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Die Radikalität von Glück und Pech. Für Werner Gegenbauer, den Kopfmenschen, ist Fußball ein Raum, in dem er sich dem Rationalen entzieht, denn Fußball ist irrational und voller Adrenalin.

© Matthias Koch

Herthas Präsident: Werner Gegenbauer: Nur verlieren kann er nicht

Werner Gegenbauer will am Dienstag wiedergewählt werden – als Präsident von Hertha BSC, dem Club im Abstiegsdrama. Er ist erfolgreicher Unternehmer, hemdsärmeliger Netzwerker und wirkungsvoller Politeinflüsterer. Das Management des Vereins ist ihm trotzdem entglitten.

Es war einmal ein Vater, der feuerte seinen Sohn aus dem eigenen Familienbetrieb. Der Sohn ließ sich das nicht gefallen und klagte dagegen. Nun ist der Vater schon lange tot, aber der Sohn, der morgen 62 Jahre wird, hat das Unternehmen vom Putzbetrieb zu einem nationalen Konzern gemacht. Er ist einer der reichsten und einflussreichsten Berliner Unternehmer geworden und hat dem Vater gezeigt, was er drauf hat. Dieser Mann, um den es hier geht, läuft nicht weg, wenn es mal schlecht läuft. Und selbst der Vater bekam zu spüren, was sich der Sohn vorgenommen hatte: nie als Verlierer gehen.

So will er es jetzt wieder handhaben, denn er, Werner Gegenbauer, ist Präsident des Berliner Fußballklubs Hertha BSC. Am Dienstag stellt er sich den Mitgliedern zur Wahl. Unter normalen Umständen wäre das Amt ein Thron und die Wahl eine Formalie. Aber bei Hertha ist in diesen Tagen nichts normal. Der Hauptstadtklub ist in großen Turbulenzen.

An einem sonnigen Morgen Ende Mai ist Gegenbauer wie immer um kurz nach sieben Uhr morgens in seinen Sportwagen gestiegen und in sein Büro nach Mitte gefahren. Am Telefon hat er nur widerwillig zugestimmt, dass man ihn besucht und hat klargestellt, dass er so kurz vor der Mitgliederversammlung nicht über sich reden will. Um acht Uhr trinkt Gegenbauer Kaffee und eine Cola Zero, dazu pafft er Zigarre. Er wirkt wie ein normaler freundlicher Herr in den besten Jahren, gesunde Hautfarbe, gepflegtes Äußeres, nur der permanente Anflug von Spott und Ironie in den Gesichtszügen verrät, dass dieser Mann gerne ein Rätsel ist.

Gegenbauer sitzt am wuchtigen Konferenztisch, der den Großteil seines weitläufigen Büros einnimmt. Hinter seinem Schreibtisch hängt ein Bild vom Olympiastadion, schräg davor ein riesiger Flachbildschirm, der die Wirkung des Raums einschränkt, aber offenbar nötig ist. Gegenbauer bläst seine schlechte Laune mit dem Zigarrenrauch in die Luft. Er erklärt geduldig, warum sein Klub Probleme hat und was alles schiefgelaufen ist. Er lässt sich dabei keine Emotion anmerken, in jedem Wort steckt die Überzeugung, im Grunde richtig zu liegen. Viel Schicksal, wenig Schuld? Auf solche Fragen geht er gar nicht ein.

Nur für einen einzigen Augenblick lässt er zu, dass man denkt, er zweifle ehrlich an seinem Tun. Da geht es nicht um Hertha, sondern um den Vater. Gegenbauer sagt, er habe ihn ja mit der Kündigungsschutzklage nicht persönlich vor Gericht gezerrt, er sei auch im Recht gewesen. Als wenn das etwas am Vater-Sohn-Konflikt ändern würde. Aber ja. Man hätte die Sache auch anders regeln können.

Am Dienstag muss er seine Sache regeln, will er Präsident bleiben in diesem Klub, der nach der Ära des Managers Dieter Hoeneß innerhalb von drei Jahren zweimal abgestiegen ist, fünf Trainer verbrauchte und hohe Schulden hat. Am Freitagabend verlor Hertha dazu noch das Berufungsverfahren vor dem Bundesgericht des Deutschen Fußball-Bundes. Dort wollte der Verein unbedingt eine Wiederholung des Spiels gegen Düsseldorf erzwingen, weil die Zuschauer vor Spielende den Platz gestürmt hatten. Diese ganze Hertha-Story ist Drama und Lachnummer zugleich. Und nun steht, in Liga zwei, nicht nur der gute Ruf auf dem Spiel, sondern auch die wirtschaftliche Existenz.

Herthas Kampf vor dem Sportgericht in Bildern:

Das passt eigentlich nicht zu dem Unternehmersohn Gegenbauer, der für Seriosität steht. Schritt für Schritt führte er den Familienbetrieb in das Zeitalter des modernen „Facility Management“ und unter die zwölf umsatzstärksten Firmen Deutschlands in dieser Branche. 402,6 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2011, rund 15 000 Mitarbeiter bundesweit, ausgezeichnet als bester Ausbildungsbetrieb Berlins. Wie kann so einem Profi das Management eines Fußballvereins aus den Händen gleiten?

Die Firma Gegenbauer ist sportaffin, sie fördert junge Athleten, damit sie es zu den Olympischen Spielen schaffen. Gegenbauer selbst hätte gerne Sport studiert, aber der Vater hatte etwas dagegen. Als Privatmann ist er in zahlreichen Fördervereinen tätig, Deutsches Historisches Museum, Komische Oper, Berlinische Galerie, Behandlungszentrum für Folteropfer. Er holte für den Leichtathletikverband die Weltmeisterschaft 2009 fast im Alleingang an die Spree. Wäre es nach ihm gegangen, Berlin hätte sich erneut für die Olympischen Spiele beworben. Und dann geht er ausgerechnet auch noch zu Hertha BSC, erst als Aufsichtsrat und seit 2008 als Präsident, ein Klub, dem immer etwas Provinzielles anhaftete, während Gegenbauer sich auf internationalem Parkett bewährte.

Es gibt keinen Gegenkandidaten am Dienstag, aber in Gegenbauer brodelt es. Er sieht sich herausgefordert von zu viel „Illoyalität“. Andere Präsidiumsmitglieder haben öffentlich den Kopf von Michael Preetz gefordert, den verantwortlichen Geschäftsführer Sport, seinen Mann. Damit haben die Kritiker auch ihn angegriffen. Das kann er nicht leiden. Nicht so, hinten rum. Deshalb hat er öffentlich seine Spielregeln diktiert: Er stehe nur für einen Wahlgang zur Verfügung. Rums! Sollen die sehen, ob sie es wagen, ohne ihn klarzukommen.

Gegenbauer ein "Glücksfall für Berlin"

Normalerweise regelt der Netzwerker seine Probleme über gute Beziehungen. Der ehemalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen bezeichnete ihn 2001 als „Glücksfall für Berlin“. Gegenbauer war ein sehr guter Bekannter vom einflussreichen CDU-Mann Klaus Landowsky und ist heute ein sehr guter Bekannter von Klaus Wowereit. Zwei der aktuellen Senatoren, Mario Czaja (CDU) und Sybille von Obernitz (parteilos), haben für ihn gearbeitet. Czaja in seiner Firma. Gegenbauer war auch mal Vorsitzender der Gebäudereinigerinnung, ein kleineres Licht, aber von 1997 bis 2004 war er Präsident der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK). In der Zeit war Obernitz für ihn tätig. Heute trägt er den Titel „Ehrenpräsident“. Er hat sich dort hineingewuchtet, in die Welt der Einflussreichen. Und einflussreich war er. Als Wowereit eine rot-rote Koalition anvisierte, forderte Gegenbauer sinngemäß: Wenn ihr schon mit den Linken koaliert, müssen die ihren besten Mann zum Wirtschaftssenator machen. Gregor Gysi wurde es, und Gegenbauer brachte seinen besten Mann aus der IHK bei Gysi als Staatssekretär unter. Kurz davor, Ende 2001, gehörte er mit zu den Gründern des Capital Clubs, dieses ersten privaten Businesszirkels über den Dächern des Gendarmenmarkts.

Obwohl Gegenbauers politischer Einfluss schwindet, bleibt er ein gefragter Mann. Vor einem Jahr leitete er die Reise einer Wirtschaftsdelegation des Regierenden Bürgermeisters nach Saudi-Arabien. Es gibt in der Stadt nicht viele Personen, denen solche Aufgaben anvertraut werden. Aus dem Umfeld Wowereits heißt es, er und Gegenbauer seien ein „eingespieltes Team“. Gegenbauer sei einer der Wenigen, die als Berliner Unternehmer „Bundesliga-Niveau“ hätten, weil er über ein deutschlandweites Netz verfüge und „die Welt kenne“. Unternehmer, die dabei waren, beschreiben ihn als „souverän und humorvoll“. Eine seiner großen Stärken ist, Menschen für sich zu gewinnen, dafür braucht er kein Business-Englisch.

Interessant ist nur, dass selbst die, die ihn durchweg loben, nicht zitiert werden möchten. Ein Unternehmer, der mit in Saudi-Arabien war, schwärmte in höchsten Tönen. Auf die Frage, warum er das nicht öffentlich sagen könne, antwortete er: „Der hat ein gigantisches Telefonbuch.“

Der Bildhauer und Maler Volker Bartsch kennt Gegenbauer seit mehr als 15 Jahren und beschreibt ihn als einen „einfühlsamen und unglaublich schnell denkenden Menschen“. Er habe nie Schwierigkeiten, „sich sofort eine Meinung zu bilden“, sagt Bartsch. Einmal kam Gegenbauer in sein Atelier und sah in einer verstaubten Ecke eine Gussform aus Metall und Bronze stehen, ein seltenes Industrierelikt aus dem Jahr 1880, von dessen markantem Rot er angezogen schien. „Eigentlich war das der Anfang einer Serie, unfertig, aber Gegenbauer wollte es unbedingt haben. Es war nicht mit ihm zu reden.“ Bartsch schätzt es, dass er mit Gegenbauer keine „philosophischen Kunstdebatten“ führen müsse. „Der sieht nur, was er sehen will.“

Andere sehen Gegenbauers Konsequenz kritischer. Petr Stastny, Inhaber von „Adjouri & Stastny“, eine Agentur für Sportkommunikation, hat Gegenbauer bei der Bewerbung für die Leichtathletik-WM begleitet. Stastny findet, Gegenbauer habe sehr viel bewirkt, weil er ein „sportbegeisterter Lokalpatriot“ sei. Er hält ihn aber auch für einen „Blitzmerker“, der sofort in die Richtung marschiere, in die er will. „Für diese Richtung holt er sich ein Team. Aber er selbst ist kein Teamplayer.“

Sehen Sie hier Herthas kuriose Abstiegssaison in Bildern:

Wer Gegenbauer wegen seiner Hemdsärmeligkeit unterschätzt, hat verloren. Gegenbauer ist in Berlin geboren, Abitur in Wilmersdorf, Lehre in dem 1925 von Carl Gegenbauer gegründeten Unternehmen für Glas- und Messingreinigung. Nach der Wende, als die Berlin-Förderung weggefallen war, blieb er der Stadt treu. Der Vater hat ihn Fenster putzen lassen, der Sohn baute neben der Lehre mit einem Freund ein eigenes Unternehmen auf: 500 Mitarbeiter nach zwei Jahren! Aber der Vater bat den Sohn, zurückzukommen, und hielt ihn dann doch klein. „Für den Vater war er immer nur der Junge“, sagt einer, der in der Firma gearbeitet hat.

Er war in so vielen wichtigen Aufsichtsräten, früher etwa in der Landesbank, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) oder auch im Immobilienunternehmen Aubis. Gegenbauer, sagt einer, der ihn gut kennt, ist „schlau“ und bis heute ein Meister im Besetzen von Aufsichtsratsposten, die strategisch mit seinem Geschäft zu tun haben.

Aber nie ist er hineingezogen worden in den Sumpf an Verdächtigungen gegen den Berliner „Filz“, nicht beim Bankenskandal, nicht bei der Tempodromaffäre, nicht als die WBM beinahe Pleite ging. Einem Reporter sagte er vor Jahren: „Sie kriegen mich nicht.“ Offen blieb, ob er damit meinte, dass er sauber sei oder Leichen im Keller habe, die niemand finden werde. Gegenbauer kann kumpelhaft und distanziert zugleich sein. Bekannte aus seinem Tennisklub am Roseneck rühmen sein „Talent zu kommen und wieder zu gehen“. Er selbst hat erklärt: „Ich bin Fensterputzer, ich kenne die Hintertüren.“

Ohnehin geht er, wohin er will. Er ist ja längst frei und unabhängig, seine drei Töchter sind aus dem Haus, er und seine Frau pendeln zwischen der Schweiz und Berlin, die Firma weiß er in guten Händen. Ein Wegbegleiter sagt, die Sache mit Hertha habe auch damit zu tun, dass er noch nicht zum alten Eisen gehören wollte. Noch etwas bewegen, aufbauen, dafür kann sich Gegenbauer immer begeistern.

Mit Gegenbauer über Preetz zu diskutieren, hat keinen Sinn

Und Fußball hatte immer schon eine magische Anziehungskraft auf ihn. Es gibt Leute, die glauben, dass Gegenbauer den Emotionen und radikalen Ausschlägen von Glück und Pech im Fußball verfallen sei. Hier entzieht sich Gegenbauer dem Rationalen, wenigstens auf der Tribüne. Fußball ist das Gegenteil von Gebäudereinigung: Er ist irrational und voller Adrenalin; ehrlich prollig und gesellschaftsfähig zugleich. Wie Gegenbauer.

Es gibt andere, ehemalige Geschäftspartner, die sagen, Gegenbauer würde niemals ein Geschäft eingehen, von dem er nicht auch profitiere. Aus dem Umfeld des Klubs ist zu hören, dass er bis zu 15 Millionen Euro selbst in den Verein gesteckt habe. Ein ehemals hochrangiger Mitarbeiter von Hertha BSC zieht daraus den Schluss, Gegenbauer habe sich den Klub zu eigen gemacht. Seine Befürworter widersprechen, die Motive seien nicht unehrenhaft, „das passe nicht zu seinem Unternehmergeist“. Der ehemalige Geschäftsführer des Olympiastadions, Peter von Löbbecke, sagte mal auf die Frage, ob Gegenbauer ein Machtmensch sei: „Bei dem menschelt es immer.“

In der IHK und in seinem eigenen Unternehmen hat Gegenbauer es geschafft, in die wichtigste Ressource Qualität zu bringen: ins Führungspersonal. Die IHK hat er auf solide wirtschaftliche Füße gestellt und erfolgreich verjüngt, in seinem eigenen Unternehmen ist er selbst nur noch als Aufsichtsrat tätig. Bei Hertha BSC setzt Gegenbauer beharrlich auf Michael Preetz, den ehemaligen Mittelstürmer, der lange Jahre unter Dieter Hoeneß diente und schließlich, als Gegenbauer Hoeneß vorzeitig zum Aufhören zwang, selbst Geschäftsführer Sport wurde. Leistet sich der Managementprofi bei Hertha, bei Preetz, den Luxus von Gefühlen?

Mit Gegenbauer über Preetz zu diskutieren, hat keinen Sinn. Er stellt ihn nicht infrage. Ein Scheitern von Preetz, so sieht das Gegenbauer wohl, wäre auch sein Scheitern. Deshalb knüpft er sein Schicksal an das von Preetz. Dabei war der immer eine Risikoinvestition, allein deshalb, weil er unerfahren war. In der Firma, erzählt ein ehemaliger Mitarbeiter, habe Gegenbauer nach der Devise verfahren: „Wer loyal an seiner Seite steht, mit dem geht er bis zum bitteren Ende.“ Hoeneß war nicht loyal, er dachte, alle müssten ihm gegenüber loyal sein. Er hat nicht verstanden, von welch schmerzhafter Härte Gegenbauer auch gegenüber Freunden sein kann.

Viele der Gegenbauer-Spezies, Leute aus Wirtschaft und Politik, gehen zu Hertha BSC ins Stadion. Spricht man mit ihnen, wünschen sie ihm „ein Team an die Seite“, „ein Korrektiv“, aber sie wollen ihm nicht wehtun. Ein guter Unternehmerfreund findet, dass allein Gegenbauers Erwiderung auf die Kritik des Grünen-Politikers Jürgen Trittin zeigte, wie „unglücklich“ der Präsident agiere. Trittin hatte von einem „suizidal veranlagten Management“ gesprochen, Gegenbauer hatte wenig elegant gekontert: „Einfach mal Fresse halten.“

Bis vor einigen Jahren spielte Gegenbauer in seinem Tennisklub auch Fußball. Ein Mitspieler sagt: „Auf dem Platz verhält er sich nicht gerade mannschaftsdienlich.“ Gegenbauer kann sehr über sich selbst lachen, aber es gibt Grenzen. Wenn er sich unfair behandelt fühlt, wird er bissig. Einmal fragte ihn ein Jungunternehmer auf einem Empfang der noblen Weberbank: „Und Ihr Vater war Fensterputzer?“ Gegenbauer erwiderte kühl: „Nein, das haben Sie nicht begriffen. Mein Vater und ich sind Unternehmer.“

In der Wirtschaft werden die Gebäudereiniger belächelt, die machen den Dreck weg. Dabei gehört Gegenbauers Business zu den Schlüsselbranchen der deutschen Industrie. Trotzdem sollte man Werner Gegenbauer nicht zu akademisch kommen, sonst knurrt er: „Abitur hab ick och!“

Fairness, Stolz, ehrliche Anteilnahme sowie harter Geschäftssinn und ein gewisser Hang zum Minderwertigkeitskomplex liegen bei Gegenbauer sehr dicht beieinander. „Präsidieren und kontrollieren“, nennt ein Wegbegleiter sein System und sagt, der mache das nicht aus Boshaftigkeit oder Machtgier, mehr aus „Verantwortung“. Er hat den Karren da mit reingesetzt, und jetzt will er ihn auch wieder rausholen. Für ihn sei das eine Frage der Ehre: kein Verlierer zu sein.

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