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Werder Bremen - Hertha BSC Berlin

© ddp

Herthas Spielstil: Erfolgreich unattraktiv

Lucien Favre wollte Hertha die Offensive lehren, davon ist nach anderthalb Jahren noch nicht viel zu sehen.

Die Woche, an deren Anfang die Aufarbeitung einer bösen 1:5-Niederlage in Bremen stand, wird für Hertha BSC auf jeden Fall erfreulich zu Ende gehen. Der Berliner Fußball-Bundesligist wird am Sonntag wohl den besten Besuch dieser Saison vermelden können. 44.000 Karten waren für das Spiel gegen den Aufsteiger und Tabellenführer Hoffenheim bis gestern verkauft, erstmals in dieser Spielzeit werden wohl mehr als 50.000 Besucher kommen, und ebenfalls zum ersten Mal überschreitet die Zahl den in der Kalkulation angesetzten Schnitt (44.000). „So viel bringt nicht jeder Aufsteiger“, sagt Herthas Manager Dieter Hoeneß.

Der dürre Publikumszuspruch war zuletzt ein wichtiges Thema bei Hertha BSC. Dass nun der Dorf- und vermeintliche Retortenklub Hoffenheim den Berlinern das Stadion voll macht, ist ein guter Witz. Man könnte auch sagen: Die Berliner freuen sich, endlich mal den offensiven und attraktiven Fußball zu sehen, der ihnen seit anderthalb Jahren versprochen wird. Von Hertha versprochen wird.

Favre wiederholt sich

Die Verpflichtung des Schweizer Meistertrainers Lucien Favre galt einmal als Versprechen auf eine bessere, fußballerisch schönere Zukunft. Davon aber ist immer noch nicht viel zu sehen. Am Donnerstag erkämpfte sich Hertha im Uefa-Cup ein 0:0 bei Metalist Charkow. Manager Hoeneß lobte, dass die Mannschaft sehr gut organisiert aufgetreten sei und wenig zugelassen habe: „Wir haben einen starken Gegner nicht wirklich zur Entfaltung kommen lassen.“ Dass Hertha sich selbst kaum entfaltet hatte, störte die Berliner offensichtlich nicht im Geringsten.

Trainer Favre hatte in Charkow vor der Dreierkette mit drei ausgebildeten Innenverteidigern eine weitere Dreierkette installiert, und im offensiven Mittelfeld spielte Gojko Kacar, der normalerweise seinen Dienst in der Defensive verrichtet. „Wir haben nicht defensiv gespielt“, behauptete Favre. Seine Mannschaft habe sich auch nach vorne gewagt, „gefehlt hat nur der letzte Pass“. Die Klage ist nicht neu: der letzte Pass, zu viele technische Fehler, zu viele Ballverluste für nichts, zu wenig Bewegung. Favre wiederholt sich. Bisher hat man die immergleichen Formulierungen auf seine mangelnden Deutschkenntnisse zurückgeführt. Aber könnte es nicht sein, dass die Mannschaft einfach keine erkennbaren Fortschritte macht?

Wäre Herthas Spiel eine geometrische Figur, dann wäre es ein Kreis: gleichförmig, ohne Richtung, in sich geschlossen. Marko Pantelic ist der Einzige, der regelmäßig aus dem System auszubrechen wagt – auch deshalb hat er bei Favre einen schweren Stand. Aber gerade deshalb lieben ihn die Fans. Er verleiht Herthas Auftritten einen letzten Hauch von Attraktivität, wenn er, wie gegen Benfica Lissabon, den Ball aus dem Nichts in den Torwinkel wuchtet. Sonst aber schafft die Mannschaft keine bleibenden Momente.

Raffael fehlt das Demagogische

In Favres System fehlt das anarchische Element. Der Schweizer hat Spieler geholt, die jung sind, damit er sie nach seiner Vorstellung formen kann. Systemspieler wie Fabian Lustenberger, die in der vorgegebenen Ordnung funktionieren. Selbst der Brasilianer Raffael, Favres Königstransfer, wird das Publikum trotz seiner spielerischen Klasse und taktischen Reife nie von den Sitzen reißen. So wie er über den Platz zu schleichen scheint, fehlt ihm einfach das Demagogische.

Seit Jahrzehnten war die Bundesliga nicht mehr so offensiv wie in dieser Saison. Hoffenheim und Leverkusen sind die Vorreiter des Angriffsfußballs, der HSV hat die Stevens-Fesseln abgeschüttelt, Bremen schon dreimal fünf Tore geschossen. An Hertha aber ist der Trend zur Offensive spurlos vorübergegangen. Nur Cottbus, Frankfurt, Köln und Bielefeld haben sich weniger Torchancen erspielt als die Berliner. Die Hoffenheimer kommen auf exakt doppelt so viele. Und das Erfreuliche ist: Offensive zahlt sich aus. Die Berliner haben in dieser Saison schon viermal zu null gespielt, Hoffenheim erst dreimal, trotzdem liegt der Aufsteiger sechs Plätze vor Hertha. Die Hoffenheimer schaffen das, was die Berliner bisher nicht hinbekommen: Sie verbinden planvollen Systemfußball mit Lust auf Offensive. „Sie haben viel Power nach vorne“, sagt Favre. „Es kommt von überall.“

Trotzdem wäre es kein Widerspruch, wenn Hertha Hoffenheims Siegesserie beendete. Die Berliner sind auf ihre Art durchaus erfolgreich: Sie können jedem Gegner das Leben schwer machen. „Ganz Deutschland fragt: Wer stoppt Hoffenheim?“, sagt Dieter Hoeneß. „Das ist eigentlich eine super Gelegenheit, um auf sich aufmerksam zu machen.“ Nie war es einfacher. Hertha reicht in diesem Fall sogar ein maues 1:0.

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