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Sport: Hühnerfang in Wimbledon

Warum Yen-Hsun Lus Sieg gegen Andy Roddick gar nicht so überraschend ist

Andy Roddick war nicht in Stimmung für Scherze. Konsterniert saß der Vorjahresfinalist da und rang nach Erklärungen für seine Misere. „Ich habe entsetzlich gespielt“, fiel dem US-Amerikaner dann ein. Über drei Sätze hinweg sei das zumindest so gewesen: „Der fünfte Satz war einer meiner besten – dachte ich.“ Doch er schied mit 6:4, 6:7, 6:7, 7:6 und 7:9 im Achtelfinale von Wimbledon aus. Ein Aufschlagverlust hatte gereicht. Der Weltranglistensiebte konnte nicht glauben, was ihm widerfahren war. Und dabei hatte Roddick gegen einen Spieler verloren, der selbst nicht einen Moment daran glaubte, dieses Match gewinnen zu können. Der aber trotzdem mit allem darum kämpfte, was er hatte. „Ich wusste, ich habe auf Rasen keine Chance gegen ihn. Aber ich dachte, ich versuche es einfach“, sagte Yen-Hsun Lu ganz unverblümt.

Gut, dass Roddick nicht wusste, dass er gerade gegen den Sohn eines Hühnerfarmbesitzers aus Taipeh verloren hatte. Doch vielleicht liegt darin ein Grund für dessen Meisterstück. „Ich bin verdammt schnell. Ich kann Hühner mit bloßen Händen fangen“, sagte Lu lachend. Es war aber nicht so, als sei dieser freundliche 26-jährige Taiwaner irgendwo aus dem Nichts aufgetaucht, der nun als erster Asiate seit 1995 im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers steht. Vor 15 Jahren gelang dies dem Japaner Shuzo Matsuoka. Vor sieben Jahren hat Dirk Hordorff, Trainer von Rainer Schüttler, Lu mit unter seine Fittiche genommen, da rangierte dieser noch ungefähr auf Platz 300 der Weltrangliste. Stets lobte Hordorff sein großes Potenzial, das bis in die Top 20 reichen könne. Allein die Belege blieben bisher aus. Weiter als auf Rang 55 hat es Lu nie gebracht, er gewann keine Titel und scheiterte bei Grand Slams spätestens in Runde drei. Auch gegen Roddick spielte Lu schon dreimal – und unterlag immer. „Ich war früher zu hektisch. Jeder Schlag sollte ein Winner sein“, sagte Lu nun, „jetzt bin ich ruhiger und warte auf meine Chance.“ Er sollte sie nutzen gegen einen Roddick, der zwar unter Normalform blieb, doch Lu hatte sich den Sieg auch verdient. Nun trifft er auf Novak Djokovic aus Serbien.

„Yen-Hsun kann wie eine Maschine spielen“, erklärte Hordorff, „und fehlerfrei von der Grundlinie. Er musste nur einmal so ein Match gewinnen.“ Diese Erfahrung fehlte ihm bislang. Zudem, so Hordorff, habe Lu wie viele Asiaten das Problem, sich von Kleinigkeiten während einer Partie aus der Ruhe bringen zu lassen. Pech hatte Lu auch: Vor drei Jahren warf ihn ein Bandscheibenvorfall zurück, im vorigen Sommer setzte ihn das Pfeiffersche Drüsenfieber lange außer Gefecht. Er rutschte zeitweilig aus den Top 100. Seinem Ansehen in der Heimat tat das keinen Abbruch: Dort ist Lu nach den Baseballspielern der populärste Sportler.

Mit acht Jahren hatte Yen-Hsun Lu gemeinsam mit seinem Vater erstmals einen Schläger in die Hand genommen. Wie überall in Asien ist auch in Taiwan der Tennissport in Schulen und Klubs weit verbreitet. Doch um Profi zu werden, reicht die finanzielle Unterstützung der staatlichen Verbände nicht aus. Wer das schaffen will, muss ins Ausland gehen. Nur wenige können sich das leisten, und so stehen lediglich vier Asiaten in den Top 200. Dass es bei den Frauen alleine sechs unter den besten 100 sind, hängt mit der geringeren Leistungsdichte zusammen: Ein Aufstieg ist hier deutlich leichter. „Wenn Yen-Hsun in Taiwan geblieben wäre, wäre er jetzt nicht hier“, sagt Hordorff. Der Schritt von zu Hause weg ist Yen-Hsun Lu nicht leicht gefallen, zumal sein Vater kurz zuvor im Jahr 2000 verstorben war. Diese Rolle nimmt Hordorff inzwischen so gut es geht ein. Dennoch mischt sich etwas Wehmut in den Moment von Lus größtem Triumph. „Ich habe das für meinen Vater geschafft“, sagte Yen-Hsun Lu. „Ich bin traurig, dass er jetzt nicht hier ist. Aber ich hoffe, er hat das Match vom Himmel aus gesehen und ist stolz auf mich.“

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