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Sport: Im nationalen Auftrag

Eishockey ist in Tschechien wichtiger als alles andere

Prag. Europa musste warten. Eishockey war wichtiger. Jedenfalls für viele Menschen in Prag. Am späten Freitagabend war es rund um den Wenzelsplatz und den Altstädter Markt noch voller als sonst. Doch Tschechisch wurde nicht gesprochen. Engländer, Deutsche und Franzosen schlängelten sich durch die engen Gassen der Prager Altstadt. Überall waren Bühnen errichtet, sollte mit musikalischem Tamtam der Beitritt des Landes in die Europäische Union (EU) gefeiert werden. Doch in den Kneipen scharrten sich die Menschenmassen um die Fernseher: Tschechien gegen Österreich, Eishockey- Weltmeisterschaft. Und die ist in Prag derzeit wichtiger als alles andere.

Als die Schlusssirene verklungen war, wurde es schlagartig voller auf den Straßen von Prag, nun feierten auch die Tschechen: den EU-Beitritt, den Tanz in den Mai und natürlich den 2:0-Sieg gegen Österreich. Doch trotz der Euphorie um den Einzug ins Viertelfinale und trotz des vierten Erfolges der Tschechen im vierten WM-Spiel: Auch gegen Österreich verbreitete der Titel-Favorit um Jaromir Jagr wenig Glanz. Die Tschechen sind das Team der Großverdiener – allein Jagr bekommt bei den New York Rangers elf Millionen Dollar pro Jahr –, haben sich bislang aber als Ansammlung eigensinniger Stars präsentiert. Ein Jagr ist sich eben zu schade dafür, vor dem eigenen Tor abzuräumen, legt lieber ein paar Extrakringel in des Gegners Zone aufs Eis. Ihre Arroganz könnte den Tschechen noch zum Verhängnis werden. In den Spielen gegen Kasachstan, Lettland, Deutschland und Österreich jedenfalls sind sie noch nicht richtig geprüft worden. Der erste große Test erfolgt erst am Montag beim Spiel gegen Weltmeister Kanada.

14 000 Euro hat der tschechische Verband für den Titelgewinn pro Spieler ausgelobt. Eine niedliche Summe für die Eishockey-Millionäre. Das weiß auch Martin Rucinsky, Topscorer der WM. Der Rechtsaußen, der auf 817 Einsätze in der NHL kam, sagt: „Wir wollen zu Hause den Titel holen, das ist unsere alleinige Motivation.“ Und Nationaltrainer Slavomir Lehner sagt: „Wir wissen, dass wir hier im eigenen Land unter Druck stehen, aber wir können damit umgehen, wir haben genug Erfahrung und Talent in der Mannschaft.“

Eishockey ist in Tschechien die Nummer eins im Sport. Das bekam selbst die Fußball- Nationalmannschaft zu spüren. Für ihr Testspiel gegen Japan am Mittwoch interessierten sich nur 10 000 Zuschauer. Dabei war die Begegnung schon auf den Nachmittag vorverlegt worden, weil am Abend bei der Eishockey-WM Tschechien gegen Deutschland spielte. Angeblich haben sich die Fußballer mit dem Duschen besonders beeilt, um abends das Eishockey-Spiel zu verfolgen. Denn wann bekommt man sonst einen Jagr zu sehen in Prag – und wenn es nur im Fernsehen ist? Selten. Sagen will Jagr sowieso kaum etwas. Interviews lehnt der 32-jährige Stürmer ab. Das stellte er auf seiner Massenpressekonferenz vor Beginn der Weltmeisterschaft klar. Die Tschechen verzeihen ihrem Sportidol, dessen Trikot in der Prager Innenstadt in jedem zweiten Geschäft hängt, so etwas. Jedenfalls jetzt.

Sollte die Nation den Weltmeistertitel allerdings nicht bekommen, dann könnte das auch anders aussehen.

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