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Thomas Hitzlsperger beim Länderspiel Dänemark gegen Deutschland (2010).

© dpa

Update

Homosexualität im Fußball: Thomas Hitzlsperger: Aus dem Abseits

Wer als Fußballprofi über die eigene Homosexualität sprechen will, der braucht viel Mut. Das ist ein Skandal, meint Bernd Ulrich nach dem Outing von Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger.

Wer denkt, Homosexualität sei doch heute kein Tabu mehr, sich dazu zu bekennen mithin kein Problem, der kennt Schwule und Lesben wahrscheinlich nur aus dem Fernsehen. Denn für den einzelnen Homosexuellen ist es zunächst mal ein Kraftakt, sich selbst einzugestehen, so zu sein, wie man ist; eine weitere Anstrengung ist nötig, um "es" den Eltern und Freunden zu sagen.

Für prominente Homosexuelle kommt ein dritter, wiederum mit Befürchtungen besetzter Akt des Sich-Zeigens hinzu – Guido Westerwelle etwa hat Jahrzehnte damit gewartet, sich öffentlich zu dem zu bekennen, was er außer einem FDPler auch noch ist: schwul. Auch Klaus Wowereit hat sein trotziges, stolzes "Und das ist gut so" erst dann in ein Saalmikro gerufen, als es nicht mehr anders ging.

Und dann sind da bis heute jene Zonen gesellschaftlicher Rückständigkeit, in denen das Thema schlicht nicht existiert, so als gäbe es da gar keine Homosexuellen. Eine dieser Zonen, vielleicht die wichtigste noch verbliebene, ist der Fußballplatz. 5566 Männer haben in fünfzig Jahren Bundesliga professionellen Fußball gespielt, und von keinem einzigen war bis zu dieser Stunde bekannt, dass er schwul ist.

Die Wahrheit ist: Hunderte Spieler hatten Angst, sich zu outen

Der ehemalige Mittelfeldspieler des VfB Stuttgart und frühere deutsche Nationalspieler bricht damit ein Tabu – aber nicht das der Homosexualität, sondern das Tabu der Homophobie im deutschen Fußball, der sich doch sonst so modern und offen gibt. Die schlichte Wahrheit ist: Dutzende, wahrscheinlich Hunderte von Spielern hatten und haben Angst, sich als Schwule zu zeigen. Sie haben aus den "Witzen" unter der Dusche, aus den Sprüchen von der Tribüne, aus den gut gemeinten Ratschlägen ihrer Berater geschlossen, dass es sie ungeheuer viel, wahrscheinlich sogar ihre Karriere kosten würde, wenn sie sich outen.

Auch Thomas Hitzlsperger hat nun bis nach dem Ende seiner Karriere damit gewartet, obwohl er sich seit sechs Jahren mit der Frage beschäftigt und vor längerer Zeit innerlich schon einmal so weit war. Seitdem haben Carolin Emcke und Moritz Müller-Wirth für die ZEIT seinen Weg in die Öffentlichkeit begleitet, mit ihm wieder und wieder das Ob, das Wann und das Wie diskutiert.

Die Tribüne hätte sich an Hitzlsperger ausgetobt

Dass dieser hochreflektierte Mann sich erst jetzt dazu durchringt, sagt nichts über ihn aus, aber alles über die Fußballszene. Denn seine Einschätzung ist kaum zu bestreiten, dass der erste aktive Profi, der sich zu seinem Schwulsein bekennt, noch mal alles abkriegen würde, was der deutsche Fußballfan und -funktionär und -spieler an Homophobie so zu bieten hat. Die Tribüne hätte sich an Hitzlsperger ausgetobt, die Mitspieler wären zumindest verunsichert worden. Keiner hätte erst mal mehr darauf geachtet, wie Thomas Hitzlsperger seine Rolle im defensiven Mittelfeld interpretiert, sondern nur darauf, ob er irgendwie schwul spielt, was immer das sein soll.

Im Spitzenfußball kommt es auf Talent an, auf die Fitness und vor allem auf die Konzentration. Doch wie will sich ein Spieler noch auf das Spielen konzentrieren, wenn halb Fußball-Deutschland an ihm die eigene Schwulenfeindlichkeit austobt? Oder, freundlicher gesprochen, sich mühsam in Toleranz einübt, in den irritierenden Gedanken, dass es Schwule nicht nur in Travestieclubs gibt, sondern sogar im Allerheiligsten des Mannes, im Refugium scheinbar ungestörter Männlichkeit, dem Fußball.

Das Bild vom Fußballer hat sich in den letzten Jahrzehnten radikal gewandelt

Thomas Hitzlsperger beim Länderspiel Dänemark gegen Deutschland (2010).
Thomas Hitzlsperger beim Länderspiel Dänemark gegen Deutschland (2010).

© dpa

Tatsächlich hat sich das Bild vom Fußballer in den letzten Jahrzehnten radikal gewandelt. Nicht mehr der harte, männliche Arbeiter gilt als Rollenmodell, nicht der Typ Uwe Seeler, sondern der elegante, verspielte Techniker vom Schlage Marco Reus’. Fußballer können sich heute die Augenbrauen zupfen und ihren Körper mit filigranen Tattoos übersäen, sie können sich minutenlang in den Armen liegen und beinahe alle Körperteile tätscheln – nur eines dürfen sie nicht sein: schwul. Dieser absurde Anachronismus geht nun zu Ende.

Der Erste zu sein ist immer das Schwerste

Die Reaktionen des offiziellen Fußballs auf Hitzlspergers Bekenntnis lassen sich leicht voraussehen. Alle werden ihn unterstützen, ihm zu seinem Mut gratulieren und natürlich vor Homophobie warnen – um dann möglichst rasch zur Tagesordnung überzugehen. Tatsächlich, Thomas Hitzlsperger ist ein mutiger Mann, denn der Erste zu sein ist immer das Schwerste. Doch das eigentliche Problem liegt ja nicht bei ihm, es besteht vielmehr darin, dass es so lange Zeit und so viel Mut brauchte, um sich zu etwas zu bekennen, das so selbstverständlich und normal sein sollte wie der Einwurf oder der Pass in den freien Raum oder eben die Spielerfrau.

Sehen Sie hier ein Porträt von Thomas Hitzelsperger:

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Es gibt nun viel zu tun für den DFB und für den gewöhnlichen deutschen Fußballfan. Vom Jugendfußball bis zur Ersten Bundesliga muss eine Atmosphäre geschaffen werden, in der jeder sein kann, wie er will. Beim Thema Rassismus wurde hier schon einiges unternommen, zur Homophobie noch viel zu wenig.

Ein großer Schritt für den deutschen Fußball

Für Thomas Hitzlsperger ist dieses öffentliche Bekenntnis ein großer Schritt, für den deutschen Fußball ist er eine große Chance. Man kann nur hoffen, dass bald die nächsten, dass auch aktive Spieler sagen, wer sie neben dem Platz noch sind. Und dass sie dafür dann in den Stadien einen Sonderapplaus bekommen.

Bislang galt der US-Amerikaner Robbie Rogers als einziger aktiver Profi, der sich als schwul geoutet hat.

Das vollständige Interview mit Thomas Hitzlsperger lesen Sie ab Mittwoch 16 Uhr in der iPad-Ausgabe und ab Donnerstag in der gedruckten Ausgabe der ZEIT.

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