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Herthas Krise: Hurra, wir leben noch

Hertha zieht Zuversicht aus dem Spiel in München – das Ergebnis scheint dabei nicht so wichtig zu sein. Und immerhin gibt es mit Timo Ochs einen neuen Torwart.

Lucien Favre gelang wenigstens noch eine symbolische Geste, dann musste Knut Kircher leider von Amts wegen einschreiten. Torben Hoffmann hatte den Ball bereits auf den Elfmeterpunkt zum finalen Shoot-out gelegt, an der Mittellinie standen die Spieler von 1860 München und Hertha BSC, erst dann entdeckte Schiedsrichter Kircher direkt hinter den Berlinern deren Trainer Favre. So viel Nähe ist natürlich nicht zulässig. Favre hob entschuldigend die Hand und begab sich zurück zur Trainerbank. Immerhin hatte er nachweislich den Kontakt zu seinen Spielern gesucht, ihnen in schwerer Stunde beistehen wollen. Nach all den Spekulationen um das angeblich zerrüttete Verhältnis zwischen Trainer und Mannschaft war das mal ein deutliches Zeichen.

Hertha macht gerade schwere Zeiten durch: Tabellenletzter in der Fußball- Bundesliga nach fünf Niederlagen hintereinander und jetzt auch noch das Aus in der zweiten Runde des DFB-Pokals gegen 1860 München, den Dreizehnten der Zweiten Liga – die Berliner hätten allen Grund, sich noch tiefer in ihre herbstliche Depression zu stürzen. Stattdessen fand es Manager Michael Preetz sehr positiv, „wie die Mannschaft auf die kritischen Stimmen reagiert hat“.

Man muss das verstehen: Die Berliner lechzen nach allem Positiven, das sie zu fassen bekommen. Und wenn man das Ergebnis gegen die Sechziger einmal ausklammerte (3:6 nach Elfmeterschießen), war das am Mittwochabend für die Hertha des Herbsts 09 schon vergleichsweise viel. „Wenn ich mir die zweite Halbzeit anschaue, können wir optimistisch sein“, sagte Favre. In dieser zweiten Halbzeit machte Hertha aus einem 0:2 ein 2:2 und fand dabei zumindest temporär zu spielerischer Dominanz zurück. Dass die Mannschaft einen biederen und mittelmäßigen Zweitligisten dominierte, dessen Kräfte zudem zusehends schwanden, kann man ja ruhig mal außer Acht lassen.

„Wir hatten mehr Torchancen als in der ganzen Saison“, sagte Pal Dardai. „Wir haben die Zweikämpfe angenommen, haben saubere Angriffe gespielt – die ganze Mannschaft hat gut mitgemacht.“ Die scheinbare Wende im Spiel war auch ein Erfolg für Trainer Favre. Mit seinen drei Einwechslungen nach der Pause befreite er seine Mannschaft aus der Lethargie. Lukasz Piszczek belebte das Spiel über die rechte Seite; er schlug die Flanke, die der ebenfalls eingewechselte Waleri Domowtschiski zum 2:2 einköpfte – vergab allerdings auch mehrere klare Chancen zum Sieg. Einmal hatte Piszczek Gabor Kiraly im Tor der Münchner schon umspielt, doch dann traf er nur den Pfosten.

„Hertha hat einen guten Charakter“, sagte Kiraly. Niemand verkörperte diesen Charakter besser als Gojko Kacar. Zwei Wochen hatte der Serbe wegen eines Blutergusses im Oberschenkel verletzt gefehlt, nur einmal konnte er mit der Mannschaft trainieren, doch gegen 1860 schickte Favre ihn nach einer Stunde als letzte Rettung aufs Feld. „Ich war sehr müde“, berichtete Kacar später. Er konnte kaum sprinten, trotzdem leitete er mit einem dynamischen Vorstoß den Anschlusstreffer durch Adrian Ramos ein.

„Die Moral ist intakt“, sagte Preetz. „Die Mannschaft lebt.“ Die Frage ist, wie sie damit umgeht, für ihren Aufwand wieder nicht belohnt worden zu sein. „Ich hätte es der Mannschaft gegönnt“, sagte Kapitän Arne Friedrich. „Sie hat genug auf die Fresse bekommen.“ Schon heute wird Hertha zur Vorbereitung auf das Bundesligaspiel am Sonntag in Hoffenheim ein Trainingslager beziehen. „Wir brauchen das in dieser schwierigen Situation“, sagt Favre. „Da können wir intensiver arbeiten und mehr miteinander sprechen.“

Bei dieser Gelegenheit könnte Favre dann auch Sascha Burchert erklären, wie er sich dessen nähere Zukunft vorstellt, nachdem Hertha den derzeit arbeitslosen Torhüter Timo Ochs verpflichtet hat. Der 27-Jährige war bis Ende der vorigen Saison bei Red Bull Salzburg angestellt, hat gestern erstmals in Berlin trainiert und könnte schon gegen Hoffenheim für den verletzten Jaroslav Drobny im Tor stehen. Dabei hat Favre noch vor einer Woche über Burchert, 19, gesagt, dass er totales Vertrauen in ihn habe. Entweder hat Burchert dieses Vertrauen maßlos enttäuscht, was Favre bestreitet – oder Burchert ist ein Opfer der Verhältnisse geworden. Hertha kann sich personelle Wagnisse im Moment einfach nicht leisten.

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