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Sport: In Gedanken immer vor Gericht

Seitdem Kobe Bryant unter dem Vorwurf der Vergewaltigung steht, fürchtet Basketball-Klub LA Lakers um seine Titelchance in der NBA

Los Angeles. Im Fanshop der Los Angeles Lakers steht eine lebensgroße Puppe von Shaquille O’Neal. Es ist ein so genanntes „Bobblehead“-Exemplar. Eine Puppe, die den Kopf bewegen kann. Mal nach oben, mal nach unten. So, als würde sie die aktuelle Leistungskurve des besten Basketballvereins der Welt verfolgen wollen. Fünf Niederlagen in den vergangenen sieben Spielen – und schon herrscht größte Aufregung bei dem Spitzenklub aus der nordamerikanischen Profiliga NBA. „Wir sind momentan kein sehr gutes Team“, sagte Coach Phil Jackson. Das war nach der peinlichen Heimpleite der Lakers vom Weihnachtstag gegen die Houston Rockets um ihren chinesischen Center Yao Ming. 87:99 hatte Jacksons Starensemble aus Los Angeles verloren.

Buhrufe hatte es im Staples Center, der riesigen, vom Lakers-Teilhaber Philip Anschutz errichteten Halle in Los Angeles gegeben. Frust statt Lakers-Lust. Auch das klare 105:82 zum Jahresabschluss gegen die Boston Celtics, bei dem Shaquille O’Neal die 21 000-Punkt-Marke in seiner NBA-Karriere überschritt, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der große Titelfavorit noch weit von der Form vergangener Jahre entfernt ist. Im neuen Jahr nämlich ging es für die Lakers mit einer Niederlage weiter. Die Kalifornier verloren bei den Seattle Supersonics 109:111, nachdem Kobe Bryant in der Schlusssekunde lediglich den Korbrand getroffen hatte.

Der Fehlwurf von Kobe Bryant war symptomatisch für das, was momentan bei den Lakers passiert. Ausgerechnet Bryant: Hollywood fürchtet um ein Happyend, die Liga sieht den großen Marketing-Coup in Gefahr. Ein Schuldiger dafür ist schon ausgemacht – eben Kobe Bryant. Der einstige Saubermann der Liga, dem wegen Vergewaltigung in diesem Jahr in Eagle im US-Bundesstaat Colorado der Prozess gemacht wird, trägt plötzlich Tattoos und eine zentnerschwere Last mit sich herum. Das Disney-Network ABC sendete jetzt ein Interview mit dem Superstar, in dem er Einblicke in sein Seelenleben gab. Bei Auswärtsspielen würde er immer „mit dem Schlimmsten rechnen“ und versuchen, die Zwischenrufe der gegnerischen Fans zu ignorieren. Und noch erstaunlicher war, dass Kobe Bryant zugab, manchmal während eines Spiels „mit den Gedanken woanders zu sein“. Alles sei für ihn ein gelebter Albtraum, sagte der Basketball-Superstar aus Los Angeles.

Kann der 25-Jährige dem immensen Druck auch in den kommenden Monaten standhalten?

Das Leben des Bryant ist ohne Frage surreal. Vergangene Woche stand er erneut bei einer Anhörung vor Gericht, jettete danach heim nach Los Angeles und erzielte beim Heimspiel der Lakers gegen die Denver Nuggets am späten Abend den entscheidenden Korb zum knappen Sieg. Als er bei der Wahl für das All-Star-Team der Western Conference die meisten Stimmen erhalten hatte, verschlug es ihm fast die Sprache. „Ich weiß auch nicht, wie ich das erklären soll“, sagte Bryant.

Seine Frau Vanessa hatte den Mann mit der Trikotnummer acht dazu überredet, in dieser Saison aufzulaufen. Der Basketball-Court als Zufluchtsort, um den emotionalen Stress zu bewältigen? Es scheint nicht so recht zu funktionieren für Bryant.

Im Schnitt erzielte Bryant in dieser Saison bislang 21,3 Punkte und holte 4,4 Rebounds. Keine schlechte Bilanz für einen Mann, der von der Öffentlichkeit auf Schritt und Tritt beobachtet wird. Aber auch eben nicht die Ausbeute, die man von einem Basketballgenie wie Kobe Bryant gewohnt ist. Dem Flügelspieler fehlen nach einer Knieoperation Dynamik und Explosivität sowie die früheren Muskelberge. Kobe Bryant fliegt in dieser Saison nicht unter den Körben herum. Und wenn Bilder von ihm um die Welt gehen, dann sind es solche, die zeigen, wie der Lakers-Spieler aus seinem noblen Geländewagen steigt und dann ins Gerichtsgebäude geht.

Das Geschehen abseits des Courts ist mindestens so interessant wie das auf dem Court. Und darin liegt das große Problem der Lakers, die eigentlich als NBA-Dreamteam in die Geschichte eingehen wollten. Die Veteranen Karl Malone und Gary Payton verzichteten auf viel Geld, um ihre Meisterschaftsträume endlich zu erfüllen. Malones und Paytons Vertragsunterzeichnung im Sommer war ein Riesen-Coup. Doch dann begann die Geschichte um Kobe Bryant. Was zwischen ihm und einer Hotelangestellten in einer Suite geschah, bestimmte fortan die Schlagzeilen.

Da konnten sich die Marketingexperten auch noch so bemühen, das Starensemble ins rechte Licht zu rücken. „Die Revolution hat begonnen“, „Die vier stärksten Kräfte im Basketball sind vereint“ oder „Das Leben in der NBA wird nie mehr gleich sein“ – so lauteten einige der Slogans, mit denen das Team als unverwundbar verkauft wurde. Doch dann zerstritten sich die Basketballgrößen zu Beginn der Saison untereinander. Shaquille O’Neal, unbestritten der Boss der Mannschaft, forderte Bryant auf, weniger auf den Korb zu werfen und zu warten, bis er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte sei. Zudem legte der Center Bryant nahe, endlich mannschaftsdienlicher zu spielen oder den Verein nach dieser Saison zu verlassen. Kobe Bryant konterte, indem er O’Neals Fitness und dessen Übergewicht thematisierte. Zudem stellte er die Freundschaft der beiden Spieler in Frage.

Mittlerweile herrscht Burgfrieden, doch Bryant scheint im Team der Lakers weitgehend isoliert. Es hilft dem Klub aus Kalifornien allerdings momentan nicht weiter. „The Big Four“, wie die Los Angeles Times das Quartett in der Spielstatistik nennt, ist in Wirklichkeit zu einem Trio geschrumpft – O’Neal, Malone und Payton sind die besten Spieler der Lakers. Und trotzdem brauchen sie wohl Kobe Bryant auf dem Weg zur NBA-Meisterschaft. Das reinste Vabanque-Spiel. Zwar haben die Lakers (21 Siege, sieben Niederlagen) momentan die beste Bilanz aller Teams, doch nicht nur Bryant weiß, „dass sich das Team in vielen Bereichen verbessern muss“. Bald stehen den Lakers wieder die verletzten Malone und Rick Fox zur Verfügung, weshalb es Hoffnung auf bessere Zeiten gibt. Die Lakers mussten allerdings schon in Seattle über weite Strecken auf Center Shaquille O’Neal verzichten, der eine Wadenverletzung erlitt. O’Neal wird möglicherweise die kommenden Spiele pausieren müssen.

Übrigens kaufte tatsächlich ein wohlhabender Fan die lebensgroße Bobblehead-Puppe von Shaquille O’Neal aus dem Devotionalienshop der Lakers. Und zwar für stattliche 25 000 Dollar. Drei weitere Puppen von O’Neal dürften allerdings zu Ladenhütern werden, sollten die Lakers nicht ihre beständige Unbeständigkeit bald ablegen und sollte sich Shaquille O’Neal nicht schnell von seiner Verletzung erholen.

Stefan Liwocha

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