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Sport: In leichter Schieflage

Nach dem Debakel gegen die Niederlande fordert Italien die Ablösung von Roberto Donadoni – doch der Trainer gibt sich trotz aller Schelte und seiner unsicheren Zukunft weiter optimistisch

Roberto Donadoni ähnelte auch am Tag nach der vernichtenden Niederlage einem kühnen Condottiero. Während sich ganz Italien nach dem 0:3 gegen die Niederlande in einem Schockzustand befand, behielt der Nationaltrainer der Azzurri die Haltung. Donadoni ähnelt mit seinem von Falten zerfurchtem Gesicht dabei nicht nur optisch einem der furchtlosen Söldner aus der Renaissance, sondern zeigte auch eine vergleichbare Abgeklärtheit und Souveränität, brenzlige Situationen anzugehen und zu überstehen. Nach dem unerwarteten Debakel tut er demonstrativ so, als habe er eine wichtige Schlacht verloren, aber nicht den Krieg. „Wir müssen optimistisch bleiben“, sagte Donadoni selbstbewusst, „ansonsten ist es besser, ins Flugzeug zu steigen und in Urlaub zu fliegen.“ Doch statt wie der Rest der Nation mental schon die Badelatschen einzupacken, nahm er seine Spieler 50 Minuten lang ins Gebet.

Die Medien daheim reagierten freilich weit weniger heldenhaft. Sie feuerten aus allen Rohren auf Donadoni. Dem 44-Jährigen wurde vorgehalten, statt Chiellini in der Defensive und De Rossi im Mittelfeld auf die ausgelaugten Materazzi und Ambrosini zu setzen. „Corriere dello Sport“ benannte ihn in „Disastro Donadoni“ um, Italien habe „eines Weltmeisters unwürdig“ gespielt, klagte die „Gazzetta dello Sport“ – Donadoni sei „konfus“ und habe „viel zu spät reagiert“. Donadoni ließ sich davon nicht beirren: „Meine Mannschaftsaufstellung war richtig.“

Gegen diese Theorie spricht freilich das Ergebnis. In einem einzigen Spiel hat der gelehrige Schüler des früheren Nationaltrainers Arrigo Sacchi so viele Gegentore verantwortet wie die WM-Elf 2006 unter Marcello Lippi während des gesamten Turniers. Und dieser Lippi ist es auch, der Donadoni das Leben noch schwerer macht, als es nach der höchsten italienischen Niederlage der EM-Geschichte ohnehin schon ist.

Donadoni weiß, dass sein Vorgänger am liebsten wieder zurück auf den Stuhl des Nationaltrainers möchte. Der Toskaner langweilt sich in seiner Heimatstadt Viareggio zu Tode. Lippi war nach dem WM-Sieg zurückgetreten, weil sein Sohn Davide im italienischen Fußballmanipulationsskandal verwickelt war – inzwischen ist das, wie in Italien üblich, weitgehend in Vergessenheit geraten.

So liebäugelt Fußballverbandspräsident Giancarlo Abete offen mit einer Rückkehr des Weltmeistertrainers. Das wurde auch bei Donadonis Vertragsverhandlungen klar. Erst Tage vor dem EM-Beginn verlängerte Donadoni nach zähen Verhandlungen seinen Vertrag mit dem Verband um zwei weitere Jahre bis zur WM in Südafrika. Abete bestand aber auf einer Auflösungsklausel, wenn Italien sich nicht für das EM-Halbfinale qualifizieren sollte. In diesem Falle hätte er zehn Tage Zeit zur Kündigung, Donadoni würde immerhin eine Abfindung von 550 000 Euro kassieren. Ein solches Szenario ist nach der Blamage, die eine Rekordzuschauerkulisse von 18 Millionen am Bildschirm mitverfolgten, wahrscheinlicher geworden.

Aber vielleicht kommt auch alles ganz anders. Arrigo Sacchi, Donadonis Lehrmeister, meldete sich zu Wort und monierte, dass Donadonis Mannschaft unter ungünstigen mentalen Voraussetzungen in die Partie gegangen sei. „Optimismus und Heiterkeit waren für uns nie gute Verbündete“, erklärte Sacchi im Fernsehen. Wenn man die Mannschaft kübelweise mit Kritik überschüttet habe oder Riesenskandale ans Tageslicht gekommen seien, so Sacchi, habe die Squadra Azzurra ihre besten Leistungen gezeigt. Nun denn: Jetzt, wo Spott und Häme nach der „tragischen Nacht von Bern“ kaum noch zu übertreffen sind, dürfte die Mannschaft von Roberto Donadoni in den nächsten Spielen kaum aufzuhalten sein.

Vincenzo Delle Donne[Mailand]

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