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Sport: In die Luft gegangen

Erst legt sich Tim Lobinger mit dem Publikum an, dann gewinnt er den Wettbewerb im Stabhochspringen

Berlin - Auf seinem Weg in die Höhe nimmt Tim Lobinger das Publikum erst einmal nicht mit. Der Wettbewerb im Olympiastadion beginnt für den Stabhochspringer schleppend, und als er die Latte bei 5,73 Metern zum zweiten Mal reißt, greift er seinen Stab und wirft ihn wütend auf den Boden. Die Zuschauer, bei der Leichtathletik für ihre besonnenen Reaktionen bekannt, pfeifen ihn aus, Lobinger klatscht zurück. Wird es wieder ein peinlicher Auftritt von Lobinger, dem Exzentriker des Stabhochsprungs?

Doch Lobinger lässt seinem Gefühlsausbruch eine ausgezeichnete Leistung folgen. Bis über 5,93 Meter schraubt er sich in die Luft und gewinnt zum ersten Mal das Istaf. Es ist der einzige deutsche Sieg bei diesem Istaf und die drittbeste Leistung des Jahres im Stabhochsprung. Dem Publikum ruft Lobinger versöhnlich zu: „Im Innern meines Herzens bin ich genauso lieb wie euer Bürgermeister.“ Die Zuschauer hätten ihn zu Recht ausgepfiffen, sagt der 33 Jahre alte Athlet vom ASV Köln später. „Ich war zwischendurch ein bisschen der Bösewicht, da kann schon mal ein Stab fliegen, das ist sicher nicht vorbildlich. Aber ich bin eben ein leidenschaftlicher Springer.“

Mit dieser Leidenschaft versucht er sich auch noch an zwei Rekorden, zweimal am deutschen Rekord von 6,01 Metern und dann noch einmal am Weltrekord von 6,16 Metern. „Ich wollte es einfach mal versuchen, weil ich mich nicht nur an dem messen will, was heute gesprungen wird.“ Er habe gerade jetzt das Gefühl, dass er noch nicht am Ende seiner Entwicklung angekommen sei.

Lobinger gehört zwar schon seit 1997 zum Kreis der Athleten, die sechs Meter übersprungen haben, aber auch in dieser Saison hat er das große Ziel verpasst, eine Medaille bei der Weltmeisterschaft zu gewinnen. In Helsinki bestritt er seine sechste WM. „Ich versuche wohl als der Springer in die Geschichte einzugehen, der bei den meisten Weltmeisterschaften keine Medaille gewonnen hat“, sagt Lobinger mit einer in jüngster Zeit häufiger auftretenden Selbstironie. Er will auf jeden Fall weiter in höchste Höhen und probiert dafür auch Neues aus. Für seine Rekordversuche hatte Lobinger extra einen Stab aus seiner Hülle gezogen, den er für besondere Sprünge bestimmt hat. „Damit bin ich noch nie gesprungen“, sagt Lobinger.

Gar kein Glück mit seinem Stab hatte Björn Otto. Seine Sprunghilfe brach und traf dabei zwei Kampfrichter. Doch erschrecken ließ sich Otto davon nicht und überquerte als erster die 5,73 Meter. Am Ende wurde er Dritter hinter Giuseppe Gibilisco aus Italien und Lobinger, dessen Vorstellung alleine schon höchsten Unterhaltungswert hatte: erst provozierend, dann ausgezeichnet und zu guter Letzt gewagt. Das passt zu Lobinger, der das Publikum mit seiner Art spaltet. „Ich polarisiere eben, aber ich tue es nicht mit Absicht.“ Seinen Namen werde er sich jedenfalls nie auf sein Auto schreiben. „Die Wahrscheinlichkeit wäre hoch, dass es jemand zerkratzt.“

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