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Mit Laptop und Lederball. Im Profifußball gehört der Computer längst zum Trainingsalltag. Foto: Imago

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Sport: Hundert Spiele mit einem Klick

DIE ZUKUNFT DES FUSSBALLS (3): Wie man Spieler und Mannschaften mit wissenschaftlichen Methoden verbessern kann

In unserer Serie versuchen wir, in die Zukunft zu schauen. Wohin steuert der Fußball? Heute beschreibt Bernhard Peters, Direktor für Sport und Nachwuchsförderung beim Bundesligisten TSG Hoffenheim, welche Möglichkeiten es gibt, um den Fußball wissenschaftlich zu ergründen und weiterzuentwickeln.

Ich bin gegen Schubladendenken. Ich bin nicht der Meinung, man muss den Fußball verwissenschaftlichen. Der Sport bleibt immer in der Balance zwischen Intuition und Kreativität auf der einen Seite und akribischer, wissenschaftlich unterstützter Planung auf der anderen. Im Leistungssport müssen wir immer einen Schritt weiter sein als die anderen, haben aber gleichzeitig relativ wenig Absicherung. Doch in den nächsten Jahren wird es einige Veränderungen geben, die da Abhilfe schaffen werden.

Im Fußball geht es viel um komplexes, kreatives Entscheiden. Dort kann uns zum Beispiel die Wahrnehmungsforschung wichtige Erkenntnisse liefern: Welche Entscheidungsprozesse laufen in komplexen taktischen Situationen ab und wie? Aber die Sportwissenschaft steckt – was die Spielsportforschung angeht – noch in den Kinderschuhen. Was wir in Hoffenheim machen, ist auch ein Stück weit Betriebsgeheimnis. Aber auf der Forschungsebene führt zum Beispiel das Institut für Spielsportforschung in Köln interessante Untersuchungen durch. Dort wird versucht, Wahrnehmungskapazitäten von bestimmten Spielern zu erkennen und zu erweitern. Dafür gibt es in der Sportpsychologie verschiedene Tests, die auch wir einsetzen.

Wir haben im Jugendbereich begonnen, Spieler beispielhaft zu testen. Es wird viel mit Videos am Bildschirm gearbeitet: Wie schnell kann jemand dort Spielsituationen einordnen? Aber den Spielern werden nicht nur Spielszenen gezeigt, sondern auch andere Arten von räumlichen Orientierungstests. Es geht dabei um Reaktionen, um Entscheidungen, um Antizipation und darum, sehr schnell komplexe Zusammenhänge zu erkennen. Und darum, wie stabil so etwas über einen langen Zeitraum ist: Wie lange kann ein Spieler seinen Aufmerksamkeitsfokus behalten? Durch regelmäßige Tests sieht man, ob sich jemand verbessert hat oder nicht. Ziel ist es, einen Spieler durch das Training der neuronalen Netze im Gehirn noch kreativer in seinen Lösungen zu machen. Da ist die Forschung sicher noch am Anfang, aber dort liegt die Zukunft.

Die normale Leistungsdiagnostik ist da schon Schnee von gestern. Das „Milan-Lab“ des AC Mailand ist im Laufe der Zeit mystifiziert worden. Da sind die Forschung und viele Vereine schon eine Stufe weiter. Viele Klubs arbeiten mit einem subjektiven Fragebogen, um wöchentlich auf die Befindlichkeit eines Spielers reagieren zu können. Damit werden ständig alle möglichen subjektiven Wohlfühlfaktoren abgefragt. Neben dem körperlichen Befinden spielen private und psychische Faktoren eine Rolle. Insgesamt rücken die Grenzgebiete zwischen dem Athletiktrainer, dem Psychologen und dem Chefcoach immer enger zusammen.

Eine Revolution im physiologischen Bereich ist, dass man nun harte, objektive Daten darüber erfassen kann, welche körperliche Leistung ein Spieler bringt: Wie oft geht er, wie oft sprintet er und welche Laufwege legt er in 90 Minuten zurück? Das erfasst zum Beispiel die Amisco-Datenbank, eine von vielen Firmen, die diese Daten erhebt. Aber das wirklich Spannende ist dann, daraus eine spezifische Trainingslehre für eine Position abzuleiten, wie die des rechten Verteidigers zum Beispiel. Man liest Daten aus für eine ganze Halbserie oder eine ganze Saison. Daraufhin kann man ein genaues Profil einer Spielposition definieren und viel differenzierter trainieren. So kann ich für die Spielposition des rechten Verteidigers ein besseres, individuelleres Trainingsprofil erstellen. Da ist sicherlich noch eine Menge Potenzial nach oben.

Eine weitere Neuerung sind Taktikbesprechungen in 3-D. Bei einigen Teams, wie der deutschen Nationalmannschaft, wird dies schon gemacht. In den 3-D-Aufnahmen der Spiele kann man die Winkel und Perspektiven ändern. Dazu kann man die taktischen Situationen aus der Perspektive des Spielers betrachten und wie er sie gelöst hat. Der Lerneffekt ist ungemein hoch, wenn das Bild eingefroren wird und der Spieler die Situation durch die eigenen Augen sieht. Dafür bedarf es einer unglaublich hohen Rechnerkapazität, aber es dauert nicht mehr lange, dann ist das Standard.

Mittlerweile wird selbst das Training ausgewertet. Wir filmen unser Training, Vereine wie Bayern München statten ihre Spieler mit GPS-Sendern aus. Dadurch sieht man, wie der Spieler die geforderten Laufleistungen umsetzt.

Ein großes Problem ist aber weiterhin, dass ein Cheftrainer seine Kapazitäten bündeln muss. Wenn ein Trainer montags von tausend Amisco-Daten erschlagen wird, dann ist das nicht zielführend. Man braucht eine entsprechende Software, die solche Daten kanalisiert. Zurzeit verdichten die Mitarbeiter die Daten auf das Wichtigste, doch an entsprechenden Programmen wird bereits gearbeitet.

Andere Länder wie Australien, England oder Spanien sind da schon sehr viel weiter, zum Beispiel im Auswerten von GPS-Daten. Das Ziel muss sein, dass man Spielsituationen von hundert Spielen mit einem Klick auswerten und entsprechende Lösungsmöglichkeiten erkennen kann. Und dann kommt der nächste Schritt, wie ich das methodisch transportiere und trainiere.

Aber ich war sehr lange Trainer im Leistungssport und verstehe mich vor allem als Taktiker. Die Grenze bei allem wissenschaftlichen Fortschritt ist erreicht, wenn die Trainer emotional nicht in der Lage sind, bei den Spielern Begeisterung zu entfachen. Wissenschaft und Emotion sind wie zwei Kreise: Manchmal laufen sie aufeinander zu und bilden Schnittmengen, manchmal driften sie voneinander weg. Was auch immer die Zukunft bringt: Eine Balance aus Planung und Bauchgefühl wird für mich auch weiter den guten Trainer auszeichnen.

Aufgezeichnet von Dominik Bardow. Bisher erschienen: Der Fußball und die Fans, von Dave Boyle (18. Juli), Jugendarbeit und Spielphilosophie von Albert Benaiges (22. Juli).

Bernhard Peters

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