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Sport: „Ich bin leichter zu erkennen“

Gerald Asamoah über seine Heimat Ghana, die deutsche Nationalhymne und Schwarze auf Schlagerpartys

Herr Asamoah, Ihr Schalker Kollege Lincoln möchte für die deutsche Nationalmannschaft spielen. Hat er Sie schon um Hilfe gebeten?

Um Gottes Willen, nein. Ich hab’ das zuerst nicht geglaubt. Ich habe ihn gefragt: Willst du uns veräppeln? Es reicht doch, dass du hier auf Schalke spielst, und jetzt willst du noch in die Nationalelf? Lincoln ist ein prima Fußballer, den jedes Land brauchen kann. Aber er hat gar keine richtige Verbindung zu Deutschland. Er lebt seit vier oder fünf Jahren hier, spricht ganz gut Deutsch. Aber man braucht auch einen Bezug, eine Geschichte.

Eine Geschichte?

Ja, keine ausgedachte, sondern seine eigene. Lincoln ist nach Deutschland gekommen, um Fußball zu spielen. Ich bin hierher gekommen, weil meine Mutter gegen Fußball war. In Ghana haben wir nur barfuß gespielt, ich habe mir sehr viele Narben an den Füßen geholt. Meine Mutter wollte das nicht.

Bei Paulo Rink hat ein deutscher Vorfahr noch gereicht, um deutscher Nationalspieler zu werden. Wäre es heute schwieriger, vielleicht auch für Sie?

Kann sein. Aber ich habe mich nicht beworben. Ich wurde damals von Hannes Löhr gefragt, ob ich nicht in die deutsche U-21-Nationalmannschaft wollte. Damals hatte ich eigentlich vor, für Ghana zu spielen. Die haben mich auch eingeladen, weil sie wussten, dass Deutschland Interesse an mir hatte. Ich bin also nach Ghana geflogen, und wenn ich gespielt hätte, wäre es mit Deutschland vorbei gewesen. Aber dann wurde ich nicht eingesetzt. Ich war nicht einmal im Kader.

Und deshalb haben Sie sich aus Trotz für die deutsche Nationalelf entschieden?

Nein, das war Schicksal. Die Leute vom ghanaischen Verband haben mich ein Jahr später angerufen und sich entschuldigt. Plötzlich wollten Sie mich wieder, ich hatte immer noch nicht für Deutschland gespielt. Ich habe mir mit der Entscheidung Zeit gelassen. Doch dann war das Gefühl, für Deutschland zu spielen, klar da. Das kam aus dem Bauch heraus.

Waren die Ghanaer verärgert?

Überhaupt nicht. Als ich nach meinem ersten Länderspiel in Ghana war, wurde ich ins Fernsehen eingeladen, und jeder konnte im Studio anrufen. Es hat sich nicht einer gemeldet, um mich zu kritisieren. Die meisten haben gesagt: Das ist das Beste, was dir passieren kann.

Wie werden Sie in Ghana wahrgenommen? Sind Sie Bundesligaprofi von Schalke oder deutscher Nationalspieler?

Beides. Zunächst war ich der Profi, der aus Europa kommt. Die meisten kannten mich in Ghana kaum. Ich bin zwar dort geboren, kam aber schon als Kind nach Deutschland. Ich habe in Ghana nie in einem Verein gespielt. Wenn ich dort auf die Straße ging, mussten die meisten erst zweimal hingucken. Seitdem ich deutscher Nationalspieler bin, kennen mich sehr viel mehr Menschen in Ghana. Und sie sagen mir, dass sie sehr stolz auf mich sind. Einer von ihnen hat es in Deutschland zu etwas gebracht.

Sehen Sie sich als Botschafter?

Ich glaube, dass ich eine gewisse Aufgabe erfülle. Wenn mich Schwarze in Deutschland ansprechen, sagen sie oft, dass sie durch mich besser klarkommen.

Sie besitzen einen der höchsten Sympathiewerte der deutschen Nationalspieler. Wie erklären Sie sich das?

Ich kann nicht sagen, dass ich der überragende Fußballer bin. Aber ich bin ein Kämpfer. Kann sein, dass das den Zuschauern gefällt. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich der erste Schwarze bin, der für Deutschland spielt. Dadurch bin ich leichter zu erkennen.

Wie meinen Sie das?

Ich habe gemerkt, dass ich vor allem bei älteren Menschen gut ankomme. Als ich neulich mit meiner Freundin durch Gelsenkirchen gelaufen bin, sprach mich eine Oma an: Sind Sie nicht der deutsche Fußballspieler, der immer so schön lacht?

Haben Sie auch am vergangenen Wochenende gelacht?

Als wir 0:2 in der Slowakei verloren haben? Wieso soll ich da gelacht haben?

Wir hatten eher an das 2:0 von Ghana gegen Uganda gedacht. Dadurch ist Ghana so gut wie für die WM 2006 qualifiziert.

Ich habe mich darüber gefreut. Ich habe viele Mails bekommen: von Otto Addo, ein paar Cousins aus Ghana und einer Bekannten aus Mainz. Ich hatte mit meinem Onkel gewettet, dass Ghana es nicht schafft. Ghana war schon oft nah dran.

Was könnte der deutsche Fußball vom afrikanischen lernen?

Lockerheit. Als ich bei der U 21 in Ghana war, haben die Spieler noch auf dem Weg ins Stadion im Bus gesungen. Ich habe gedacht: Wie soll man sich hier auf das Spiel konzentrieren? In Deutschland hat jeder mit sich zu tun. Mittlerweile finde ich es gut, wenn ich meine Ruhe habe. Wir Deutschen machen das nun mal so. Wenn sich Afrikaner auf dem Platz warm machen, tanzen sie. Stellen Sie sich mal vor, wir Deutschen würden das tun.

Würden Sie sagen, dass Sie mental stärker sind als Ihre Mitspieler?

Das will ich nicht sagen. Ich kann relativ schnell abschalten und mich neu motivieren. Man muss aber sehen, dass Fußball nur ein Sport ist. Natürlich spielen wir für ein Land, für das man alles geben will. Aber es gibt auch ein Leben im Busch. Das ist viel ernster. Ich habe viel erlebt, das hat mich geprägt fürs Leben. Viele Dinge, über die wir uns hier den Kopf zerbrechen, sind nicht so dramatisch.

Wenn Sie als Kind die Wahl gehabt hätten, deutscher Nationalspieler zu werden oder für Ghana die WM in Deutschland zu spielen. Wie hätten Sie sich entschieden?

Ist doch klar, dass man als Kind, das in Ghana aufgewachsen ist, sagt: Ich spiele für Ghana. Als ich in Ghana im Internat lebte, hatte jeder Junge in der Schule eine Lieblingsmannschaft. Meine war Westdeutschland, weil meine Eltern schon in Westdeutschland lebten.

Und wer war Ihr Lieblingsspieler?

Ich kannte damals keinen deutschen Spieler. Wir hatten ja gar keinen Fernseher, sondern haben nur im Radio die Ergebnisse gehört. Ich kann mich gut an 1990 erinnern. Deutschland wurde Weltmeister, und ich war der Sieger im Internat.

Fühlen Sie sich mehr als Deutscher oder als Ghanaer?

Als Deutscher. In Ghana kenne ich mich nicht so gut aus wie hier. Ich möchte lieber in Deutschland bleiben. Mein Vater lebt wieder in Ghana, meine Mutter noch in Hannover, beide pendeln hin und her.

Was würden Sie an Deutschland vermissen? Die Schlagermusik?

Ich höre gerne Schlager. Dafür schäme ich mich nicht. Nach den WM-Spielen 2002 haben wir im Mannschaftsbus immer Schlager gehört. Da haben alle mitgesungen. Wenn man die Lieder ein paar Mal hört, kennt man die Texte. Ich war auch bei Schlagerpartys. Die Leute haben sich natürlich gewundert: Was macht ein Schwarzer auf einer Schlagerparty?

Die Nationalhymne singen Sie vor Länderspielen aber nicht mit. Sie haben gesagt, Ihre Freunde würden nur darauf warten, um sich dann lustig über Sie zu machen.

Ja, da warten viele drauf. Aber ich singe ja mit – wenn ich auf der Ersatzbank sitze und nicht im Bild bin.

Und auf dem Feld?

Der Zeitpunkt wird noch kommen.

Sie könnten uns ja jetzt versprechen: Wenn Sie vor dem WM-Finale auf dem Platz stehen, dann singen Sie die Nationalhymne.

Vor dem WM-Finale mache ich alles.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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