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Frommer Wunsch oder realistische Perspektive? Die Berliner blicken personell weitgehend unverändert ins Ungewisse.

© dapd

Herthas Mitgliederversammlung: Gegenbauers Gesamtsieg

Die Hertha-Opposition wollte Revolution gegen Gegenbauer und Preetz - und ist am Ende selbst kaum existent. Dennoch hat die verkorkste Saison tiefe Risse im Klub-Zusammenhalt hinterlassen.

Das eine oder andere Mitglied war bereits eingenickt, als Michael Sziedat das Auditorium im Saal 1 des ICC noch einmal in emotionale Höhen führte. Es war exakt 40 Minuten nach Mitternacht, als der ehemalige Hertha-Profi bei der seit mehr als fünf Stunden andauernden Mitgliederversammlung ans Rednerpult trat und totale Konsequenz demonstrierte.

Sziedat gehört zur selbsternannten Opposition von Hertha-Mitgliedern, die sich auch aus dem Hertha-Präsidium rekrutierte. Sie hatte ihre Leute für den Dienstag mit blauen T-Shirts ausgestattet, auf denen stand: „Präsidiumswahl 2012. Zeit für Veränderungen.“ Unmissverständlich hatten Sziedat und andere, etwa Präsidiumsmitglied Ingmar Pering, deutlich gemacht, dass es aus ihrer Sicht mit Michael Preetz, dem Geschäftsführer Sport, nicht mehr weitergehen könne. Ihr Tenor lautete: Preetz muss weg, und wenn Gegenbauer, der Präsident, dann auch geht, dann sei das eben so. Wir können auch anders, wir können es auch selbst, lautete das unausgesprochene Motto dieser Herren. Michael Sziedat war es vorbehalten, dies auch nochmals mit einer enormen Wucht zu betonen, obwohl zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon fast alles gelaufen war – gegen die Opposition und für Werner Gegenbauer.

Sehen Sie hier die Bilder von Herthas Mitgliederversammlung:

Sziedat rief ins Publikum und zeigte dabei mit einem Arm zum Platz des alten Präsidiums, auf dem die Geschäftsführer Schiller, Preetz und Gegenbauer fast die gesamte Zeit über ausharrten: „Ihr wollt ja gar keine Veränderung, es soll alles so weitergehen. Alles soll bleiben, wie es ist. Das kann doch nicht sein.“ Dann sprach er den „Michael“ persönlich an und machte ihn erneut verantwortlich für die vergangenen drei Jahre, für zwei Abstiege und eine katastrophale Außendarstellung.

Herthas turbulente Saison im großen Bilder-Rückblick:

Viele Mitglieder klatschten noch einmal vehement, aber die Zeit, um doch noch eine Wende herbeizuführen, einen „Neuanfang“, den sich Sziedat wünschte, war vorbei. Spätestens als der Fußballer, der noch immer in der Mannschaft über 60 Jahre (Ü 60) erfolgreich bei Hertha kickt, keine lästigen Fragen mehr beantworten wollte und einfach davonstapfte, war klar: Es gibt keine Opposition mehr. Sziedat wurde mit Pfiffen verabschiedet, am Ende wurde er nicht einmal ins erweiterte Präsidium gewählt.

Um 0.11 Uhr hatte Gegenbauers Gesamtsieg im Prinzip festgestanden. Er selbst war da schon mit einem beachtlichen Ergebnis von 73,2 Prozent zum zweiten Mal nach 2008 zum Präsidenten gewählt worden. Dann votierten von den noch 2544 Anwesenden 1369 Mitglieder für Gegenbauers Vize-Kandidat Thorsten Manske, der sich, wie Gegenbauer selbst, eindeutig für Preetz positioniert hatte. Später kam beispielsweise auch der junge Marco Wurzbacher ins neu gewählte Gremium, der verantwortlich ist für das Hertha-Portal „Hertha-Inside“ und den Gegenbauer „sehr schätzt“. Der bisherige Vize-Präsident Jörg Thomas dagegen, der nichts mehr davon wissen wollte, dass er Preetz eigentlich weghaben wollte, wurde abgewählt. Immerhin schaffte es Ingmar Pering später, wieder ins Präsidium zu kommen. Allerdings war bei ihm zuvor bei seiner kurzen Vorstellung plötzlich keine Rede mehr von Preetz, stattdessen sagte Pering, er habe doch nur eine Diskussion anstoßen wollen. Auf die Frage, ob er mit seinen Äußerungen im Vorfeld zur Zerrissenheit des Klubs beigetragen habe, antwortete er: „Nein.“ Letztlich entschieden sich die Mitglieder wohl auch deshalb für ein „Weiter so“, weil kein Oppositioneller eine ernsthafte Alternative aufzeigen konnte. Um 2.44 Uhr waren schließlich alle Wahlen vollbracht.

Die verkorkste Saison hinterlässt tiefe Risse im Klub-Zusammenhalt

Zuvor hatte es in der Kandidatenvorstellung immer wieder bis ins Persönliche gehende Fragen und Vorwürfe gegeben. Man hatte manchmal das Gefühl, man sei beim sogenannten „Kandidatengrillen“ der Piratenpartei gelandet. Da war es zwischendurch angenehm zu beobachten, dass die Mehrheit der Mitglieder sich deutlich dagegen aussprach, nach den DFB-Gerichtsurteilen auch noch das Schiedsgericht anzurufen, um ein Wiederholungsspiel gegen Düsseldorf zu erstreiten. Das Signal war: Lasst es gut sein. Und das ist auch Gegenbauers Haltung, auch wenn er es am Dienstag nicht öffentlich sagte.

Trotzdem lässt doch die Heftigkeit mancher Vorwürfe darauf schließen, dass die verkorkste Saison tiefe Risse im Klubzusammenhalt hinterlassen hat. Das zeigten auch die vielen Pfiffe und Buh-Rufe gegen Michael Preetz. Der Nachfolger von Dieter Hoeneß tat wenig, um die Herzen zurückzuerobern. Er redete hölzern und wenig selbstkritisch. Einmal nahm er das Wort „Schuld“ in den Mund. Er sagte, jenseits der juristischen Aufarbeitung des Relegationsspiels sei er „Sportler genug, um die Schuld bei uns zu suchen“.

Sehen Sie hier Herthas Kampf vor dem Sportgericht in Bildern:

Ansonsten kamen weder Worte der Demut noch der Entschuldigung über seine Lippen. Preetz setzte auf die Wirkung des von ihm verpflichteten Trainers Jos Luhukay, der ebenfalls sprach und bei den Fans einen guten Eindruck hinterließ. Nach einigen Sätzen zur Zukunft, in denen Preetz versprach, dass man sich intensiver um den Nachwuchs kümmern werde und im Trainerteam der Profis extra einen zweiten Assistenztrainer verankern werde, als „Karriere-Coach für die Talente“, enthüllte er das neue Hertha-Trikot. Auch hier war eine kleine Botschaft Absicht: die Fahne pur auf dem Trikot. Diese Fahne ist das alte Wappen Herthas und hat kein rundes Logo. Was für Außenstehende kaum verständlich war, ist für die Fans eine Herzensangelegenheit. Beifall für Preetz. Der hatte sich ein eigenes Motto für die Zukunft ausgedacht: „Fahne pur, Fußball pur.“ So soll Hertha Fußball spielen. Da passte es, dass Jos Luhukay versprochen hatte, wieder erfolgreichen und schönen Fußball spielen zu lassen. Allerdings hatte Luhukay auch ein paar Anmerkungen untergebracht, die man als Kritik an Herthas jüngster Vergangenheit interpretieren konnte. Er werde sehr auf den „Charakter“ der Spieler achten, und Hertha müsse „ganz neue Strukturen“ aufbauen.

Marco Wurzbacher, der neue Mann im Präsidium, sprach von einem „Masterplan“, den Hertha brauche und zitierte die Musikgruppe „Sportfreunde Stiller“: „Wir haben nicht die höchste Spielkultur, sind nicht gerade filigran, doch wir haben Träume und Visionen und in der Hinterhand ’nen Masterplan.“ Wurzbacher will Hertha eine Art Grundphilosophie verordnen: Wer sind wir, wohin wollen wir, wie schaffen wir das? Preetz guckte skeptisch bei Wurzbachers Worten, der Manager hatte davon gesprochen, man müsse wieder „erlebbarer, nahbarer“ werden. Gegenbauer wiederum hatte sehr gehofft, dass Wurzbacher gewählt würde.

Eine von seinen Ideen hat Wurzbacher am Dienstagabend übrigens noch nicht eingebracht: die Position eines Sportdirektors separat zu besetzen. Preetz darf sich der Loyalität von Gegenbauer gewiss sein, aber nicht auf ewig.

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