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Sport: Herthas Hassliebe

Die Berliner spielen im DFB-Pokal gegen St. Pauli – die Fans können sich seit Jahren nicht leiden

Berlin - Wenn die Fans von Hertha BSC an St. Pauli denken, werden viele Erinnerungen wach. Kurz vor Weihnachten tritt Hertha unter Flutlicht am Millerntor an. Natürlich wird es ein besonderes DFB-Pokalspiel, weil der Regionalligist aus Hamburg den Erstligisten aus Berlin empfängt. Doch das allein macht die Brisanz des am Wochenende ausgelosten Achtelfinals nicht aus. St. Pauli gegen Hertha BSC, das ist das Aufeinandertreffen zweier Vereine, zwischen denen seit den Neunzigerjahren eine Hassliebe besteht.

Politische Ansichten spielten dabei oft eine Rolle. Während auf St. Pauli ein Anti-Diskriminierungs-Paragraf in die Stadionordung eingefügt wurde, riefen einige Berliner Fans laut „Uhuhuhuh“, wenn im Olympiastadion ein dunkelhäutiger Spieler gegen den Ball trat. Hertha gegen St. Pauli, Rechts gegen Links, aus diesen platten Schlagworten bestand der Alltag allzu oft in der Zweiten Liga.

Die Hassliebe geht aber nicht allein auf die Abneigung zwischen rechten Hooligans aus dem Süden Berlins und linken Punks aus der Hamburger Hafenstraße zurück. Auch normale Fans zogen früher hämisch übereinander her, weil Hertha BSC in den Neunzigerjahren ein genauso chaotischer Verein war wie St. Pauli: mit stets hohen Ambitionen und hohen Schulden. Gelästert wird auch jetzt nach der Pokalauslosung. Die arroganten Berliner sollen ruhig kommen, schreiben Hamburger Fans in Internetforen.

Beide Vereine sind gemeinsame Wege gegangen. Noch heute erinnern sich Hertha-Fans daran, wie St. Pauli die Euphorie der Wendezeit bremste. Im ersten Bundesligaspiel nach dem Mauerfall verlor Hertha gegen St. Pauli 1:2 und erholte sich davon nicht mehr. Ein Jahr später – der Rivale aus Hamburg war mit in die Zweite Liga abgestiegen – wollten beide aufsteigen. In der Aufstiegsrunde nahmen sie sich gegenseitig die Punkte weg und mussten wie in vielen Zweitligajahren verärgert zuschauen, dass Vereine wie Uerdingen oder Bochum vorbeiziehen.

Bayreuth, Remscheid, Stahl Brandenburg: Nur der harte Kern der Hertha-Fans wollte sich in den Neunzigern solche Gegner im heruntergekommenen Olympiastadion anschauen. Nur einmal pro Saison kam es zu so etwas wie Gedränge im viel zu großen Stadion. Deshalb wirkte die Vereinsführung von Hertha BSC auch jedes Mal überfordert, wenn das Spiel gegen den FC St. Pauli anstand. Als 1994 fast 22 000 Zuschauer kamen – und somit dreimal so viel wie sonst üblich – musste das Spiel mit einer Viertelstunde Verspätung angepfiffen werden, weil angeblich sechs Kassierer nicht gekommen waren. Über Hertha konnte man oft lachen. Über St. Pauli allerdings auch.

Während die Hamburger immer weiter abrutschten, zog bei Hertha die Professionalität ein. Das entscheidende Tor zum Bundesligaaufstieg 1997 schoss Michel Dinzey, der heute bei St. Pauli spielt und beim 4:0-Sieg im DFB-Pokal über Bochum das so wichtige erste Tor erzielte.

Doch auch St. Pauli kehrte nach großen Anstrengungen 2001 in die Bundesliga zurück und trat am ersten Spieltag gegen Hertha an. Später kam es zu Krawallen auf der Reeperbahn. Fäuste flogen, Bierbänke, sogar Senffässer und Gehwegplatten. Auch sportlich war das ewige Duell der Rivalen unansehnlich. Marcelinho bestritt sein erstes Spiel in Deutschland, Hertha wollte Meister werden – doch nach dem 0:0 spottete Hamburgs Zeugwart: „Wenn Hertha Meister wird, spielen wir nächste Saison in der Champions League.“ Bekanntlich wurde Hertha nicht Meister, und St. Pauli stieg ab.

Die Anhänger mögen sich nicht. Sie sind gehässig zueinander. Aber sie sagen auch, dass der Alltag ohne den anderen irgendwie langweilig wäre.

André Görke

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