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Sport: Im Stehen eingeschlafen

Von Frank Bachner Berlin. Manfred Thiesmann saß hinter diesen Mikrofonen, er sprach von Favoriten und Außenseitern und Verletzten, er sagte, was ein Bundestrainer vor Deutschen Schwimm-Meisterschaften immer sagt, aber irgendetwas irritierte ihn.

Von Frank Bachner

Berlin. Manfred Thiesmann saß hinter diesen Mikrofonen, er sprach von Favoriten und Außenseitern und Verletzten, er sagte, was ein Bundestrainer vor Deutschen Schwimm-Meisterschaften immer sagt, aber irgendetwas irritierte ihn. Torsten Spanneberg war noch nicht da, sein gesamter Klub, die SG Neukölln, war ein paar Stunden vor dem Wettkampf noch nicht in Warendorf eingetroffen. Das irritierte Thiesmann. Aber vielleicht passt dieser Zeitplan einfach ins Bild. Selbstbewusste reisen so spät an, Leute, die von sich überzeugt sind. „Und im Moment strotzt Torsten ja nur so vor Selbstbewusstsein“, sagt Thiesmann.

Spanneberg ist im Moment der schnellste deutsche Freistil-Schwimmer, aber das ist nicht das einzig Interessante an ihm. Gestern schwamm er zu Beginn der Deutschen Meisterschaften in Warendorf über 50 m Freistil, und sein Selbstbewusstsein ist ungebrochen, obwohl er nur Fünfter wurde. Seine Spezialität sind die 100 m Freistil. Spanneberg ist ein stiller, sensibler Typ. Er schaut nicht auf andere, er vergleicht sich mit sich selber. Das genügt für sein Selbstbewusstsein. Er weiß noch, wie weit unten er mal stand. Es ist ja noch nicht lange her. Spanneberg ist 26, aber „er ist erst jetzt richtig in dieser Gesellschaft angekommen“, sagt Thiesmann. Spanneberg sagt: „Mir macht es wieder Spaß, ich schwimme noch so lange, bis ich nicht mehr schneller sein kann.“ 2001 schraubte er den deutschen Rekord über 100 m Freistil auf 49,35 Sekunden. „Er ist noch lange nicht am Ende“, sagt Ralf Beckmann, der deutsche Teamchef.

Dabei war Spanneberg schon mal am Ende seiner Entwicklung. Damals, noch vor zwei, drei Jahren, „als er völlig überfordert war, als er im Stehen einschlief“ (Thiesmann). Da war Spanneberg schon Student. Betriebswirtschaft. Er nahm das Studium ernst, das schon, „aber er hat es sich wohl nicht so schwer vorgestellt“, sagt Thiesmann. Denn Spanneberg sah sich vor allem als Schwimmer. Er trainierte mehrere Stunden am Tag, er hatte diesen Traum. Weltmeister. Er träumte davon seit der Europameisterschaft 1995, als er Gold und Silber in der Staffel und Bronze über 50 m Freistil gewann. Spanneberg konnte beides nicht koordinieren, Sport und Studium. „Die Uni nimmt keine Rücksicht auf den Sport“, sagt Thiesmann, „das musste er erst lernen.“

Spannebergs Kopf rebellierte, nicht der Körper. Der Schwimmer fühlte sich verletzt, obwohl er organisch gesund war. Gerrit Simon, der Leiter des Sportmedizinischen Instituts in Warendorf, hatte das diagnostiziert. Simon redete mit ihm, stundenlang. Der Arzt wurde zum Therapeuten. Und Thiesmann sagte: „Streich eine Stunde deines Trainings.“ Spanneberg folgte ihm. Aber es war ein mühsamer Weg zurück. Bei den Olympischen Spielen 2000 schwamm der Berliner bis zum letzten Tag hinterher. Am letzten Tag aber wuchs er über sich hinaus. 48,6 Sekunden über 100 m Freistil mit der 4 x100 m-Lagenstaffel, im Einzelrennen wäre er damit weit vorne gelandet. Spanneberg kann die Steigerung nicht erklären.

Aber er ist jetzt angekommen in dieser Gesellschaft. Er hat seine Prüfungen bestanden, er bringt Sport und Studium unter einen Hut, er hat immer noch Träume. Eine Medaille bei der Europameisterschaft im Sommer in Berlin zum Beispiel. Thiesmann sagt: „Ich traue es ihm zu.“

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