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Endlich energisch. Alfredo Morales (links) war bei Hertha lange Zeit ein Mitläufer, jetzt will er seine unverhoffte Chance nutzen.

© dpa

Herthas Rotation: Überraschung als Prinzip

Bei dem 1:0-Sieg über den VfR Aalen verhilft Herthas Trainer Jos Luhukay Alfredo Morales zu seinem Saisondebüt in der Zweiten Liga.

Der Termin zwei Stunden vor dem Spiel ist natürlich eine Pflichtveranstaltung. Da gibt es für die Profis von Hertha BSC die letzten Informationen und Instruktionen, dazu die Aufstellung für die anstehende Begegnung. Peter Niemeyer würde die Veranstaltung vermutlich selbst dann besuchen, wenn die Teilnahme freiwillig wäre – weil Trainer Jos Luhukay in den Mannschaftssitzungen immer für die eine oder andere Überraschung gut ist. „Das macht es so spannend“, sagt Niemeyer. „Sonst würde man ja da hingehen und einschlafen.“ Luhukay hat seine Spieler auch am Samstag nicht enttäuscht. Als er die elf Spieler für die Begegnung gegen den VfR Aalen benannte, fielen zwei Namen, die wohl die wenigsten in der Anfangsformation erwartet hatten: Alfredo Morales und Marvin Knoll.

Die beiden 22-Jährigen aus dem eigenen Nachwuchs hatten bisher einen – vorsichtig ausgedrückt – bescheidenen Anteil an Herthas erfolgreicher Spielzeit in der Zweiten Liga. Knoll stand am zweiten Spieltag, bei der einzigen Saisonniederlage gegen den FSV Frankfurt, letztmals in der Startelf, seitdem war er dreimal eingewechselt worden. Morales kam beim 1:0- Sieg in Aalen sogar zu seinem Ligadebüt. Nur beim Pokalaus gegen den Viertligisten Worms hatte er in dieser Saison für die Profis gespielt – zur Pause wurde er ausgewechselt. In Aalen durfte er nun gleich den gelbgesperrten Peer Kluge im zentralen Mittelfeld ersetzen. „Der Junge hat es verdient“, sagte Luhukay zu Morales’ Beförderung in die Startelf.

Unberechenbarkeit ist bei Herthas Trainer ein Stilmittel. Als Niemeyer beim Jahresauftakt in Regensburg ausfiel, rechneten alle damit, dass Lewan Kobiaschwili seinen Platz einnehmen würde. Doch der Georgier stand nicht einmal im Kader. Luhukay besetzte die Stelle stattdessen mit dem gelernten Innenverteidiger Roman Hubnik. Ob er auch gelegentlich von seinem Trainer überrascht werde, wurde Peter Niemeyer gefragt. „Immer wieder“, antwortete Herthas Kapitän.

Doch Luhukays überraschende Personalien sind weder Selbstzweck noch Willkür. „Ich will ihm auch nicht irgendwelche Schikanen unterstellen“, sagt Niemeyer. Vielmehr zeigt sich, dass Luhukay immer wieder aufs Neue entscheidet, welche Mannschaft für das jeweilige Spiel und den jeweiligen Gegner die beste ist – ohne auf Einzelschicksale oder große Namen Rücksicht zu nehmen. So bot der Holländer angesichts der desaströsen Platzverhältnisse in Aalen eben keinen Künstler wie Änis Ben-Hatira auf, sondern den eher robusten Knoll. Luhukay besitzt personelle Möglichkeiten wie kein anderer Trainer in der Zweiten Liga – und er macht ausgiebig davon Gebrauch.

Die positive Nebenwirkung der anhaltenden Rotation ist, dass Herthas Trainer die Unzufriedenheit bei seinem Personal einigermaßen in Grenzen hält. Wie fast jeder völlig unerwartet auf der Tribüne landen kann, kann auch jeder Spieler von der Tribüne ebenso plötzlich in die Startelf zurückkehren. So wie Alfredo Morales in Aalen. Den US-Nationalspieler hatten nur noch die wenigsten auf dem Schirm. Als Morales Anfang des Jahres für drei Wochen ins Trainingscamp der US-Nationalmannschaft reiste, während im Verein der Kampf um die Stammplätze in die heiße Phase ging, galt das vielen als klares Indiz dafür, dass er mit Hertha schon abgeschlossen habe. Das Gegenteil ist der Fall. „Es hat ihm gut getan, in einem anderen Umfeld zu sein“, sagt Luhukay. Morales wirke frischer und unbekümmerter, seitdem er aus den USA zurück ist.

„Das ist so“, bestätigt Morales. „Warum, das kann ich nicht sagen. Irgendwas ist da mit mir passiert.“ US-Nationaltrainer Jürgen Klinsmann bescheinigte ihm zum Abschluss des Lehrgangs viel Talent und gab ihm den Rat, so weiterzumachen. Das gilt jetzt auch wieder für Hertha – selbst wenn seine kurzfristige Perspektive im defensiven Mittelfeld alles andere als verheißungsvoll ist. Niemeyer und Kluge sind für Luhukay sakrosankt. Trotzdem sagt Alfredo Morales, dass sein Ligadebüt „Lust auf mehr gemacht“ habe.

Kapitän Niemeyer hält seine Entwicklung für „sinnbildlich für die Jungen“. Es habe ein Umdenken bei ihnen stattgefunden. Heißt: Sie sind „ein Stück weit professioneller“ geworden. In den vergangenen Jahren wurde bei Hertha immer mit dem Nachwuchs gehadert, weil er zwar irgendwie dabei war, aber nie richtig mittendrin. Das trifft auch auf Morales zu, der im Dezember 2010 sein Debüt in der Zweiten Liga feierte; seitdem aber kamen für ihn, bis Samstag, in mehr als zwei Jahren nur noch zehn Einsätze bei den Profis hinzu. „Inzwischen haben wir junge Jungs, die ihren Mann stehen“, sagt Niemeyer. John-Anthony Brooks zum Beispiel oder Fabian Holland, die sich längst einen Stammplatz erkämpft haben. Und vielleicht auch wieder Alfredo Morales.

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