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Sport: Im Zweifel gegen Hertha

Berlins Bundesligist verliert nach einem umstrittenen Tor 0:1 bei 1860 München – und beklagt sich über 17 Gegenspieler

Von Sven Goldmann

München. Herrgott, was war das für ein Tor! Mit voller Wucht den Ball getroffen, direkt aus der Luft, keine Chance für den Torwart. Markus Schroth ließ sich lange und ausgiebig feiern für diesen Treffer, der ihm da am Samstag für seinen TSV 1860 München gegen Hertha BSC gelungen war. Es war ein Torjubel mit schlechtem Gewissen. Schroth hatte den Ball nach einem Befreiungsschlag des Berliners Andreas Neuendorf mit der flachen Hand getroffen – so ähnlich, wie es die Volleyballer tun, nur dass es dort nicht besonders goutiert wird, wenn der Ball im Netz zappelt. So ziemlich jeder Zuschauer im Stadion hatte Schroths Hand am Ball gesehen, nur nicht die beiden, auf die es ankam. Schiedsrichter Peter Gagelmann entschied auf Tor, eifrig und gestenreich unterstützt von seinem Assistenten Matthias Anklam, obwohl der doch an der Seitenlinie beste Sicht auf den Tatort hatte.

Es war dies nicht das schlechteste Argument für die Einführung eines Videobeweises, vor dem der Fußball weltweit immer noch zurückschreckt. Hertha BSC kam die optische Fehlleistung der Herren Gagelmann und Anklam teuer zu stehen. Die durchweg überlegenen Berliner unterlagen dem TSV 1860 am siebten Bundesliga-Spieltag mit 0:1 – durch ein Tor, das keines war.

„Kein Vorwurf an die Mannschaft, gegen 17 Münchner konnte sie dieses Spiel einfach nicht gewinnen“, sagte Herthas Manager Dieter Hoeneß. Seine Rechnung: „Elf Münchner standen zum Spielbeginn auf dem Platz, drei sind eingewechselt, und dann haben ja noch drei mit gelben Leibchen mitgespielt.“ Gelb ist die Farbe der Schiedsrichter. Der Unparteiische wehrte sich gegen die Kritik. Nach dem Schlusspfiff sagte er in die Mikrofone der Reporter: „Ja, es war ein Handspiel. Aber es war keine Absicht, und deshalb ist das Tor regelgerecht.“

Es war nicht allein das Münchner Siegtor, dem die Berliner ihren Unmut widmeten. Sie fühlten sich zudem um einen Elfmeter geprellt, den Münchens Torhüter Simon Jentzsch an Andreas Neuendorf verursacht hatte. Und dann war da noch ein richtiges Tor, ein sehr schönes dazu, erzielt vom Berliner Brasilianer Luizao, dem der Schiedsrichter die Anerkennung verweigerte. Luizao war nach einer Stunde Spielzeit für Michael Preetz gekommen und glänzte gleich mit einer akrobatischen Einlage, wie sie von einem Brasilianer gemeinhin erwartet wird. Nach einer Kopfballvorlage des ebenfalls eingewechselten Polen Bartosz Karwan hob Luizao in Höhe des Elfmeterpunktes ab und drosch den Ball per Fallrückzieher an Torhüter Jentzsch vorbei. Doch noch bevor der Ball das Netz touchierte, wurden die Berliner von Gagelmanns Trillerpfeife aus allen sich anbahnenden Feierlichkeiten gerissen. Der Schiedsrichter wollte Vorlagengeber Karwan beim regelwidrigen Einsatz seines Ellenbogens ertappt haben. „So eine Szene gibt es in jedem Spiel zehn-, zwanzigmal“, zeterte Karwans Teamkollege Andreas Neuendorf. „Genau so ist es“, sagte Manager Hoeneß. „In diesem Spiel sind fast alle diese Szenen gegen uns ausgelegt worden.“ Kurz vor Schluss pfiff Gagelmann ein weiteres Berliner Tor ab. Diesmal zu Recht, Schütze Karwan hatte im Abseits gestanden.

Hertha BSC und das Münchner Olympiastadion, das ist nicht gerade eine Erfolgsgeschichte. Am drittletzten Spieltag der vergangenen Saison verloren die Berliner schon nach wenigen Minuten Abwehrchef Dick van Burik wegen eines obskuren Platzverweises, anschließend das Spiel 0:3 und damit die letzte Chance auf eine Teilnahme an der Champions League. So weit ist es in dieser Spielzeit noch nicht, „aber der Aufwärtstrend nach zuletzt zwei Siegen in der Bundesliga ist durch diese blöde und völlig unnötige Niederlage erst einmal gestoppt“, schimpfte Hoeneß. Unnötig war die Niederlage auch deshalb, weil Hertha das Geschehen über weite Strecken kontrolliert hatte. Und das, obwohl Spielmacher Marcelinho sichtlich unter der Sonderbewachung des Münchners Torben Hoffmann litt. Dafür ermöglichten Marcelinhos Nebenleute Thorben Marx, Pal Dardai und Andreas Neuendorf ein deutliches Berliner Übergewicht.

Huub Stevens mochte sich mit der Leistung seiner Mannschaft nicht lange aufhalten und kam sofort zur Sache: „Wenn jetzt Fragen kommen…“, sagte der Berliner Trainer, hielt einen Moment lang inne, holte Atem und setzte noch einmal an: „Wenn jetzt wirklich Fragen kommen sollten nach dem Schiedsrichter – also, ich glaube, das habt ihr alle selbst gesehen.“ Ein Münchner Journalist fand für diese Erklärung die recht eigenwillige Interpretation, Stevens habe den Schiedsrichter als „vogelwild“ bezeichnet, was immer das auch sein mag. „Was soll ich gesagt haben? Sie sollten sich besser die Ohren waschen“, blaffte der Berliner Trainer zurück. Sein Münchner Kollege Peter Pacult lehnte sich entspannt zurück und beantwortete die Frage nach den umstrittenen Szenen im diplomatischen Ton des Siegers, der weiß, dass er auch den schlechtesten Schiedsrichter wohl noch einmal sehen wird: „Kein Kommentar."

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