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Sport: „Ich habe Angst vorm Sterben“

Bayers Vereinsboss Reiner Calmund über körperliche Belastungen, Fußballentzug in der Sommerpause und die Zukunft seines Klubs

ANSTOSS – DREI ANSICHTEN ZUR NEUEN BUNDESLIGASAISON

Herr Calmund, Sie sind am Wochenende aus den USA zurückgekehrt. Wer dort Urlaub macht, will mit Fußball nichts zu tun haben.

Da ist was dran. Wenn du hier rund um die Uhr im roten Bereich läufst, brauchst du das einfach. Das Geschäft frisst dich sonst auf. Du musst mal auftanken. Körperlich, seelisch und mental. Die USA sind da ideal: kein deutsches Fernsehen, keine deutsche Zeitung, und du kannst dich auch telefonisch abschotten. Morgens rufst du in der Geschäftsstelle an: Gibt’s was? Nein. Zack. Aufgelegt und ausgeschaltet.

Aber Sie wissen schon, wen – sagen wir – Hansa Rostock in diesem Sommer verpflichtet hat.

Natürlich, ich bin ja nicht raus aus dem Geschehen. Aber mit der Zeitverschiebung war das ganz praktisch. Wenn ich morgens um acht Uhr aus Kalifornien mit Bayer telefoniert habe, ist hier schon Feierabend. Dann passiert nichts mehr, und du kannst in Ruhe frühstücken gehen. Zweimal im Jahr brauche ich das. Am wichtigsten sind die Tage um Weihnachten und Neujahr. Die Geschäftsstelle ist zu, im Fußball läuft gar nichts. Das ist totales Abschalten.

Das hört sich an wie bei einem Süchtigen: entweder voll dabei oder der totale Entzug.

Das Beispiel habe ich zwar noch nie gehört. Aber vielleicht ist da was Wahres dran. Ich will das nicht unbedingt als Therapie bezeichnen. Wenn du so mit einem Thema verwachsen bist wie ich mit Bayer, musst du einfach mal diese Distanz aufbauen.

Funktioniert das bei Ihnen?

Ob Sie das glauben oder nicht: Man bekommt schon nach zweieinhalb Wochen Pause ein viel distanzierteres Verhältnis zu dem ganzen Geschäft. Dann merkt man erst, was wir hier jeden Tag für einen Heckmeck veranstalten.

Zum Beispiel?

In dieser Woche hat sich ein Journalist bei mir darüber beschwert, dass eine Boulevardzeitung geschrieben hat, der Lucio würde zu Chelsea gehen. Jetzt müsse er drei Tage lang diesem Thema nachlaufen. Wissen Sie, was ich Ihrem Kollegen gesagt habe: Ob Lucio bei Chelsea im Gespräch ist, weil ein Milliardär pfeift – das ist mir schnurzpiepegal. Ihr Kollege war total entsetzt.

Es kommt also nicht von ungefähr, dass so lange nichts von Ihnen zu hören war?

Eigentlich wollte ich voriges Jahr schon weniger machen. Nicht, dass ich in Rente gehen will. Aber es wäre gut, wenn wir die Dinge manchmal etwas besonnener betrachten könnten. Wenn du nicht dauernd durch den Wald rennst und alle Bäume am Absägen bist. Sonst verlierst du auch ein bisschen den Blick für strategische Entscheidungen. Im letzten Jahr gab es doch mehr Feuerwehreinsätze, als ich gedacht hatte. Nur deshalb habe ich mir noch mal den Stahlhelm aufgesetzt. Mit der Qualität von Ilja Kaenzig …

… Ihrem neuen Manager …

… hat das nichts zu tun. An der abgelaufenen Saison hat der null Prozent Schuld. Der spricht fünf Sprachen fließend und ist von mir fest etabliert in allen wichtigen Gremien der DFL und der Uefa. In seinem Alter habe ich nur davon geträumt, das zu wissen, was er weiß.

Das nimmt Ihnen aber keiner ab, dass Sie sich freiwillig zurückziehen.

Sie denken doch wohl nicht, dass ich das in der vergangenen Saison gerne gemacht hätte. Total bekloppt bin ich nun auch nicht. Was meinen Sie denn, was los gewesen wäre, wenn ich nicht da gewesen wäre? Die hätten den Ilja Kaenzig in der Luft zerrissen, erschossen, verbrannt, beerdigt – und trotzdem hätten alle gesagt, warum kümmert der Calmund, dieser Vollidiot, sich eigentlich nicht? Der sitzt da oben im dritten Stock und glotzt blöd aus dem Fenster. Da stell’ ich mich natürlich. Wenn wir in der Champions League gegen Manchester oder Liverpool gewinnen, muss ich nicht vor der Kamera stehen. Jeder hier weiß, dass ich da nach Hause gefahren bin.

Aber die Öffentlichkeit hat ein anderes Bild von Ihnen.

Da kann ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Im Frühjahr, bei einem Spiel in der Champions League, kommt unser Pressesprecher zu mir und sagt: Calli, Premiere braucht dich in der Pause im Studio. Können die nicht mal einen anderen nehmen?, habe ich gesagt. Wir haben doch zehn verletzte Spieler, die was erzählen können. Nee, die wollen dich haben. Nun gut, dann laufe ich durch das halbe Stadion in das gläserne Studio, und das Erste, was der Moderator vor laufender Kamera sagt, ist: Herr Calmund, man wirft Ihnen vor, dass Sie ständig in die Öffentlichkeit drängen.

Und? Wie haben Sie reagiert?

Ich wäre fast geplatzt. Hören Sie, habe ich gesagt, ich wollte gar nicht hier hinkommen. Und dann habe ich ausnahmsweise mal richtig losgeledert.

Gab es in den Krisenzeiten einen Moment, an dem Sie am liebsten aufgehört hätten?

So extrem, wie es in den Medien dargestellt wurde, war es gar nicht. Über meine Gesundheit wird ja ständig spekuliert. Aber ich hänge einfach zu sehr am Leben. Ich habe Angst vorm Sterben. Da habe ich nichts riskiert.

Gibt es Menschen, die sich ernste Sorgen um Sie gemacht haben?

Unsere Branche gilt als rau und grob. Am meisten hat mich überrascht, dass die angerufen haben, die hier mal als Trainer gearbeitet haben und die ich entlassen musste. Jürgen Gelsdorf, Berti Vogts oder Christoph Daum. Das schätze ich, dass die sagen: Mensch, Calli, du kriegst das schon wieder hin. Pierre Littbarski hat am letzten Spieltag um 17 Uhr 18, als gerade klar war, dass wir in der Bundesliga bleiben, eine SMS aus Japan geschickt. Sogar der Michael Meier aus Dortmund hat sich gemeldet oder der Uli Hoeneß und Kalle Rummenigge aus München.

Das Bild vom Haifischbecken Bundesliga stimmt also gar nicht.

Oh doch, aber wenn mal einer der dicken Fische angebissen hat, sind auch viele da, die sich Sorgen machen.

Zu Recht?

Was glauben Sie denn? 2000 Unterhaching, 2001 Daum, 2002 dreimal Zweiter, 2003 der Abstiegskampf – da hätte ich auch mal einen mentalen schöpferischen Gongschlag vertragen können. Ich habe hier überall gute Leute, aber für vieles musste ich auch den Kopf hinhalten. Ich will mich aus dem Tagesgeschäft etwas herausnehmen. Das täte nicht nur mir gut, das täte auch dem Verein ganz gut. Für alle Beteiligten wäre das besser.

Wollen Sie so etwas werden wie der Franz Beckenbauer von Bayer Leverkusen?

Quatsch. Ich werde hier nicht den GutenMorgen-Onkel spielen. Ich kenne das Geschäft. Ich kenne die Ganoven, ich kenne die Spieler, ich kenne den Transfermarkt und und und. Ich bin doch kein Lametta-Heini und setze mir die bunte Mütze auf.

Uli Hoeneß hat schon öffentlich verkündet, wann er sich aus dem Geschäft zurückziehen will. Haben Sie auch einen Plan?

Was hat denn der Uli gesagt, wann er aufhören will?

2006.

Na gut, dann gehen wir zusammen.

Sicher?

Mit dem Gesellschafterausschuss ist das so abgesprochen. Ich habe meinen Vertrag noch einmal bis 2006 verlängert. Aber ich habe mir auch die Möglichkeit offen gehalten, noch ein Jahr dranzuhängen – je nachdem, wie es um den Verein steht.

Im Moment sieht es nicht besonders gut aus, auch finanziell nicht. Muss sich Bayer für den internationalen Wettbewerb qualifizieren?

Mit diesem Kader, ja. Noch so eine Ausfallsaison können wir uns nicht leisten. Aber ich bin ganz froh, dass wir diesmal von den Medien nicht so hoch gehandelt werden.

Was macht Sie so sicher, dass Sie ins internationale Geschäft kommen?

Die Mannschaft weiß, dass sie etwas gutzumachen hat. Als wir im Februar den Toppi…

… Ihren Trainer Klaus Toppmöller…

… entlassen haben, hätte ich gerne noch fünf, sechs Spieler mit nach Rivenich geschickt. Aber da muss man sich auch an die arbeitsrechtlichen Spielregeln halten. Wir leben hier ja nicht im Dschungel. Aber die Spieler haben jetzt zugestimmt, dass es in dieser Spielzeit keine Prämien geben wird. Keine Punktprämien, keine Siegprämien, gar nichts. Dadurch sparen wir fünf Millionen Euro im Jahr.

Die Spieler waren wahrscheinlich sofort begeistert.

Natürlich nicht.

Und wenn sich jemand gewehrt hätte?

Dem wäre ich an den Hals gegangen. Ich habe den Spielern gesagt: Also, Freunde, wir werden hier keine bestehenden Verträge zur Diskussion stellen. Aber wir müssen jetzt konsolidieren. Wenn die Mannschaft nicht international spielt, kann sie auch nicht international bezahlt werden. Aber wir haben den Spielern auch gesagt: Passt auf, wenn ihr euch für den internationalen Wettbewerb qualifiziert, dann seid ihr mit den Prämien wieder dabei – natürlich erst im nächsten Jahr.

Sie wollten auch Spieler verkaufen. Das haben Sie nicht geschafft.

Richtig, aber wir sparen durch unsere zwölf Abgänge rund 8,5 Millionen Euro an Lohnkosten, und das, obwohl wir uns bei dem einen oder anderen noch am Gehalt beteiligen. Mit allen Maßnahmen kommen rund 15 Millionen Euro zusammen. Das ist das Minimum.

Freuen Sie sich trotzdem auf die neue Saison?

Ich hoffe.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns

und Michael Rosentritt.

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