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Sport: „Ich will endlich selbstständiger werden“

Nationalspieler Per Mertesacker über seinen Versuch, auf eigenen Beinen zu stehen, sein Image und die Beziehung zu Klinsmann

Herr Mertesacker, Sie beziehen gerade Ihre erste eigene Wohnung. Was ist das für ein Gefühl?

Ein tolles. Aber der Einzug dauert etwas länger, weil ich mit Werder viel unterwegs bin. Als ich nach Bremen kam, habe ich mir schnell eine Wohnung gesucht. Jetzt bin ich dabei, mir die Möbel dazu zu kaufen. Gerade ist die Waschmaschine geliefert worden. Und ein monströses Sofa, wie wir es bei der WM im Mannschaftshotel im Grunewald hatten. Das hat nicht durch den Flur gepasst. Übers Dach und die Terrasse hat es dann funktioniert.

Was haben Sie aus Ihrem Elternhaus mitgenommen?

Kaum was. Ein paar Anziehsachen, aber ganz viele Erinnerungen.

Macht Ihnen das Einrichten Spaß?

Spaß ja, aber ich bin kein Experte. Ein paar Eindrücke nehme ich vom alten Zuhause mit. Ich fühle mich wohl, wenn es so ähnlich gestrickt ist. Ich versuche zwar, einen eigenen Stil zu entwickeln, aber das ist gar nicht so einfach. Welche Farben sollen es sein, welche Möbel?

Bleibt Ihr Kinderzimmer in Pattensen so, wie Sie es verlassen haben?

Bis jetzt ja. Mein altes Bett steht noch da, mein Schrank, eigentlich alles. Aber mein kleiner Bruder spekuliert sehr auf das Zimmer, weil es größer ist als seins. Die Stimmen werden immer lauter, dass ich endlich weg soll.

Wurden Sie von Ihren Mitspielern nicht aufgezogen, weil Sie, der WM-Held, noch bei Muttern wohnten?

Nein, nie. Aber ich wollte auch endlich auf eigenen Füßen stehen.

Was versprechen Sie sich davon?

In erster Linie war mein Wechsel eine sportliche Entscheidung. Der Erfolg im Job ist das eine, dass ich auf eigenen Beinen stehen will das andere. Aber jetzt spüre ich auch, wie wichtig mir ganz banale Sachen sind, die Standard waren.

Sie müssen Ihre Wäsche waschen …

Zum Beispiel. Aber ich meine auch das Gefühl der Sicherheit, das ich immer hatte, ohne dafür viel geben zu müssen. Jetzt muss ich erst einmal eigene Strukturen in mein Leben bekommen.

Haben Sie Angst, dass Sie das als Mensch verändert?

Wie meinen Sie das?

Sie könnten ja denken: Wenn ich meine Entwicklung sehe, müsste ich bisher alles richtig gemacht haben – also bloß keinen Fehler machen …

Genau das will ich ja, ich habe keine Angst vor Veränderungen. Ich will endlich selbstständiger werden. Aber generell fällt der Luxus weg: dass immer jemand da ist, der sich um mich kümmert.

Bedeutet der Auszug von zu Hause das Ende Ihrer Kindheit?

Kindheit? Ich weiß nicht, das ist mir zu extrem. Dafür habe ich in den vergangenen zwei Jahren zu viel erlebt. Das Ende der Jugend trifft es wohl besser. Das ist so wie mit dem Abitur. Da kommt man sich schon ein bisschen erwachsener vor.

Haben Sie nicht daran gedacht, ins Ausland zu wechseln?

So weit bin ich noch nicht, trotz der WM, bei der ich viel erlebt habe. Ich habe gemerkt: Du musst erst mal von zu Hause weg, erst mal mit dir selbst zurechtkommen. Mit Bremen habe ich einen guten Übergang gefunden.

Was ist mit Arsenal, Ihrem Lieblingsklub?

Als ich 12 oder 13 war, ist unsere Familie nach England zu meiner Tante gefahren. Die Stores hängen dort voll mit Trikots. Wir Jungs haben blind reingegriffen, und ich habe eins von Arsenal erwischt. Wie das so ist als Kind, fängt man eben an, sich ein bisschen für diese Mannschaft zu interessieren. Mehr ist da nicht.

Dann ist Tony Adams auch nicht Ihr Lieblingsspieler?

Der spielte damals eben bei Arsenal und war sehr auffällig: ein Abwehrspieler, ziemlich groß, blond, sieht mir vielleicht sogar ein bisschen ähnlich. Ich habe jetzt ein Buch von ihm gelesen, über seine Alkoholsucht. Nach dem Ausscheiden der Engländer bei der EM 1996 gegen Deutschland ist er wieder rückfällig geworden. Das Buch ist sehr eigen und emotional geschrieben. Adams war eine Spielerpersönlichkeit, die in jeder Hinsicht polarisiert hat. Das ist jetzt nicht direkt vergleichbar mit mir.

Wären Sie gern selbst etwas wilder?

Nein, absolut nicht.

Wie würden Sie Ihr Image beschreiben?

Schwierig, sich selbst zu beschreiben. Ich habe das Image eines ruhigen, bescheidenen Menschen – geprägt durch meine Erziehung, meine Familie, dass ich bis jetzt zu Hause gewohnt habe. Durch den Fußball habe ich viel erlebt und mich auch verändert, trotzdem finde ich in alte Freundschaften zurück. Ich komme nicht arrogant rüber. Da haben meine Eltern drauf geachtet, und jetzt lebe ich das fort. Das kostet mich keine Anstrengung.

Haben Sie keine Makel?

Auf meiner Internetseite ist viel gestritten worden, als mein Wechsel nach Bremen anstand. Der Nur-Saubermann bin ich nicht mehr, da habe ich auch Gegenwind bekommen. Aber man sagt ja wohl nicht ohne Grund: Du musst eine Drecksau sein, wenn du im Profibereich etwas werden willst.

Fühlen Sie sich in Wortmanns WM-Film gut getroffen?

Mich sieht man ja kaum. Im ganzen Film nur dreimal, und dann auch nur ganz kurz. Eine gute Rolle für mich.

Hat Ihnen Ihr Image mal geschadet?

Vielleicht früher in der Schule. Damals galt ich als uncool, wurde gehänselt.

Wofür? Weil Sie so groß waren, weil Sie Sport getrieben haben?

Das reicht doch schon, oder?

Aber mit Sport kann man auftrumpfen …

Das stimmt. Wir vom Gymnasium haben alle Turniere gewonnen – eine lustige Zeit. Außerdem war Sport ein Superalibi.

Inwiefern?

Das konnte man gut vorbringen, wenn man erklären musste, warum man nicht auf die Party geht oder anfängt zu rauchen, warum man in der Pause oben bleibt, anstatt auf den Raucherhof zu gehen. Für mich und ein paar Freunde waren Skat und Musikhören wichtiger.

Was haben die Mädchen gesagt?

Oh, ganz schwierig.

Haben sich einige Leute von früher bei Ihnen entschuldigt?

Ich würde es so sagen: Sie begegnen mir heute mit sehr viel Respekt.

Weil Sie zum WM-Helden geworden sind. Sie gelten als Prototyp des Jürgen-Klinsmann-Projekts.

Prototyp hört sich blöd an. Ich bin in diese Ära reingekommen, in der er brutal auf junge Spieler gesetzt hat. Viele meinten, es sei zu früh für mich, aber nur so habe ich die nötige Erfahrung bekommen, die WM spielen zu können.

Gab es eine besondere Beziehung zwischen Klinsmann und Ihnen?

Ich hatte immer das Gefühl, dass sein Vertrauen in mich vorhanden ist. Er hat mir immer wieder die Chance gegeben zu spielen. Aber ich musste innerhalb der Mannschaft nie wirklich Verantwortung übernehmen. Außergewöhnlich war nur, dass Jürgen Klinsmann meine Eltern einbezogen hat. Es gab im vergangenen Jahr mal ein Treffen, da hat er ihnen erklärt, was auf mich bei der WM zukommen wird. Meine Eltern waren begeistert. Das war ein Zeichen, dass er in mir mehr gesehen hat als nur den Abwehrspieler.

Stehen Sie noch in Kontakt?

Seit der WM hat er mich vier-, fünfmal angerufen. Das hat mich gefreut, aber auch überrascht.

Worüber reden Sie?

Er hat sich gefreut, dass ich zu Bremen gewechselt bin, und gesagt, dass er meine internationale Karriere auf Vereinsebene verfolgen will. Das hat mich sehr beeindruckt.

Dann dürfte Sie der Rücktritt Klinsmanns besonders getroffen haben ...

Dass eine Führungsfigur das Theater verlassen hat, bringt uns nicht durcheinander. Wir haben als Gruppe etwas Riesiges aufgebaut: als Team, durch unseren Willen, unseren Glauben. Wir erinnern uns immer wieder an bestimmte Szenen, an bestimmte Besprechungen. Wir haben alle noch dieselbe Blickrichtung – in die hoffentlich rosige deutsche Zukunft.

Das Projekt Klinsmann funktioniert auch ohne Klinsmann. Weil die Mannschaft das Vakuum füllt?

Ja, so einfach das klingen mag. Das Gute ist, dass die Mannschaft jetzt auf den Punkt fit sein muss, weil sie in der Qualifikation die Ergebnisse braucht. Trotzdem ist es erstaunlich, wie stark die Mannschaft in den letzten Spielen aufgetreten ist. Der Schub ist sensationell.

Fühlen sich die Spieler jetzt stärker verantwortlich für die Nationalmannschaft?

Auf jeden Fall. Viele haben doch gezweifelt, ob es auch ohne Klinsmann funktioniert. Wir haben gesagt: Wir wollen so weitermachen, auch ohne ihn.

Manuel Friedrich hat nach dem Spiel in der Slowakei gesagt, er habe das Gefühl, er sei schon bei der WM dabei gewesen.

Echt? Cool! Ich kann diese Aussage total verstehen. Das wird einem von der Mannschaft auch vermittelt, dass jeder in diesen Kreis eingeschlossen wird. Es ist einfach ein gewisses Wohlgefühl, bei der Nationalmannschaft zu sein.

Gibt es unter den Nationalspielern ein neues Miteinander?

Und ob! Es ist schon seltsam, wenn man sich in der Bundesliga wieder als Gegner gegenübersteht, wenn wir, sagen wir, gegen die Bayern spielen, und auf der anderen Seite stehen ...

... Oliver Kahn ...

… na gut, der Kahn, der konzentriert sich und sagt kein Wort. Aber Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger. Man merkt schon, dass man irgendwie zusammengehört. Mit diesem Gefühl, dass das auf einmal wieder Konkurrenten sind, kann ich nur schwer umgehen. Ich weiß gar nicht, wie ich im Zweikampf hingehen soll.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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