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Sport: "Ich bin Bundeskanzler Schröder heute noch dankbar"

Ion Tiriac über die Tennis-WM, Berlins Chancen auf ein bedeutendes Männer-Turnier und die Zeit nach dem Ende der Ära Becker/GrafIon Tiriac (60) war im Sport schon vieles: Als Tennisspieler zum Beispiel dreimal Davis-Cup-Finalist mit seinem rumänischen Landsmann Ilie Nastase, in den Anfangsjahren einer der Entdecker und Manager von Boris Becker, später vorübergehend auch sein Trainer. Er bestritt aber auch 85 Eishockey-Länderspiele für Rumänien.

Ion Tiriac über die Tennis-WM, Berlins Chancen auf ein bedeutendes Männer-Turnier und die Zeit nach dem Ende der Ära Becker/Graf

Ion Tiriac (60) war im Sport schon vieles: Als Tennisspieler zum Beispiel dreimal Davis-Cup-Finalist mit seinem rumänischen Landsmann Ilie Nastase, in den Anfangsjahren einer der Entdecker und Manager von Boris Becker, später vorübergehend auch sein Trainer. Er bestritt aber auch 85 Eishockey-Länderspiele für Rumänien. Vor vier Jahren holte Ion Tiriac als einer der erfolgreichsten Sport-Manager der neunziger Jahre die ATP-WM nach Hannover. Mit dem Self-Made-Millionär sprach Jörg Allmeroth.

Herr Tiriac, zehn WM-Jahre in Deutschland neigen sich dem Ende zu. Sind Sie traurig, dass das Championat künftig rund um den Globus zieht?

Ich war immer der Meinung, dass man eine Weltmeisterschaft im Tennis in verschiedenen Metropolen der Erde austragen muss. Ein ständiger Wechsel der Schauplätze und der Bedingungen, also mal in der Halle und mal Outdoors, tut dem ATP-Finale nur gut. Wenn die Städte zwei, drei Jahre Zeit haben, sich darauf einzustellen, sollte es auch ein finanzieller Erfolg werden.

Hat Deutschland die WM also schon viel zu lange für sich beansprucht?

Die Weltmeisterschaft ist in Deutschland zu dem geworden, was sie jetzt ist. Eine perfekt durchorganisierte, global faszinierende Veranstaltung, die den Zuschauern ein gewaltiges Spektakel geboten hat. Deutschland war nun mal derjenige Markt in den neunziger Jahren mit dem größten finanziellen Potenzial. Es waren zehn wunderbare, zehn herausragende Jahre.

Wo war die WM für Sie schöner: in der Frankfurter Festhalle oder nun auf dem Expo-Gelände in Hannover?

Beide Orte hatten ihren Reiz - zu ihrer Zeit. In Frankfurt hatten wir eine besonders prickelnde Atmosphäre. Später in Hannover hat die WM dann in Verbindung mit der Weltausstellung eine globale Ausrichtung bekommen. Ein Turnier mit den Besten der Welt in einer Stadt, die alle Welt zur Expo 2000 einlädt - das war noch einmal eine Steigerung. Ich bin Bundeskanzler Schröder noch heute dankbar, dass er sich seinerzeit als Ministerpräsident so stark gemacht hat für den Umzug nach Hannover.

In Hannover gab es Schwierigkeiten mit lokalen Sponsoren, aber auch Differenzen zwischen der Expo und der ATP-Tour wegen diverser Spielerabsagen.

Nur ganz wenige der Expo-Partner, also Sponsoren der Weltausstellungsgesellschaft, haben begriffen, welchen Marketingwert diese Veranstaltung für sie besitzen könnte. Jedes Jahr ist die Zahl der Länder, die von der WM aus Hannover übertragen haben, gewachsen. Aber viele Firmen haben diese Plattform nicht genutzt. Es kann sein, dass man in Hannover dann verpassten Möglichkeiten nachtrauert, wenn die WM weg ist. Aber das ist nun mal so: Gesundheit schätzt man erst, wenn man krank ist. Und Reichtum erst, wenn man wieder arm ist.

Welchen Sinn macht eine WM im Jahr 2000 in Portugal, das überhaupt keine internationalen Spitzenspieler hat?

Vor zwanzig Jahren hätte ich auch gedacht: Was, zum Teufel, will Portugal mit einer WM? Was hat dieses Land mit Tennis zu tun? Aber es gibt dort Geschäftsleute, die sich den kommerziellen Wert dieses Championats angeguckt haben und feststellten, dass es den Aufwand lohnt, vier Millionen Dollar nur dafür zu bezahlen, den nackten Zuschlag zu erhalten. Dafür kriegen sie erstmal nichts als das harte Vergnügen, diese WM zu veranstalten. Aber es wird sich auszahlen, schon wegen der Tatsache, in 180 Ländern der Welt als der Schauplatz zu erscheinen, an dem die WM stattfindet. Das ist eine elektrisierende Botschaft, glauben Sie mir. Wenn schon ein Turnier wie Kitzbühel nach einer wissenschaftlichen Untersuchung für einen Gesamtumsatz von jährlich über 60 Millionen Mark sorgt, wieviel wird erst Lissabon bei einer WM erwirtschaften.

Am Ende eines Jahres, in dem Boris Becker und Steffi Graf zurückgetreten sind, fragen sich viele: Wie geht es mit dem deutschen Tennis weiter?

Eine Ära ist zu Ende gegangen, da besteht kein Zweifel. Nicht wegen des Rücktritts von Becker und Graf, sondern, weil die breite gesellschaftliche Anbindung und Akzeptanz des Tennis weg ist. Das war ja das Phänomen des deutschen Tennis, dieses fiebrige Interesse eines ganzen Volks an seinen Stars. Dagegen gibt es noch keine flächendeckende Identifikation mit Kiefer und Haas.

Könnte Tennis, verglichen mit anderen Sportarten, in die Zweite Liga abrutschen?

Quatsch. Ich rede von einem nachlassenden Interesse auf hohem Niveau. Du kannst die Euphorie nicht zurückholen, die der erste deutsche Wimbledon-Sieger Becker oder die eine Steffi Graf mit ihren historischen Erfolgen ausgelöst haben. Dem soll man nicht nachtrauern. Tennis in Deutschland wird sich auf einem sehr erfreulichen Stand stabilisieren. Einen Rückfall in die Zeiten vor Becker, Graf und Stich wird es nicht geben. Jede Wette drauf.

Aber es gab während der Stuttgarter Eurocard Open Spekulationen, Sie würden dieses Turnier aus Deutschland abziehen.

Es gibt ein Interesse aus aller Welt an diesen Super-Neun-Wettbewerben, denn die werden künftig zur Champions League des Tennis - unterhalb der Grand Slam-Events. Hier rufen Leute aus Japan, England oder Hongkong an, die das Turnier kaufen wollen. Natürlich bin ich besorgt über den Trend in Stuttgart, es sieht aus, als gäbe es einen Erschöpfungszustand.

Der logische Standort bei einem möglichen Abschied aus Stuttgart wäre in Deutschland dann wohl die Hauptstadt Berlin.

Ganz sicher. Es gibt hierzulande bei einem Umzug nur diese Stadt, die das Turnier verdienen und es brauchen würde.

Es gibt nur keine geeignete Halle.

Schauen wir mal in die kalifornische Wüste. Da gibt es einen Menschen namens Charlie Pasarell in Indian Wells, der baut dort innerhalb eines Jahres ein Stadion für 75 Millionen Dollar. Zweifellos ist Indian Wells ein schöner Platz für Touristen mit seinen Golfplätzen, Swimming-Pools und ein paar Casinos. Aber was dort im Niemandsland möglich ist, muss doch auch in der deutschen Hauptstadt gehen. Es muss doch Persönlichkeiten geben, die solche Projekte auf die Beine stellen. Ich könnte die Finanzierung innerhalb von 48 Stunden regeln.

Das deutsche Tennis fiel zuletzt durch seine selbstzerstörerischen Diskussionen auf: Funktionäre wettern gegen Becker, Spieler lehnen sich gegen die Davis-Cup-Chefs auf, das Präsidium ist gestürzt.

Diese Vorgänge sind wirklich irrational. Ich weiß zum Beispiel bis heute nicht, was man gegen Becker vorzubringen hat. Und ich befürchte, die Kritiker wissen es selbst nicht. DTB und die Davis-Cup-Spieler können froh sein, dass Becker den Job macht.

Die Super-Neun-Serie ist ins Gerede gekommen. Es gibt Schwierigkeiten bei der Verpflichtung von Sponsoren und TV-Partnern.

Man kann sowas nicht in vier Monaten stemmen. Schließlich ist das eine revolutionäre Veränderung der Tennis-Kultur - ob im Marketing, im Merchandising, in der Organisation oder in der Öffentlichkeitsarbeit. ISL ist die größte Marketing-Firma im Weltsport, die auch die Fußball-WM im Griff hat. Sie werden dieses Projekt schultern. Dabei müssen ihnen viele helfen, besonders die Spieler, die eine größere Verantwortung für ihren Sport vorleben müssen.

Schafft das neue System im Tennis jene Klarheit und Logik, die Sie seit Jahren fordern?

Vorher hatten wir eine Ordnung wie in einem Kochtopf, in dem ein Gulasch mit tausend Zutaten zusammengerührt wird: Chaos. Nächstes Jahr ist die Pyramide klar. Die vier Grand Slams, die Super-Neun-Wettbewerbe und die ATP-WM sind wichtiger als je zuvor, wie sich an den Punkten zeigt, die ein Spieler dort holen kann. Jeder, der fehlt, schneidet sich ins eigene Fleisch. Und mit der neuen Rangliste kann endlich jeder nachvollziehen, wer im Moment der beste Spieler ist. Ab dem 1. Januar wird Tennis wie ein professioneller Sport aussehen.

Gibt es nicht auch im Jahr 2000 immer noch zu viele Turniere - und damit dauernde Verletzungen der Spieler?

Eindeutig. Aber die Geschwindigkeit, mit der kleinere Veranstaltungen von der Bildfläche verschwinden, wird steigen. Ich war immer für einen gewissen Darwinismus im Sportbusiness. Die Stärksten überleben. Andererseits ist meine Vorstellung längst nicht so radikal wie die anderer Experten, die die meisten Turniere ausradieren wollen.

Herr Tiriac[zehn WM-Jahre in Deutschland neigen s]

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