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Sport: Hüpfen, springen, tanzen

In Berlin präsentiert sich das Internationale Deutsche Turnfest als Messe der Bewegung

Berlin - Der Vater schaut auf den Plan, dann in die große Halle. Er blickt zurück auf den Plan, und sagt schließlich: „Das ist ja riesig hier!“ Seine Tochter pflichtet ihm bei: „Ja, hier kannst du richtig Kilometer machen.“ Beide wirken jedoch keineswegs genervt von den großen Dimensionen, eher das Gegenteil ist der Fall. Vermutlich kommt es nicht oft vor, dass sich Besucher des Berliner Messegeländes über die Aussicht auf weite Wege freuen. In diesen Tagen aber ist das so.

Das Internationale Deutsche Turnfest, das auf dem Areal des Internationalen Congress-Centrums (ICC) und der Messe sein Zentrum errichtet hat, ist eine Messe im Zeichen der Bewegung. Die Besucher gehen nicht einfach von Halle zu Halle, sie springen, laufen, manchmal tanzen sie sogar. Benutzer der Rolltreppen werden mit einem mitleidigen Blick bedacht, an jeder Ecke findet ein Rhönrad-Wettbewerb statt oder lädt ein Trampolin zum Mitspringen ein. Der Jahn-Neunkampf mit seinen vielseitigen Anforderungen in den unterschiedlichsten Disziplinen stellt den sportlichen Höhepunkt des Turnfestes dar. Die Basis aber bilden die Gruppenvorführungen.

Über das Messegelände verteilt präsentieren Turngruppen ihre Choreographien. Vorgaben gibt es nicht – außer, dass keine Feuer gezündet werden dürfen. Und so reihen sich Turnkunststücke mit Keulen oder Seilen an travestieähnliche Vorführungen mit Slapstick-Einschlag. Wenn etwas schief geht, wird niemand ausgelacht; jede Darbietung wird von den Zuschauern mit Beifall bedacht. Das gilt nicht nur für den offiziellen Teil: Als eine Mädchengruppe abseits der Bühnen spontan Bill Withers’ „Lean on me“ intoniert, erntet sie lang anhaltenden Applaus von den Vorbeilaufenden. Vielleicht gibt diese Szene vom zugigen Osteingang des ICC den Charakter des Turnfests besser wieder als alle Rhönrad-Kunststücke zusammen.

Nicht der Wettbewerb steht im Vordergrund, sondern Mitmachen und Bewegung. Wer in einer Halle Zuschauer ist, ist in der nächsten Akteur. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Turnfest in Berlin nicht von seinen Vorgängern. „Doch dieses Mal ist es irgendwie anders als sonst – offener“, sagt Sabine Sickinger-Menzel. Sie hat schon auf vielen Turnfesten als Freiwillige gearbeitet; auch in Berlin nimmt sie den Teilnehmern wieder die Prüfung zum Gymnastik-Abzeichen ab. Diesmal aber muss sie das nicht in einer Schulturnhalle tun, in die sich kaum jemand verirrt. Die meisten Besucher gehen einmal um das Messegelände und kommen so automatisch in Halle 22a. „Viele entscheiden sich spontan zum Mitmachen“, sagt Sickinger-Menzel, „wir haben jetzt schon mehr als doppelt so viele Teilnehmer als sich angemeldet hatten.“

Sie freut sich auch darüber, dass junge Mädchen neben jenen älteren Frauen turnen, die immer dabei sind. Frauen wie Käthe Schröder aus Dalheim, die gerade zum neunten Mal ihr Gymnastik-Abzeichen macht. Die 67-Jährige musste dafür sechs Übungen durchführen, am Ball, mit dem Band, dem Reifen, dem Seil, ohne Gerät und mit Hanteln. Wie jedes Mal hat sie es geschafft und durfte sich das Abzeichen für zehn Euro kaufen. „Wir kriegen alle durch“, sagt Sickinger-Menzel. „Da sind wir kulant.“ Es zählt die Idee. Und noch etwas ist ihr aufgefallen: der vergleichsweise hohe Anteil der Männer. „Etwa zehn Prozent machen das Gymnastik-Abzeichen – das ist gigantisch.“

Dennoch, der Frauenüberschuss unter dem Funkturm ist nicht zu übersehen. Siebzig Prozent der Mitglieder des Deutschen Turner-Bundes sind weiblich, eine ähnliche Quote ergibt sich auch beim Turnfest. Da ist es nicht verwunderlich, dass Aerobic- und Dance-Kurse zu den Favoriten zählen. Animiert von Vortänzern bewegen sich die Mädchen zu Diskomusik und ältere Frauen zur „Berliner Luft“. Für die Altersgruppe dazwischen fehlen solche Angebote. Nicht ohne Grund: Die 25- bis 50-Jährigen sind auf dem Messegelände praktisch nicht vorhanden. Nur bei den Sportspielen wie Badminton oder Federfußball trifft man Vertreter dieser Generation an. Vielleicht ist ihnen Turnen zu schwierig. Auf die Idee könnte kommen, wer die Aufdrucke der T-Shirts ernst nimmt, die unter Turnern sehr populär zu sein scheinen. „Wenn Turnen leicht wär’“, ist darauf zu lesen, „wär’s Fußball.“

Christian Hönicke

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