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Sport: Im Dunkeln

Bei der Schwimm-WM wird gerätselt, ob es der Verband mit der Doping-Bekämpfung ernst meint

Beim Kofferpacken für Schanghai hat Paul Biedermann schon einmal alles richtig gemacht. Sogar eine Wollmütze steckte der Doppel-Weltmeister von 2009 vor dem Abflug nach China mit ins Gepäck, den Wärmeschutz kann der 24-Jährige im Shanghai Oriental Sports Center gut gebrauchen. Trotz der drückenden Hitze vor der Tür. „Hier zieht’s manchmal“, erklärt Biedermann nach dem Training in der vollklimatisierten WM-Halle und streift sich schmunzelnd seine Mütze über. Er muss sich auch bei seinem heutigen Start (13 Uhr, live im ZDF) in die Titelkämpfe warm anziehen.

Die Konkurrenz über 400 Meter Freistil, Biedermanns erster Gold-Strecke bei der WM in Rom 2009, ist groß. Allerdings erwies sich vor der WM die Informationsfindung als schwierig. „Alle tappen im Dunkeln, was die Zeiten der Gegner angeht“, sagt Biedermann, der sich mit Hilfe eines Psychologen gewappnet hat. Ein Mysterium sind dabei die Schwimmer des WM-Gastgebers: So soll Chinas neuer Pool-Star Sun Yang, 19, Biedermanns Weltrekordzeit von 3:40,07 Minuten, aufgestellt in der Ära der High-Tech-Anzüge, im Training unterboten haben.

Sicher jedenfalls ist, dass zum Auftakt der Beckenwettbewerbe die aktuell umstrittenste Figur der Szene ins Wasser springen wird. Der Brasilianer César Cielo startet über 50 Meter Schmetterling, als Weltjahresbester auf dieser Strecke mit besten Titelchancen – aber zugleich mit dem Ruf, sich ins Teilnehmerfeld geschummelt zu haben. Akzeptierte der Internationale Sportgerichtshof Cas nach einem positiven Dopingbefund des Brasilianers doch dessen Begründung, das in seinem Körper nachgewiesene Diuretikum Furosemid versehentlich mit einer Koffein-Kapsel eingenommen zu haben – und beließ es bei einer Verwarnung für Cielo.

„Das macht alles kaputt und unglaubwürdig“, findet Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen, die heute mit der 4x100-Meter-Freistilstaffel in die WM startet. Harm Beyer, von 1984 bis 1996 Mitglied im Präsidium des Schwimm-Weltverbandes (Fina), wird sich das zu Hause in Hamburg-Eppendorf vor dem Fernseher anschauen. „Das mach’ ich schon noch“, sagt der 75-Jährige, den die Kollegen kurz vor der WM in Rom aus ihrem Anti-Doping-Panel bugsierten – und der, auch wenn er noch bis 2013 in der „Legal Commission“ der Fina sitzt, „das Ganze mit gesteigertem Desinteresse“ verfolgt.

Weil gerade nach dem Fall Cielo der Doping-Verdacht auch in Schanghai immer mitschwimmt. Dass die Fina, bei der WM 2007 und 2009 in Sachen Bluttests komplett untätig, in China nun wieder die Nadel auspackt, hält Doping-Jäger Werner Franke für Mumpitz. Denn von Trainingskontrollen auf das laut Franke bei Sportlern aktuell besonders beliebte Wachstumhormon IGF-I wartet er vergeblich. Und daher ahnt der desillusionierte Harm Beyer: „Ich glaube nicht, dass es während der WM Dopingfälle geben wird. Aber das heißt nicht, dass nicht gedopt wird.“ Vielmehr habe die Fina schlicht kein Interesse an negativen Schlagzeilen.

Interesse an sechs WM-Medaillen hat der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) seinen Beckenschwimmern gegenüber bekundet. Ein ambitioniertes Ziel – ausgegeben in der Hoffnung, auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2012 nicht ins Hintertreffen zu geraten. „Für mich ist Schanghai der Start in die Olympia-Saison“, betont Bundestrainer Dirk Lange. DSV-Chef Lutz Buschkow sagt: „Mit Blick auf London werden die anderen nicht nur eine Schippe Kohle drauflegen, sondern mit einem ganzen Kesselwagen feuern.“

Weil der DSV die harten WM-Normen aufweichte, bekommt Bundestrainer Lange mehr Auswahl für die Besetzung der sechs Staffeln, für die es in der nächsten Woche bereits um einen Startplatz bei Olympia geht. Und wann die Anwendung welcher Normen sinnvoll ist, ist offenbar Auslegungssache. Ähnliches gilt für den Anti-Doping-Kampf im Welt-Schwimmsport. Die Begründung für den milden Umgang mit Olympiasieger César Cielo will der Cas nachliefern – bis dahin allerdings ist das Wasser aus dem Pool in Schanghai längst abgelassen.

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