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Sport: „Ich habe Autos verkauft“

Herthas Trainer Huub Stevens über die Ablenkung vom Fußball, das Spiel mit den Medien und über Rudi Völler

Herr Stevens, schon vor Rudi Völlers Brandrede haben Sie oft und laut Respekt für sich und Ihre Kollegen reklamiert. Fühlen Sie sich unfair behandelt?

Nicht immer. Sehen Sie: Wir haben mit Hertha vier Spiele absolviert, wir haben kein Tor geschossen, kein Spiel gewonnen. Das ist nicht gut. Aber es sind erst vier Spieltage absolviert. Ich verstehe nicht, wenn da schon alles in Frage gestellt wird. Nehmen wir unser Spiel in Stuttgart: Das endete 0:0. Aber wir haben gut gespielt, taktisch und kämpferisch. Ich würde auch lieber 2:2 spielen, aber so heißt es wieder: Ihr seid so unkreativ!

Kreativität lässt sich in Zahlen messen.

Natürlich: Wir haben in vier Spielen 21 Torchancen herausgespielt.

Das interessiert keinen.

Halt! Das meine ich, das meinte auch Rudi Völler nach dem IslandSpiel! Nörgeln wir nicht zu viel? Natürlich ist es wichtig, zwei, drei Tore zu machen, dann ist das Thema Sturmschwäche vom Tisch. Aber ich würde mir viel größere Sorgen machen, wenn wir uns erst gar keine Chancen herausspielen. Deswegen beharre ich darauf: Wir hatten diese 21 Chancen!

Wie oft beten Sie ihren Spielern diese Zahl vor?

Ich stelle mich vor meine Mannschaft. Immer. Unsere Situation ist nicht einfach, da musst du den Jungs immer wieder Selbstvertrauen geben. Kein Alibi, sondern Selbstvertrauen. Ein Beispiel: Da bekommt einer gegen Freiburg die Note 5. Da lachen wir in der Kabine drüber, aber lass den noch ein Spiel machen, einen Fehlpass, dann pfeifen die Zuschauer und – pling! – hat der wieder die Note 5 im Kopf und ist verunsichert. Ich rede deshalb positiv. Ich will, dass die Jungs positiv denken. Ganz einfach.

Ist das nicht naiv?

Nein, ich kenne das Geschäft seit 30 Jahren. Wir kuscheln nicht, wir reden auch hart miteinander. Aber das bleibt intern. Natürlich lese ich diese Noten, diese Kommentare. Da werden Gegner schwächer gemacht, als sie sind. Das ist kein Respekt. Auch das meint Rudi. Aber das ist nun einmal die Macht des Kugelschreibers, die Macht der Medien. Ich lass das nicht an mich ran. Es ist nun einmal eher einfach, ein Tor zu verhindern. Und es ist das schwierigste, ein Tor zu schießen.

Dann spielt Hertha also einfach?

Nein, wir erarbeiten uns Chancen. Uns fehlen nun mal Marcelinho, Neuendorf, auch Luizao. Und Wichniarek war zwei Spiele gesperrt. Die Bank ist also leer.

In Frankfurt am Main mussten Sie sogar einen Mann wie Roberto Pinto bringen, der nicht einmal bei den Amateuren überzeugt.

Ja, aber er hat seinen Job gut gemacht. Roberto stand zehn Minuten auf dem Platz, und in diesen zehn Minuten hat er den Druck auf der rechten Seite erhöht. Zwei Chancen hat er sich erarbeitet, das ist gut. Aber er muss eine nutzen, dann läuft alles. Also: Nur wenn wir hinten drin stehen und mauern würden, nur dann würden wir einfach spielen.

Und doch steht die Null bei Hertha.

Schöner Satz, oder? Der steht jetzt alle drei Tage in der Zeitung. Als hätte ich nie etwas anderes gesagt. Dabei habe das nur einmal gesagt. Vor sechs Jahren war das, als wir mit Schalke in Valencia antreten mussten. Das war im K.-o.-System, wir brauchten ein Unentschieden. Der Spruch war also logisch. Ich habe ihn nur dieses eine Mal gesagt …

… und dann hat er Ihr Leben geprägt.

Um Gottes Willen, nein! Das wär kein Leben mehr. Ich bin kein Defensivfanatiker. Sie können mir ruhig glauben, dass ich mich über ein Tor freue. Der, der es am Wochenende schießt, ist der König.

Ihrem brasilianischen Spielmacher Marcelinho wurde am Freitag der Gips entfernt. Er wird Wochen brauchen, bis er spielen kann. Kritiker sagen, Ihre Mannschaft sei zu berechenbar durch ihn.

Ich sehe das anders. Ein Beispiel: Als ich früher in Eindhoven spielte, hatten wir einen überragenden Spielmacher. Der konnte alles, hat die Bälle schnell verteilt. Wir haben immer den Weg gesucht über ihn, wie bei Marcelinho, er war Koordinator. Aber er hat den Ball so schnell wieder abgegeben, dass sich der Gegner immer auf neue Situationen einstellen musste. Wenn Sie so wollen: Wir müssen in erster Linie schneller spielen.

Darf man den Fußball von früher mit dem von heute vergleichen?

Nein. Auch das hat Rudi Völler zu Recht angesprochen. Aber lasst sie reden, den Lattek, den Breitner, den Netzer und wie sie alle heißen. Natürlich verstehen die was vom Spiel. Aber von der Athletik, vom Tempo ist alles schneller geworden. Günter Netzer …

… den Völler bei seinem Ausbruch hart kritisiert hat …

… war ein toller Fußballer, aber heute müsste er ganz anders spielen. Nicht nur nach vorn. Marcelinho arbeitet in der Defensive viel besser, als Netzer das früher gemacht hat. Überhaupt haben Spieler heute viel mehr Aufgaben als früher. Umso wichtiger ist es, dass sie auch mal an etwas anderes denken als an Fußball.

An etwas anderes als Fußball? Wir dachten immer, für Sie gäbe es nur Fußball.

Nein, nein. Natürlich bin ich besessen von diesem Sport, schon als Spieler wollte ich immer gewinnen, jeden Zweikampf. Deswegen weiß ich, wie wichtig es ist, den Kopf freizubekommen. Wenn du dann verlierst und keinen Ausgleich hast, gehst du kaputt. Als ich in Eindhoven spielte, habe ich nebenbei Autos verkauft. VW und Audi. Ich war der Mann für die Leasing-Geschäfte. Das tat gut. Abends wusste ich: Du hast was geschafft.

Empfehlen Sie Ihren Spielern einen Zweitjob?

Nennen Sie es lieber Ablenkung. Der Andreas Schmidt studiert BWL. Das ist gut für die Karriere, gut für die Ablenkung. Prima!

Und wenn er eine Klausur schreibt …

… dann kriegt er trotzdem nicht trainingsfrei. Also: Wenn, dann bitte ein Fernstudium.

Das Gespräch führten André Görke und

Sven Goldmann.

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