zum Hauptinhalt
Wimbledon - Thomas Haas

© dpa

Im Halbfinale von Wimbledon: Thomas Haas und das Hochgefühl

Oft ist er unglücklich gescheitert. Doch mit 31 Jahren ist Thomas Haas in Wimbledon nun so weit gekommen wie noch nie. Nur noch ein Spiel bis zum Finale. Will er dort hin, muss er nach Novak Djokovic nun auch noch Roger Federer schlagen.

Beim Stand von 5:5 im ersten Satz passierte es. Thomas Haas versuchte, einen Ball seines Gegners Novak Djokovic zu erlaufen, rutschte weg und blieb regungslos liegen. Bilder aus der Vergangenheit tauchten auf, wie Haas auf Bälle tritt oder ihm sonstige Missgeschicke passieren, die sein Tennisturnier in Wimbledon beenden. Wohl auch bei Haas selbst, „denn ich hatte ja schon eine ganze Menge Pech hier“. Doch nach fünf Sekunden Déjà-vu stand der Deutsche wieder auf seinen Beinen. Nichts und niemand konnte Haas an diesem Tag aufhalten, kein Ball, keine Unebenheit im Rasen und schon gar nicht Novak Djokovic. Gegen den Weltranglistenvierten spielte der 31-Jährige so souverän, als stünde er bei seiner elften Wimbledonteilnahme zum zehnten Mal im Viertelfinale und nicht zum ersten Mal, und gewann am Mittwoch 7:5, 7:6 (8:6), 4:6 und 6:3. „Es ist unglaublich, ich finde keine Worte“, sagte Haas. „Das ist einer der schönsten Momente meiner Karriere. Ein tolles Gefühl, hier in Wimbledon mal so weit zu kommen.“

Über London herrscht derzeit ein Hoch, und dafür ist Thomas Haas verantwortlich. Meteorologen mögen etwas anderes behaupten, doch der Deutsche versichert glaubhaft, er habe das „Hochgefühl“ aus Halle/Westfalen mit nach London genommen. Dort hatte er vor kurzem sein erstes Rasenturnier gewonnen und dabei im Finale eben jenen Djokovic geschlagen. Haas sagte: „Das gab mir die Selbstsicherheit, die ich gebraucht habe.“ Dass auch die Revanche in die gleiche Richtung laufen würde, deutete sich bereits früh an. Mit seinem selbstsicheren, druckvollen und fehlerarmen Spiel und seinem variablen Aufschlag trieb Haas den favorisierten Djokovic bald zu Unmutsgesten. Der Serbe schmiss den Schläger, entriss Balljungen unter „Uhhhh“-Rufen des Publikums missmutig das Handtuch, warf seine Mütze irgendwann weg und war auch ansonsten eher schlecht gelaunt. Sein Spiel gab ihm wenig Anlass zur Stimmungsaufhellung. „Ich war zu ungeduldig und nervös in den entscheidenden Momenten“, sagte Djokovic. „Wahrscheinlich ist das der Druck, den ich spüre.“

Seinem Gegenüber dagegen gelang an diesem Tag fast alles. Kurz nach seinem kleinen Unfall brachte Haas einen Aufschlag Djokovics mit einem Chaosschlag über Kopf zurück ins Feld, holte sich zwei Punkte später das Break und kurz darauf mit einem Schmetterball zum 7:5 den ersten Satz.

Wenn sich Haas einen Vorwurf gefallen lassen musste, dann den, dass er das offensichtliche Tief seines Gegners nicht konsequenter nutzte. Im zweiten Satz stand der Deutsche mehrfach dicht vor einem Break, verpasste es jedoch mit leichten Fehlern. Und als er Djokovic endlich den Aufschlag zum 6:5 abgenommen hatte, gab er seinen postwendend mit einem Doppelfehler wieder ab. Haas sagte: „Da war ich zu nachlässig, zu zögerlich.“

Doch davon war er nicht aus der Bahn zu werfen. Nicht einmal vom zwischenzeitlichen 3:6-Rückstand und drei Satzbällen gegen sich im folgenden Tiebreak. „Da habe ich mich angebrüllt: Wach auf – das ist deine Chance, 2:0 in Führung zu gehen!“, erklärte Haas. Mit fünf Punkten in Folge nutzte er sie doch noch, „und das war der Schlüssel zum Sieg heute“. Das sah auch Djokovic so: „Ich hätte den zweiten Satz gewinnen können. Aber ich habe so unglaubliche Fehler gemacht, dass ich schon auf dem Platz geschockt war.“

Selbst den vermeidbaren Verlust des dritten Satzes durch ein unkonzentriertes Aufschlagspiel steckte Haas locker weg. Immer weiter attackierte er den nervösen Gegner und brach mit dem genutzten Breakball zum 3:1 im vierten Durchgang endgültig dessen Widerstand. Irgendwann konnte Djokovic nicht anders, als nur noch anerkennend zu nicken. „Thommy war sehr konstant und hat verdient gewonnen“, sagte der 22-Jährige. „Und er kann auch das nächste Spiel noch gewinnen, wenn er wieder so gut aufschlägt und so konstant spielt.“

In diesem nächsten Spiel darf Thomas Haas im zarten Alter von 31 Jahren nun zum ersten Mal an einem Halbfinale im All England Lawn Tennis Club teilnehmen. Dort trifft er auf Roger Federer, den er bei den French Open am Rande einer Niederlage hatte. „Mal schaun, ob ich ihn diesmal ein bisschen ärgern kann“, sagte Haas. Vielleicht unterstützt ihn ja wieder sein persönliches Hoch. Den Vorhersagen zufolge soll es in den nächsten Tagen noch heißer werden in Wimbledon.

Christian Hönicke[London]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false