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Sport: „Ich mache gerne meinen Zivildienst“

Fußball-Nationalspieler Per Mertesacker über sein Bedürfnis nach Normalität, Hannover 96 und Anna Kurnikowa

Herr Mertesacker, haben Sie schon von Hernan Crespo geträumt?

Geträumt nicht, aber die Szene, die er zum 2:2 nutzte, lief ein paar Mal vor meinen Augen ab. In der einen Sekunde sah ich nicht glücklich aus. Crespo hatte sich in meinem Rücken davongestohlen. Mist.

Ihr Mitspieler Kevin Kuranyi sagte nach dem 2:2 gegen Argentinien, es fehlte am Ende das schlaue Spiel.

Wir hätten den Sieg verdient gehabt. Ich bin aber stolz, dass dieser Gegner kaum Torchancen gegen uns herausspielen konnte. Damit haben sie nicht gerechnet.

Crespo ist ein Weltstar, den Sie 80 Minuten im Griff hatten. Apropos Weltstar: Was ist eigentlich mit Anna Kurnikowa? Klebt das Foto der Tennisspielerin immer noch in Ihrem Zimmer?

Sie werden lachen, es hängt wirklich noch da. Ich gucke es zwar nicht mehr so scharf an wie vor fünf, sechs Jahren, aber ich habe es aus Prinzip nicht abgenommen?

Anna Kurnikowa aus Prinzip?

Das hat gar nichts mit ihr zu tun, sondern mit meinem Leben. Ich habe mein ganzes Zimmer, also mein früheres Kinderzimmer, nicht verändert. Ich möchte, dass es so ist, wie ich es einst eingerichtet habe.

Es gibt Ihnen Halt?

Ja, alles hat sich für mich total verändert im vergangenen Jahr, man kommt herum, lernt lauter neue Leute kennen im Kreis der Nationalmannschaft, auch Menschen wie Sie von der Presse. Aber meine Familie, mein Zuhause, ist geblieben. Das ist ein sehr schönes Gefühl.

Sie halten fest an Ihrem alten Leben?

Ich sehe das nicht negativ. Ich bin gerne bei meinen Eltern, und ich mache auch weiterhin gerne meinen Zivildienst. Was ist so ungewöhnlich daran, wenn ein junger Mensch ein Stück Normalität lebt?

Weil es eine Illusion ist. Vielleicht sind Sie schon bald ein gefeierter Star, Fußball-Weltmeister.

Warum nicht? Aber das eine schließt für mich das andere nicht aus. Meine Eltern sind auch sehr stolz, trotzdem reden sie mit mir nicht permanent über meine Karriere. Und wenn ich für meinen Zivildienst in die Klinik gehe…

…für geistig behinderte Menschen…

…dann hält mich das auf dem Boden der Realität. Aber ich steuere das nicht aktiv. Es ist einfach so, das ist zurzeit mein Leben. Es ist anstrengend, aber es macht Spaß, es erfüllt mich.

Wie schafft man den Rhythmuswechsel im Kopf? Vormittags Fußballprofi und Nationalspieler, nachmittags in die geschlossene Einrichtung zum Zivildienst…

Es ist nicht so einfach. Man ist oft mit seinen Gedanken noch auf dem Platz. Aber ich habe mir vorgenommen, mich jetzt noch die vier Monate so zu engagieren, wie es nötig und richtig ist. Und danach werde ich mich komplett auf den Fußball konzentrieren. Ich will nur kein Aufhebens darum machen, um diese und jene Welt. Es ist eine Welt.

Argentiniens Nationaltrainer sagt, ein geschulter Charakter sei für einen großen Fußballer genauso wichtig wie seine technischen und taktischen Fähigkeiten. Würden Sie dem zustimmen?

Ich bin länger in der Schule geblieben, habe weiterhin Freunde und Menschen, die in meinem Alter um mich herum sind. Ich habe das Abi fertig gemacht, neben dem Fußball. Sonntags auf dem Platz, montags wieder Schule. Es war ein Spagat, aber er hat mich weitergebracht.

Oft sagen Spieler, es sei eine Ehre für sie in der Nationalmannschaft zu spielen. Eigentlich hört man Begriffe wie Ehre, Stolz, Werteorientierung von der älteren Generation. Können Sie mehr damit anfangen als andere Fußballspieler?

Ich kann da nur für mich sprechen. Bei mir hängt das mit meiner Familie zusammen, mit meiner Erziehung. Zusammenhalt, Vertrauen, Rückendeckung geben. Das macht meine Familie, und ich versuche, sie vom Rummel fern zu halten. Meine Eltern sind seit fast 25 Jahren verheiratet, wir haben ein gesundes Verhältnis und können uns aufeinander verlassen. Familie ist ein Wert, eine gewisse Bescheidenheit ein anderer. Ich würde jetzt nirgendwo alleine hinziehen, wo ich keinen Kontakt mehr hätte. Auch der Zivildienst hilft mir, über Werte zu sprechen.

Befürchten Sie, dass Sie in die Situation kommen, Hannover verlassen zu wollen oder zu müssen – zu einem anderen Klub?

Zum Glück ist die Situation noch nicht da. Vor einem Jahr war ich ein Niemand in der Bundesliga, hatte gerade mal ein Bundesligaspiel gemacht, dann war ich wieder bei den Amateuren. Und plötzlich stehe ich in der Nationalmannschaft, es wird viel über einen Wechsel spekuliert. Das berührt mich, aber Hannover ist zurzeit genau das Richtige für mich und meine Entwicklung. Ich kann da spielen, man vertraut mir. Irgendwann wird man sehen, ob es neue Herausforderungen gibt.

Dennoch können Vereine, die nicht international spielen, langfristig kaum deutsche Nationalspieler halten. Das wissen auch Sie.

Ja, deshalb müssen wir uns anstrengen, dass wir ins internationale Geschäft kommen.

Das kann noch dauern, wie kommen Sie klar damit, in der Nationalmannschaft an der Spitze zu spielen, in Hannover eher im Mittelmaß?

Naja, ich sehe das schon anders. Wir sind noch im Pokal dabei, wir stehen ganz gut da, besser als Mittelmaß. Ich muss erst einmal eine normale Bundesligasaison durchspielen.

Aber dann fehlt ihnen die Möglichkeit, internationale Erfahrungen zu sammeln, und wenn Sie Weltmeister werden wollen, müssen Sie alle schlagen können.

Wenn ich in Hannover spiele, habe ich genug Wettkampf. Es ist nicht hinderlich für mich, auch ohne Spiele in der Champions League oder im Uefa-Cup in der Nationalmannschaft meine Leistung zu bringen. Ich habe von Anfang an in der Nationalmannschaft gezeigt, dass ich mithalten kann.

Sie würden lieber in Hannover bleiben, der Entwicklung wegen, und vielleicht damit Ihre WM-Teilnahme aufs Spiel setzen?

Es macht im Moment keinen Unterschied, ob ich international spiele oder nicht. Die WM ist noch ein bisschen weg.

Was sagt denn Jürgen Klinsmann zu Ihrer Situation?

Dass ich gut aufgehoben bin in Hannover unter einem Trainer wie Ewald Lienen.

Hat der Bundestrainer den vielen neuen Spielern schon einmal seine Fußball-Philosophie erklärt? Wissen Sie, wie Sie und die anderen im Idealfall spielen sollen?

Ich denke, dass wir im Moment noch dabei sind, uns zu entwickeln, speziell im Spiel nach vorne. Wichtig ist, dass wir eine Einheit bilden. Auf diesem Weg sind wir. Der Rest, eine Taktik zu finden für die WM, wird kommen.

Wann wird die Zeit des Testens vorbei sein?

Ab der neuen Saison geht es richtig los.

Welche Rolle werden Sie dabei spielen?

Ich möchte auf den Zug aufspringen, will dabei sein und Weltmeister werden.

Als Stammspieler?

Wenn ich gesund bleibe, dann ja. Aber ein Traum wäre es auch schon, im Kader zu sein.

Vielleicht sind Sie zu bescheiden. Will Klinsmann nicht, dass man zum richtigen Zeitpunkt auch den eigenen Anspruch deutlich macht, ohne gleich Radau zu machen?

Das ist nicht so leicht für einen jungen Spieler. Es ist ganz wichtig, wie sich einer in der Gruppe gibt. Das registriert der Trainer schon, wie die Gemeinschaft zusammenarbeitet, auch wenn wir aus verschiedenen Klubs kommen.

Kann man nur mit Understatement Stammspieler werden – und Weltmeister?

Man überlegt sich schon, wie viel Selbstvertrauen man unter den anderen zeigt, den erfahrenen Spielern. Sie müssen ja erst einmal in die Gruppe integriert sein. Man schafft das durch Leistung auf dem Platz, dort zeige ich mein Selbstvertrauen. Außerhalb des Platzes bin ich bescheiden, das zeigt der Gruppe, wer ich bin.

Aber mit guter Leistung steigt auch die Verantwortung.

Wenn ich dazugehöre und spiele, dann werde ich diese Verantwortung auch übernehmen. In Hannover habe ich gezeigt, dass ich damit klarkomme.

Das Gespräch führten Armin Lehmann und Michael Rosentritt.

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