschend großen Industriegebiet Sandhausens. Der Bauunternehmer hat seinen Firmensitz in einem grauen Mehrfamilienhaus. Der Mittelständler im blau-weiß-karierten Hemd hat laut eigener Aussage einen hohen siebenstelligen Betrag in den Verein gesteckt, seit er 1999 das Präsidentenamt übernahm. „Eine Herzensangelegenheit“, sagt der 51-Jährige, der ebenso für den Verein gespielt hat wie sein Vater zuvor. Machmeiers Vision ist, „dass sich Sandhausen langfristig in der Zweiten Liga etabliert und in drei Jahren autark wird, ohne finanzielle Beihilfe von mir“. Klingt fast wie bei seinem Golf- und Duzfreund Hopp. Nach der gescheiterten Fusion war ihr Verhältnis angespannt, aber man hat sich angenähert. Einen in der Region derart einflussreichen Mann wie Hopp möchte man nicht zum Feind haben. Hopp hat eine der neuen Logen im Stadion über fünf Jahre für 175 000 Euro gemietet, eine weitere Kooperation ist geplant, Spieler könnten ausgeliehen werden. Machmeier ist ehrgeizig, einen Abstieg will er nicht hinnehmen.

Die Fans sind da skeptisch. „Die Rivalität ist groß“, sagt Löning auf dem Weg zurück zu seinem Haus, der Stürmer ist Ehrenmitglied im Fanklub und weiß, dass sie die Hoffenheimer hier Hoppeldeppen nennen. „Aber die Fans vergessen manchmal, dass es ohne Machmeier auch hier vorbei wäre mit Fußball.“ Dann wäre Sandhausen nur noch ein Dorf. Wenn auch ein sehr freundliches, das man nicht so schnell durchqueren kann.

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