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Sport: Ich säe was, was du nicht siehst

Wimbledon bleibt vor Olympia wenig Zeit, den Tennisrasen wiederzubeleben.

Roger Federer durfte vor zweieinhalb Wochen als einer der Ersten einen Fuß auf die frisch präparierten Rasenplätze von Wimbledon setzen. Und dieses wunderbare Gefühl, wenn man etwas betritt, das Hunderte von Stunden sorgsam angebaut, gehegt und gepflegt wurde, ist für einen Tennisspieler in etwa so, wie für Neil Armstrong die ersten Schritte auf dem Mond gewesen sind. „Es ist etwas ganz Besonderes“, schwärmte Federer, „der Untergrund fühlt sich so weich und einfach perfekt an.“ Als der Schweizer dann am Sonntagabend als Letzter mit der Siegertrophäe den Rasen des Centre Courts verließ, war von diesem Gefühl jedoch längst nichts mehr übrig. Denn besonders die Bereiche an der Grundlinie wirkten eher wie karge Kraterlandschaften. Normalerweise haben die Halme im All England Club zwölf Monate Zeit, wieder saftig-grün nachzuwachsen, doch dieses Mal bleiben Chefgärtner Eddie Seaward nur 20 Tage, bis die Olympischen Spiele beginnen. Dieses Projekt wird seine persönliche kleine Mondlandung.

Es sind harte Tage für den 68-Jährigen, vielleicht die härtesten, seit er 1991 oberster Greenkeeper im Club wurde. Denn nun zählt wirklich jede Minute. Eigentlich könnte Seaward seit drei Jahren seinen Ruhestand genießen, doch er ist eine absolute Koryphäe, und so hatte man „mich gebeten, bis Olympia zu bleiben“, sagt er. Und diese große Herausforderung reizte Seaward. Vor zwei Jahren hatte er mit seinen 27 Gärtnern bereits einen Testlauf an der Church Road absolviert, um das London Olympic Organizing Committee zu überzeugen, „dass wir den Rasen in so kurzer Zeit makellos hinkriegen“. Es gelang, und so ist Seaward zuversichtlich, dass bis zum Turnierbeginn am 28. Juli der Rasen perfekt sein wird. „Abgewetzt ist er hauptsächlich an den Grundlinien“, meint Seaward, „wenn wir viel wässern und düngen, sollte es in ein paar Tagen schon wieder grün werden.“ Zauberei ist das nicht, der Greenkeeper arbeitet mit vorgewachsenen Halmen, die schon während des Grand-Slam-Turniers in Eimern gezogen und nach Turnierende sofort in die kahlen Stellen gepflanzt wurden. Halm für Halm, auf zwölf Plätzen. Die sieben Trainingscourts mussten sie vernachlässigen, „dafür reicht die Zeit nicht“, so Seaward.

Dass es überhaupt möglich ist, die Spiele in Wimbledon zu absolvieren, ist vor allem ein Verdienst Seawards. Wenn er Ende August in den Ruhestand geht, wird es sein Vermächtnis sein, den Rasen resistenter und härter gemacht und das Rasentennis so revolutioniert zu haben. Als er zu Beginn der 90er Jahre mit seiner Arbeit begann, dominierten in Wimbledon noch die gewaltigen Aufschläger wie Pete Sampras oder Goran Ivanisevic. Die Ballwechsel waren kurz, die Matches oft monoton. Seaward überzeugte die Kluboberen mit dem renommierten Institut für Rasenforschung (STRI) in Bingley im Norden Englands zusammenzuarbeiten, um den Rasen und damit auch die Attraktivität des Spiels zu verbessern. Rund 2100 Sportorganisationen berät das STRI, zuletzt testete das Institut den Rasen für die Fußball-EM in Polen und der Ukraine.

Für Wimbledon suchte man schließlich aus 100 Gräsersorten die perfekte Mischung aus drei Arten Weidelgras heraus, und nun spielt seit 2001 niemand mehr Serve-and-Volley in Wimbledon. Da der acht Millimeter kurze Rasen stark gewalzt wird, sieht man Grundlinienduelle wie auf Hartplätzen. Auch wenn sich manche Puristen darüber mokieren, für Olympia ist es ein Segen, dass nur Teilbereiche ausgebessert werden müssen. Ein kompletter Rasen, wie er beim Serve-and-Volley-Spiel ruiniert wird, wäre in so kurzer Zeit nicht ersetzbar gewesen. „Die Natur lässt sich eben nicht hetzen“, sagte Seaward gelassen, eines aber macht ihm dennoch Sorgen: Die ersten olympischen Werbebanner wurden im Club angebracht, und das passt für ihn eben so gar nicht zu Wimbledon. Ein Revolutionär ist Seaward zwar, ein Traditionalist aber auch.

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