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Herthas feierliche Hinrunde. Die Mannschaft gewann ihr letztes Hinrundenspiel in Dortmund vor 80.000 Zuschauern.

© Imago

Herthas Hinrunde und Perspektive: Mentalitätsmonster und Kilometerfresser

Sieben Gründe für die gelungene Hinrunde von Fußball-Bundesligist Hertha BSC– und warum die Mannschaft von Trainer Jos Luhukay die Saison erfolgreich abrunden könnte.

Hertha BSC hat sich für einen Aufsteiger fast sensationell gut in der Hinrunde der Fußball-Bundesliga präsentiert. Am 25. Januar startet die Mannschaft von Trainer Jos Luhukay im Spiel bei Eintracht Frankfurt als Tabellensechster in die Rückrunde. Im folgenden Gründe für den Erfolg und die Perspektive für die Rückrunde:

MENTALITÄT Maik Franz ist ein Fußballer mit Qualitäten: Er ist ein Kämpfer, ein regelrechtes Mentalitätsmonster, und es hat Mannschaften gegeben, in denen Franz mit seiner Art ein Alleinstellungsmerkmal besaß. Bei Hertha ist das anders. Franz ist neben Ben Sahar der einzige Feldspieler, der in dieser Saison noch keine einzige Minute gespielt hat. Das, wofür der grantige Innenverteidiger steht, ist in Herthas Mannschaft auch ohne ihn in ausreichendem Maße vorhanden: Wille, Einsatz, Leidenschaft, kurz: Mentalität. Trainer Jos Luhukay hat sich immer wieder ehrlich begeistert über die Einstellung seiner Mannschaft geäußert, zuletzt am Wochenende nach dem sensationellen Auswärtssieg vor über 80 000 Zuschauern beim Champions-League-Finalisten Borussia Dortmund: „Diese Mannschaft kann auch auf Basis von Mentalität und Charakter im Spiel bleiben.“ Oder, wie Luhukay es in der vergangenen Saison immer mal wieder gesagt hat: Mentalität schlägt Qualität.

DIE NEUEN Vergangene Woche gab es mal wieder Neues von Tunay Torun. Der frühere Berliner ist beim VfB Stuttgart länger nicht auffällig geworden, und daran wird sich auch nichts mehr ändern. Trainer Thomas Schneider hat gerade bekannt gegeben, dass Torun im Januar nicht mit ins Trainingslager des VfB reisen darf. Aus Berliner Sicht ist das eine konsequente Fortschreibung seiner Karriere. Der Offensivspieler kam vor zweieinhalb Jahren, nach dem vorletzten Aufstieg, vom Hamburger SV zu Hertha und ging nur ein Jahr später nach dem direkten Wiederabstieg. Torun steht damit sinnbildlich für die, nun ja, suboptimale Transferpolitik der Berliner im Sommer 2011. Man muss sich die Namen Torun und Andreas Ottl nur noch einmal ins Gedächtnis rufen, um Herthas Personalpolitik im Sommer 2013 richtig zu würdigen. Luhukay und Manager Michael Preetz holten sechs Neue – und alle sechs stellten sich als Verstärkungen heraus: sowohl die vier (Hajime Hosogai, Sebastian Langkamp, Johannes van den Bergh, Alexander Baumjohann), die zu Beginn der Vorbereitung kamen, als auch die beiden (Per Skjelbred, Tolga Cigerci), die Hertha im August nachverpflichtete. Hinzu kommt, dass der klamme Klub allein für Hosogai eine bescheidene Ablöse (eine Million Euro) entrichten musste. Normal ist das – siehe Sommer 2011 – nicht.

LAUFBEREITSCHAFT Richtig schlüssig schien die Entscheidung auf den ersten Blick nicht: Nachdem sich Alexander Baumjohann Ende August das Kreuzband gerissen hatte, holte Hertha gleich zwei neue Mittelfeldspieler; doch weder Tolga Cigerci noch Per Skjelbred verkörpern auch nur ansatzweise den Typ Spielmacher, der Baumjohann ist. Im Nachhinein muss man feststellen, dass die Überlegungen der Berliner so verkehrt nicht waren. Ihr Plan lautete, Kreativität durch Kilometer zu ersetzen. Cigerci und Skjelbred sind genauso wie Hajime Hosogai wahre Laufmaschinen. Um die 13 Kilometer legen sie zurück – nicht punktuell, sondern zuverlässig in jedem Spiel. „Es ist nicht normal, was jede Woche an Kilometern weggelaufen wird“, sagt Trainer Luhukay. Die Laufleistung im zentralen Mittelfeld ist der entscheidende Grund, warum Hertha in den meisten Spielen ein ausgesprochen unangenehmer und schwer zu bespielender Gegner war.

ACHSE DES GUTEN Luhukay wird selten müde, vier Spieler zu loben: Thomas Kraft, Fabian Lustenberger, Hajime Hosogai und Adrian Ramos. Auf dieser Achse rollt der Erfolg bei Hertha. Bemerkenswerterweise spielen bis auf Hosogai alle Achsenspieler schon seit Jahren in Berlin und sind bereits mit abgestiegen. Aber erst unter Luhukay fanden sie ihre Idealbesetzung: Torwart Kraft ist auf der Linie ein sicherer Rückhalt und erhält Impulse zur Weiterentwicklung, Lustenberger ist in die Rolle des Kapitäns und Abwehrchef hineingewachsen und Adrian Ramos ist vorne der fleißige Verwerter. Neu hinzu kam im Sommer nur Hosogai, der letztlich Peer Kluges Rolle als Schalterspieler übernommen hat, allerdings auf noch höherem Niveau. Der Japaner ist mit seiner Kombination aus Laufarbeit, Zweikampfstärke und Spielübersicht das Sinnbild des neuen Hertha-Stils geworden.

SPIELSYSTEM Den Trainingseinheiten von Jos Luhukay zuzuschauen, kann manchmal ermüdend sein: viel Kleinfeld, viel mit Ball, kurze Ballkontakte, Klatsch, Klatsch. Aber in anderthalb Jahren hat er bei seinen Spielern damit ein Bewusstsein für schnelles Reagieren im Raum geschaffen, das sie blind abrufen, egal wer auf dem Feld steht. Die Berliner trauen sich längst, gegnerische Teams früh und aggressiv anzugreifen, ohne ungeordnet vorzugehen. Kaum ein Bundesligist schaltet nach einer Balleroberung so schnell von Abwehr auf Angriff um. Müde scheinen die Berliner nie zu werden, die Kondition stimmt. Gleichzeitig verlieren die passsicheren Berliner selten den Ball und kassieren selbst kaum Konter. Klatsch, Klatsch.

Der Aufsteiger Hertha BSC überwintert auf einem Europapokalplatz. Was ist davon zu halten?

ADRIAN RAMOS Ein wenig überrascht es schon, Herthas Stürmer mit elf Treffern an der Spitze der Torjägerliste zu sehen. Man hat sich in Berlin eigentlich schon daran gewöhnt, dass Ramos entweder das erlösende 1:0 oder einen Doppelpack erzielt. Neu ist die kurze Taktung, in der diese Highlights erfolgen. Pausen gibt es kaum noch im Spiel des Kolumbianers. Luhukay hat es verstanden, wann er bei Ramos ein Auge zudrücken und wann er ihn fordern muss. Dass Ramos über einen neuen Vertrag verhandelt und noch zur WM will, hat der Motivation sicher auch nicht geschadet. Doch Ramos verrichtet auch taktisch wichtige Laufarbeit. Die Vergleiche mit der Treffsicherheit des verliehenen Pierre-Michel Lasogga hinken daher stets.

PERSPEKTIVE Der Aufsteiger Hertha BSC überwintert auf einem Europapokalplatz. Was ist davon zu halten? Die Berliner sprechen selbst vom Klassenerhalt. Das ist verständlich und demütig, aber in Abstiegsnöte werden sie kaum noch kommen. Ein ähnlicher Absturz wie vor zwei Jahren deutet sich nicht an. Hertha hat kein Spiel durch Glück oder Geniestreiche eines Einzelnen gewonnen. Praktisch jeder der 28 Punkte ist hart erarbeitet und verdient. Es ist noch keinem Bundesligisten gelungen, die Berliner Defensive auseinanderzuspielen, auch Bayern und Dortmund nicht. In der Rückrunde werden sich mehr Teams auf die Hertha-Spielweise einstellen, der Respekt wird wachsen. Wenn Hertha gegen ultradefensive Teams noch mehr Lösungen findet und Konkurrenten wie Schalke mitspielen, könnte es sogar etwas werden mit dem Europapokal. Aber selbst bei einem Abrutschen ins Mittelfeld bleibt es eine außergewöhnliche Saison des Aufsteigers aus Berlin.

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