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© Gaby Gerster/ Stern/ laif

Interview: "Ich war im Körper einer Frau gefangen"

Mit 14 Jahren war die Pubertät eine Qual, mit 27 die große Befreiung. Warum Balian Buschbaum von Freunden einen Marzipanpenis geschenkt bekam.

Balian Buschbaum, 29, war als Yvonne Buschbaum durchs Stabhochspringen bekannt, Bestleistung 4,70 m, zwei Mal Deutsche Meisterin, Olympiasechste in Sydney, Seit einer Operation vor zwei Jahren ist Buschbaum offiziell ein Mann. Gerade erschien von ihm "Blaue Augen bleiben blau - mein Leben" (Krüger Verlag).

Guten Tag, Herr Buschbaum. Oh! Einen ganz schön festen Händedruck haben Sie ...

… und jetzt vermuten Sie, ich wollte damit beweisen, dass ich ein ganzer Kerl bin. Unsinn! Alle Stabhochspringer können kräftig zupacken, ob Mann oder Frau. Ohne ordentlichen Griff geht da nichts.

Wie klingt das in Ihren Ohren: Herr Buschbaum.

Es ist Alltag geworden, gang und gäbe. Es ist inzwischen, als wäre es nie anders gewesen. Ich gebe zu, anfangs war es ein wenig merkwürdig. Auch weil ich nach der Namensänderung immer mal wieder mit Frau Buschbaum angeredet wurde, was mir natürlich sauer aufgestoßen ist. Irgendwann hatten es alle kapiert, schön für mich.

Sie sind als Mädchen geboren worden und haben von den Eltern den Namen Yvonne bekommen ...

... Moment mal, da muss ich Sie gleich unterbrechen. Das stimmt nicht ganz. Ich wurde nicht als Mädchen geboren. Nur wenn man mich auf das Geschlecht reduziert, ist das so.

Ihre Eltern zumindest hielten Sie für eines.

Na ja, meine Mutter hat wohl von meinen ersten Schritten an gemerkt, irgendwas stimmt da nicht. Ich war flink und hatte Energie, ich interessierte mich nicht für Puppen und ging auf Bälle und technisches Spielzeug los, im Babyalter schon. Ich war schon in mein Kindermädchen verliebt, dann in die Kindergärtnerinnen. Simpel gesagt war ich nach einem falschen Bauplan zusammengesetzt: ein männliches Wesen in einem weiblichen Körper. Heute weiß man aufgrund von Studien, dass das Gehirn transsexueller Menschen die Form und die Funktion des von ihnen gefühlten Geschlechts hat.

Konnte sich Ihre Mutter einen Reim auf Ihr Verhalten machen?

Nicht wirklich. Sie fand es aber nicht schlimm, weil sie mich als fröhliches Kind erlebt hat. Ich muss einen glücklichen Eindruck gemacht haben.

Hat man Sie häufig für einen Jungen gehalten?

Eigentlich andauernd. Ich fand das gut, ich fühlte mich ja wie einer. Irritierend war dann eher, wenn meine Mutter die Lage geklärt hat. Ihre Standardreaktion war: An dem Mädchen ist ein Junge verloren gegangen.

Kein Kind hat es leicht, wenn es anders ist als andere.

Ich bin als Glückspilz auf die Welt gekommen, ich kann es nicht anders sagen. Meine Eltern, Klassenkameraden, meine Freunde, alle haben mich genommen, wie ich bin. Ich war sehr frei in meiner Entwicklung.

Das klingt zu schön, um wahr zu sein.

Sie dürfen das glauben. Ich bin sogar meistens auf die Jungstoilette gegangen, weil ich dachte, da gehöre ich hin. Ich vermute, akzeptiert zu werden oder nicht, liegt daran, wie man sich präsentiert. Wenn ein Kind in geduckter Haltung durchs Leben geht und signalisiert, mit mir stimmt etwas nicht, ich habe ein Geheimnis – da können andere Kinder brutal werden. Ich habe mich nie versteckt. Wenn im Sportunterricht Teams gewählt wurden, haben die Jungs normalerweise die besten Jungs gewählt. Ich habe immer gezeigt, wie gut ich spielen kann, wie ich kämpfen kann. Also haben sie mich als Ersten genommen. Für mich war das toll.

Mit der Pubertät kam die Menstruation, Ihnen wuchsen Brüste. Hat Sie das verstört?

Verstört, verwirrt, das sind die falschen Worte. Es war eine tiefe Traurigkeit in mir. Ich spürte, da läuft etwas schief. Diese Pubertät war doch nicht meine! Ich wurde mehr und mehr in mich gekehrt, ich habe mich zurückgezogen. Ich wollte das mit mir selbst klären und wusste gar nicht: was?! Im Rückblick würde ich sagen, es war eine Art Depression.

Der Hormonmediziner Professor Günter Stalla hält junge Menschen in Ihrer Situation für extrem gefährdet: „Schlimmstenfalls kommt es zu Selbstverstümmelungen und Suizidversuchen.“

Hätte ich den Sport nicht gehabt, wäre ich vielleicht gar nicht mehr. Ich hätte dieses Leiden anders nicht kompensieren können. Ich habe gemerkt, mit Training und Disziplin kann ich viel erreichen. Ich kann sogar meinen Körper verformen, umformen. Ich wollte ihn männlicher haben, und das ist mir ja auch gelungen.

Es gibt Transsexuelle, die ihren eigenen Körper gar nicht ansehen können, so sehr ist er ihnen verhasst. Sie hängen den Spiegel so hoch, dass sie dort nur in ihr Gesicht schauen.

Ich verstehe diesen Selbsthass. Dass man sich ritzen will, sich schneiden, sich verbrennen. Ich habe aber mit dem Sport einen Weg gefunden, mir meine eigene Welt zu bauen und Hass in Freude zu verwandeln. Es war mir ja nicht möglich, mich mitzuteilen oder Hilfe einzufordern, weil ich gar nicht begriff, was mit mir los war. Ich konnte diesen dunklen Makel, den ich fühlte, mit dem Verstand nicht fassen. Also habe ich mich dumm und dämlich trainiert. Ich wollte professionell Sport treiben, ich wollte mit Stabhochsprung mein Geld verdienen. Das war mein Ziel. Wenn andere ins Kino gingen, habe ich Tempoläufe gemacht. Wenn sie Partys gefeiert haben, hing ich fix und fertig auf dem Sofa und habe mich regeneriert. Der Sport war mein Ventil.

Sport auf diesem Niveau ist Masochismus und ...

... ja, richtig! Und es ist ein tolles Gefühl, körperlich so kaputt zu sein, so total am Ende, müde, schlapp, weil man nicht mehr denken kann. Da war ich mal für einige Augenblicke zufrieden. Und ehe sich mein Kopf erholt hatte, bin ich wieder los und habe es meinen Muskeln ordentlich gegeben. Da bleibt keine Zeit, über das Leben nachzudenken, zu analysieren, was läuft falsch bei dir.

Hochleistungssport ist ein Fulltimejob?

Sieben Tage die Woche, morgens eine Schicht, dann Physiotherapie und Essen, kurze Regeneration, nachmittags weiter bis abends um acht, so ging das jahrelang, Sprinten, Turnen, Koordination, Stabilisation, Technikübungen mit dem Stab, Stabhochsprung ist eine vielseitige Disziplin. Und das Beste: der Kraftraum. Wo Frauen sagen: lieber nicht, das macht Muskeln, da habe ich vier, fünf, sechs Einheiten lang schweres Eisen gestemmt bis zur Erschöpfung. Da konnte ich viel Wut ablassen und war abgelenkt.

Sie haben doch sicher mal Urlaub gemacht und sind zur Ruhe gekommen.

Oh ja, ich habe meine Eltern besucht, die lebten inzwischen in Tampa, Florida. Die drei Wochen waren eine Qual. Ich saß an einem schönen Strand, 40 Grad, ein perfektes Meer, und in mir kreiste diese eine Frage: Es ist wie im Bilderbuch, warum bis du nicht glücklich, nicht frei? Weil ich im Körper einer Frau gefangen war. Als Mann hätte ich mir gerne das T-Shirt vom Leib gerissen, mich bräunen lassen, ins Wasser springen, es ging nicht, ich hatte Brüste, wenn auch nicht üppig.

Sie standen immer auf Frauen. Haben Sie nie gedacht: Bin ich lesbisch?

Keine Sekunde. Ich fühlte mich als Mann. Dann hätte ich schwul sein müssen, aber sexuell fand ich Frauen attraktiv.

Sie hatten, wie Sie schreiben, ein ausschweifendes Sexualleben mit heterosexuellen Frauen. Selbst wenn die in Ihnen einen Mann sahen – sobald Sie nackt waren, war es aus mit dieser Illusion.

Das wussten die ja schon vorher, meine Stimme war weiblich. Der Mensch besteht aber aus Kopf, Seele und Körper, und bei mir war der Kopf männlich, die Seele männlich, da stand es immer 2:1 für den Mann. Meine Freundinnen haben verstanden, wie ich ticke. Ich wollte mit diesen Frauen schlafen, ich wollte sie befriedigen, ich wollte sie glücklich sehen – aber ich selbst konnte den Sex nicht genießen. Meine Sexualorgane waren die falschen. Versetzen Sie sich mal in meine Lage: Mit 16 hatte ich die erste Freundin, mit 27 kam meine Erlösung, ich hatte also 11 Jahre unerfüllten Sex, weil ich um meinen Penis betrogen wurde. Heute würde ich sagen: Der Drang, Frauen erobern zu wollen, war für mich wie ein Wettkampf, ich wollte beweisen, dass ich es besser kann als jeder Mann. Es war auch Kompensation.

Wann haben Sie das Wort Transsexualität das erste Mal gehört?

Da war ich 18, es war ein Bericht im Fernsehen, der hat einem wenig Hoffnung gemacht. Es hieß, den Penis eines Mannes kann man nicht nachbilden, oder das Ergebnis ist unbefriedigend. Die Botschaft war: Besser die Finger davon lassen.

Haben Sie sich denn bei der Schilderung von Transsexuellen wiedererkannt?

Ich habe kurz darüber nachgedacht. Aber da hatte ich gerade meine erste Medaille bei einer Europameisterschaft geholt, und schon ging es weiter, Deutsche Meisterschaft, Weltmeisterschaft, immer weiter. Schon war der Kopf wieder woanders.

Bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney wurden Sie Sechste, eigentlich ein schöner Erfolg.

Es war mehr drin, eine Medaille war möglich. Vermutlich stand mein Kopf wieder mal im Weg, in mir war einfach keine Harmonie. Ich bin dann nicht mal mehr zur Abschlussfeier, ich dachte, ich gehöre da nicht hin. Nach einem 24-Stunden-Flug kam ich in meinem damaligen Zuhause in Stuttgart an und fuhr direkt ins Stadion, trainieren. Ich habe meinen Körper wieder und wieder geschunden, ich habe ihn langsam regelrecht zerstört.

Die Trainer haben doch sicher mal gesagt: Tu langsam!

Mich konnte niemand aufhalten. Erst ein Riss der Achillessehne hat mich gestoppt.

Eigenartig. Der Sport hat Ihnen geholfen, zu verdrängen und zu überleben, und er hat verhindert, dass Sie zu sich kommen und begreifen, was los ist.

Ich habe mein Leben lang Gas gegeben und gleichzeitig die Bremse gedrückt. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen.

Durch die Verletzung hatten Sie reichlich Zeit, nachzudenken.

Ich habe ein Jahr Pause machen müssen, von 2004 bis 2005. Wenn man gewohnt ist, täglich zu laufen, sich zu verausgaben, ist das der Horror. Ich dachte eine Zeit lang, mich gibt es gar nicht mehr. Nebenbei habe ich mich über die Achillessehne informiert, im Internet, in Büchern. Ich bin ja überzeugt davon, es fliegt einem alles zu, irgendwann, man muss es nur ergreifen.

Sie lesen Paulo Coelho, stimmt’s?

Ja, jedes Buch von ihm, es gefällt mir.

Lustig, das gilt als Frauenliteratur.

Ach, interessant. Ich dachte immer, in seinen Büchern geht es um Selbstfindung. Jedenfalls bin ich auf die Geschichte des Achilles gestoßen, ich las auch, dass der Körper Signale aussendet, dass ein Ungleichgewicht der Seele zu Krankheit führt, ob Herzinfarkt oder Bandscheibenvorfall. Ich konnte mir plötzlich einen Reim auf meine Verletzung machen. Ich habe da, glaube ich, das erste Mal zugelassen, dass meine Gedanken frei werden.

Und wann haben Sie entschieden: Ich bin transsexuell und möchte mich radikal verändern?

Das war erst 2007. Die Mutter meiner damaligen Freundin war klug und gebildet, die hat recht schnell gefragt: Sag mal, warum lässt er sich denn nicht operieren? Es ist doch offensichtlich, wie er geht, wie er sich gibt, die ganze äußere Erscheinung. Meine Freundin hat mir das weitererzählt. Da ging mein Tor auf! Ich hatte auf einmal ein klares Bild von mir, nachdem ein Puzzelteil zum anderen gelegt worden war. Ich habe dann die folgende Nacht im Internet recherchiert: Transsexualität, Lösungen, Ärzte, Spezialeinrichtungen ... Es war teilweise auch erschreckend, was ich da lesen konnte. Übel aussehende Resultate, die nicht funktionierten, das ging bis zum Suizid.

Vor einer offiziellen Änderung des Geschlechts stehen bürokratische Hürden, das soll wohlüberlegt sein. In den USA hat eine Frau, die ein Mann wurde, auf einmal doch ein Kind gewollt – und bekommen.

So ein Hin und Her ist bei mir undenkbar. Ich brauchte zwei psychologische Gutachten, schon um den Namen zu ändern. Ich bin zur ersten Psychologin und habe ganz offen mein Leben hingeblättert. Die sagte: So eindeutig, unglaublich! Ich musste nicht mal einen Alltagstest machen, ob ich mit männlicher Kleidung zurechtkomme, wozu auch? Ich habe noch nie Frauenkleider getragen, noch nie. Hose, Hemd, Pullover, anders kenne ich mich nicht.

Es gibt Selbsthilfegruppen und ...

... das wäre für mich das Schlimmste gewesen, nein, nein. Ich will nicht wissen, wie es anderen geht. Mich gibt es nur ein Mal. Ich habe immer alles mit mir selbst ausgemacht und bin mit dem Kopf durch die Wand. Ich habe auch so einen guten Arzt gefunden.

Die Olympischen Spiele von Peking waren Ihr sportliches Ziel. Haben Sie nie überlegt, dieses Jahr ziehe ich noch als Stabhochspringerin durch und dann kommt der nächste Schritt?

Nein, das hätte mich verrückt gemacht, jetzt, wo mir klar war, was ich wollte. Ich bin zu diesem Arzt nach Potsdam gefahren, ich wollte wissen, ob die Chemie stimmt, kann ich ihm vertrauen? Schließlich will ich mit diesem Penis mein restliches Leben leben und damit glücklich sein. Er hat den Ruf, der beste zu sein. Ich habe Fotos von seinen Arbeiten gesehen, beeindruckend. Er ist der Oscar-Preisträger in der Kategorie Penis.

Wer in der plastischen Chirurgie eine neue Nase will, kann zwischen griechisch und stupsig nach Wunsch jede Form bekommen, so wie sich Frauen bei den Brüsten die Implantate nach Größe und Gewicht aussuchen. Jetzt, was gibt es denn da zu lachen, Herr Buschbaum?

Und Sie denken, da steht dann eine Vitrine mit Penissen, alle Größen, alle Farben? Das ist doch totaler Schwachsinn. Die körperlichen Proportionen müssen stimmen, dafür hat dieser Arzt ein gutes Auge. Sie können einem kleinen Menschen keinen 20 Zentimeter langen Penis annähen. Er muss ja auch später bedient werden können. So ein großes Ding stellt keine Penispumpe auf.

Nun erklären Sie doch bitte mal: Wie geht denn so was?

Der Penis wird aus einem Hautlappen gerollt und geformt, der aus dem Unterarm geschnitten wird, samt Blutgefäßen, Unterhautfettgewebe, Venen ... Der muss durchblutet werden, in ihm soll ja schließlich Gefühl drin sein. Ein halbes Jahr später, wenn alles gut verheilt ist, werden zwei Schwellkörper eingesetzt, die Penispumpe.

Offiziell heißt das nicht Geschlechtsumwandlung, sondern geschlechtsangleichende Operation. Dabei werden auch Eierstöcke und Gebärmutter entnommen. Hatten Sie niemals Zweifel, diesen Schritt zu gehen?

Nein, dieser Schritt war klar. Und doch: Kurz vor der Operation, da hatte ich Angst, ob ich wieder aufwache. Das ist ja eine große, neuneinhalbstündige Operation mit vielen Risiken. Anders als die Brust-OP davor, die war wie ein Friseurbesuch. Sie müssen sich vorstellen, ich hatte diesen Traum, der unerreichbar schien, und der sollte nun in Erfüllung gehen. Da kommt schon die Sorge auf, was ist, wenn du diesen Traum gar nicht zu Ende leben kannst? Ich habe vorher auch viel nachgedacht und mir die Frage gestellt: Spiele ich Gott, wenn ich mein Geschlecht verändere?

Sind Sie gläubig?

Ich habe mir meine eigene Religion zusammengemixt: ein bisschen Indianer, etwas Buddhismus, eine Prise Christentum. Die ist gut für mich.

Die Psychologin Sophinette Becker vom Sexualwissenschaftlichen Institut Frankfurt sieht Probleme: „Auf operierte Transsexuelle kommt einen zweite Pubertät im Erwachsenenalter zu.“ Das erleben Sie nun seit November 2008.

Ja, das hatte etwas von Pubertät, für mich allerdings wesentlich entspannter, ich hatte ja die Erfahrung eines 27-Jährigen. Eigentlich geht die Pubertät schon lange vorher los, mit der Hormonbehandlung, mit der ersten Testosteronspritze. Es juckt überall, die Härchen sprießen. Ich hatte Stimmbruch, zwei Monate lang hab ich so gekrächzt, dass mir jeder gute Besserung gewünscht hat.

Testosteron ist ein klassisches Dopingmittel. Was tut sich da?

Das ist ein Hammer, eine Explosion! Das Unterhautfettgewebe verabschiedet sich. Die ganze Muskulatur wird fester und auch mehr, ich bekam ohne Training mehr Muskeln als zuvor mit der ganzen Plackerei. Ich habe in sechs Monaten acht bis zehn Kilo zugenommen – wumm! Meine Waden sind auf einmal dicke Dinger, das hatte ich nie hinbekommen. Ich wurde kompakt wie ein Kampfhund. Die Brüste bilden sich auch zurück, was ja gut ist für die Operation.

Sehen Sie heute klarer, wenn Sie bei großen Wettkämpfen zuschauen?

Na sicher. Ich kann die Anzeichen bei manchen Frauen lesen: Leichter Stiernacken, der Kiefer hat sich nach vorne geschoben und wird breiter, die Waden, die Stimmen ... Ich denke dann, warum ist die Welt so blind?

Testosteron müssen Sie regelmäßig weiternehmen?

Ja. So eine Spritze reicht zwei, drei Monate, das hängt auch davon ab, wie viel Sex ich habe.

Kennen Sie eigentlich den Film „Transamerica“, der einen Golden Globe gewann?

Er war ganz nett, und doch hat jeder seinen eigenen Weg bis zur Vollendung.

Es ist ein Roadmovie mit einer Frau, die im Körper eines Mannes gefangen ist und sich als Frau kleidet. Sie kommt auf eine Party von Transsexuellen und hört jemanden sagen: „Ich war eine Frau und ich war ein Mann, ich weiß alles über die Menschen.“ Wie hat sich denn Ihre Psyche verändert?

Es ist schwer in Worte zu fassen, ich will es versuchen. Als Östrogen durch meinen Körper strömte, waren meine Empfindungen vielschichtiger, vielleicht auch tiefer gehend. Man sagt von Männern, sie denken mit dem Penis, das stimmt. Ich brauche mehr Sex. Ich bin auch direkter geworden, dieses Abwägen und Ausbalancieren, das Frauen nachgesagt wird, ist weg. Das Leben ist einfacher, wenn es weniger komplex ist.

Kurzum: Männer sind tendenziell schlicht gestrickt. Mal ehrlich, das lernen wir in jeder billigen Kino-Komödie.

Es tut mir leid für Sie. Ich bin echt dankbar dafür. Wenn die Welt doch so simpel sein kann, nehme ich sie gerne so hin.

Haben Sie denn Sex neu lernen müssen?

Nein, überhaupt nicht. Und das mit der Penispumpe ist einfach. Auf die habe ich übrigens 15 Jahre Garantie. Wenn sie nicht mehr funktioniert, gibt’s eine neue. Die sind ja auch nicht für Transsexuelle erfunden worden, sondern für Männer mit Erektionsproblemen. Sie gucken so fragend, ich erkläre es Ihnen. Der eine Hoden ist aus Silikon, der andere ist ein Ballon, da ist eine Flüssigkeit drin, da drücke ich drei, vier Mal drauf und pumpe diese in die Schwellkörper, das bringt die Erektion. Zurückfließen kann das nur, wenn ich quasi am Ballon den Knopf drücke.

Das klingt sehr mechanisch. Erleben Sie so etwas wie einen Orgasmus?

Natürlich, das ist doch das Schönste am Sex.

Wenn Sie eine Frau näher kennenlernen, überlegen Sie da vorher: Sag ich’s ihr?

Mir ist nichts mehr auf der Welt peinlich, ich nehme das Leben mit Liebe und mit Humor. Wenn ich eine Frau neu kennenlerne, die nichts von mir weiß, könnte ich sie täuschen, ich bekäme das hin, dass sie nichts merkt. Aber meine Vergangenheit gehört zu mir, ich will sie nicht abschütteln, ich rede darüber, ich schäme mich nicht dafür. Und wenn eine ein Problem damit hätte: Es ist nicht mein Problem.

Sie sind zufrieden.

Rundum. Es hat nur einmal gehakt, beim ersten Mal, vier Wochen nach der letzten Operation. Ich hatte meine neue Wohnung in Mainz hergerichtet, den letzten Karton ausgeräumt und ein Bild an die Wand geklopft – ach, wie schön, Kerzen angezündet, Musik aufgelegt. Ich denke, zur Feier des Tages könntest du es mal ausprobieren, ohne dass eine Frau im Spiel ist. Ich bin zum Spiegel gegangen, er stand wie eine Eins, super! Ich hab ihn dann nicht mehr runtergekriegt. Ich versuchte alles, sogar die Gebrauchsanweisung habe ich gelesen, das mache ich sonst nie, egal was ich kaufe. Es war Sonntag 23 Uhr mittlerweile. Ich wollte nicht mit diesem Dauerständer ins Krankenhaus, also rief ich den Notdienst in Potsdam an. Konnte mir auch nicht helfen. Jetzt war es nicht mehr witzig, ich hatte Schmerzen und kam daher wie Opa mit dem Krückstock. Ich wusste, das kann an den Gefäßen Schäden hinterlassen. Ich verbrachte die Nacht auf dem Rücken liegend. Um es kurz zu machen: Nach 23 Stunden und 37 Minuten hat mich ein Frankfurter Urologe aus dieser Lage befreit.

Sie erzählen das wie alles andere auch sehr heiter, geradezu beschwingt, Sie lachen viel.

Ich könnte die Welt umarmen, Bäume ausreißen, ich spüre keine Grenzen mehr, nachdem ich hinter mir habe, was mich so eingeengt hat. Es ist, als seien mir Flügel gewachsen.

Und Sie wollen eine Familie gründen, haben Sie angedeutet.

Ja, doch das hat Zeit. Es wäre auch schön, eigene Kinder zu haben. Da gibt es ja viele Möglichkeiten, nur der Samen kann nicht von mir kommen.

Herr Buschbaum, Stabhochsprung war Ihr Beruf, Sie waren als Sportsoldatin der Bundeswehr abgesichert. Das geht nun alles nicht mehr. Sie verdienen Ihr Geld als hauptamtlicher Trainer beim USC Mainz.

Es ist nicht lukrativ, aber ich komme zurecht und warte, ob mir etwas Neues zufliegt.

Die Münchner „tz“ schrieb: „Herr Buschbaum, können Sie jetzt besser einparken?“ Müssen Sie mit diesem Witzeniveau leben?

So primitiv war es nie wieder. Im Gegenteil, die Leute begegnen mir gelassen. Als ich nach der Operation zu meiner Sportgruppe zurückkam, wurde ich mit einem frisch gebackenen Hefemann überrascht, den ein Penis aus Marzipan zierte.

Sie heißen nun mit Vornamen Balian. Wo Sie doch immer ein echter Mann sein wollten: Wäre da Helmut oder Fritz nicht eindeutiger gewesen?

Das mit dem Namen kam zufällig. Ich hatte die Geschichte von Balian von Ibelin gelesen, der verliert Frau, Haus und Hof und begibt sich auf eine lange Reise zu sich selbst. Ich dachte, das passt zu mir.

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