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Schritt aus dem Schrank. Thomas Hitzlsperger (Mitte) hat in dieser Woche als erster ehemaliger Fußball-Nationalspieler seine Homosexualität öffentlich gemacht.

© dpa

Homosexualität im Fußball: Eine Schutzmauer aus Schweigen

Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling berät Fußball-Bundesligisten und Sportverbände zum Thema Homosexualität. Nun hat der Fall Thomas Hitzlsperger neuen Schwung in die Debatte gebracht.

Tatjana Eggeling blickt aus ihrem Küchenfenster, als sie dieses Bild von Düsternis vor Augen hat. In dieser dunklen Szenerie gibt es einen Mann, der entschlossen drei Schritte nach vorne macht. Ein durchtrainierter 31-Jähriger mit dunkelblonden, kurzgeschnittenen Haaren. Für Tatjana Eggeling ein kleiner Held.

Der Mann heißt Thomas Hitzlsperger. Ex-Fußball-Profi, 52 Länderspiele.

Er hat sich geoutet, er hat eine Debatte in Gang gebracht. Und Tatjana Eggeling sagt: „Viele, die noch im Schrank leben, warten auf jemanden, der raustritt und sich den kalten Wind ins Gesicht blasen lässt.“ Im Schrank leben die anderen schwulen Fußballprofis, die sportlichen Promis, die sich noch nicht outen wollen, die sich nicht trauen. Tatjana Eggeling kennt einige von ihnen. Es gibt in Deutschland wahrscheinlich wenige, die so engen Kontakt mit ihnen haben wie diese schmale Frau, die jetzt in ihrer Wohnung in Berlin sitzt und sagt: „Hitzlsperger ist ein Vorbild. Ich bin ihm sehr dankbar für seinen Schritt.“ Er mache anderen Mut, deshalb. Und er erleichtert Tatjana Eggeling die Arbeit, deshalb auch.

Beraterin, das ist ihr Job. Homosexualität, das ist ihr Thema. Sie berät Bundesligaklubs und Sportverbände, sie hat maßgeblich an der Broschüre über Homosexualität des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mitformuliert, vor allem aber ist sie auch Anlaufstelle für homosexuelle Leistungssportler, die sich mit ihrem Coming Out beschäftigen und nicht wissen, wie sie das am besten machen. Tatjana Eggeling, promovierte Kulturwissenschaftlerin, Mitbegründerin eines Weltverbands für homosexuelle Sportler, hilft ihnen. Mit Tipps, mit ihrer Erfahrung. „Ich will, dass ein unverkrampfter Umgang mit Homosexualität möglich ist“, sagt sie. Ein bisschen ist es auch ihre Mission. Seit acht Jahren ist sie bekannt als Expertin für Homosexualität und Homophobie im Sport. So wurden auch schwule Fußballprofis aufmerksam auf sie.

Hitzlsperger hat auch die Expertin Eggeling überrascht, so wie er die ganze Welt überrascht hat. „Ich hatte mit ihm keinen Kontakt“, sagt sie. Und überhaupt: „Wir wussten alle nicht, wann jemand diesen Schritt machen würde.“ Alle bedeutet, auch die Insider wussten es nicht.

Schon der Gedanke, homosexuell zu sein, ist eine Herausforderung

Tatjana Eggeling hat viele der Reaktionen gelesen, positive Kommentare, aufmunternde Worte. „Hitzlsperger ist ein Eisbrecher, jetzt kann man sehen, dass auch die Medien und viele Sportler und Fans positiv reagieren.“

Was heißt das jetzt für die Menschen, die sich bei ihr melden? Die Sportler, die unter ihrem Leidensdruck stöhnen? Da blickt die 50-Jährige nur wortlos und entschlossen durch ihre Brille, der ohnehin schmale Mund wird noch schmaler. Tabu-Gebiet. Tatjana Eggeling redet nicht über ihre Gesprächspartner. Nicht mal das banalste Detail verrät sie. Eine Schutzmauer aus Schweigen. „Jedes Detail, das ich sagen würde, das würde zu Nachfragen von Medien führen.“ Es geht um ihre Vertrauens- und Glaubwürdigkeit. Und die Leute, die sich bei ihr melden, setzen auf Vertrauen.

Schon der Gedanke, homosexuell zu sein, ist ja eine Herausforderung für viele. Jemanden wie Tatjana Eggeling anzurufen, ist die nächste. Und oft besteht ihre Hilfe erst mal ebenfalls nur aus Schweigen. Sie hört zu, ganz wichtig für ihre Anrufer. Die haben endlich jemanden, mit dem sie offen reden können. „Das ist schon mal eine große Erleichterung.“ Die Erfolgsmomente der Tatjana Eggeling, das sind die Situationen, in denen sie spürt, „dass es dem anderen besser geht“. Egal, was er und was sie dafür gemacht haben.

Die Gesellschaft ist offener für das Thema, das kommt ihr entgegen. Sie spürt das auch bei Bundesligavereinen. Auch hier: Namen sind tabu, aber eine Tendenz ist erkennbar: „Klubs merken, dass sie sich bei diesem Thema mehr um ihre Jungs kümmern müssen, das gilt nicht bloß für den Profibereich. Sie spüren, dass sie in den vergangenen Jahren zu wenig getan haben.“

Manchmal stößt sie aber auch bloß auf pure Hilflosigkeit. „Wir wissen nicht so richtig, wie wir das Thema ansprechen sollen“, diesen Satz hat sie immer wieder von Funktionären gehört. Also sagt sie, wie es geht.

Aber man muss ihr schon zuhören wollen, sie biedert sich nicht an. Die Vereine kommen zu Eggeling, wenn sie Rat brauchen. Diese Bereitschaft ist Grundlage ihrer Arbeit. Und natürlich gibt es bis heute Vereine, die nicht kommen, die offenbar keinen Grund für die Bitte um einen Ratschlag sehen. Welche? Wieder nur dieser entschlossene Blick. Der Mund, ein Schlitz.

Aber vielleicht denken solche Funktionäre ja jetzt um, vielleicht haben sie die Brisanz des Themas erkannt. Oder einfach nur ihren Geschäftssinn. „Ein offener Umgang mit Homosexualität hat natürlich auch mit Geld zu tun“, sagt die Expertin Eggeling. „Die Vereine wollen auch, dass mehr Schwule und Lesben Fanartikel kaufen.“

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