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Sport: Ins Leere kombiniert

Noch hat niemand ein Rezept gegen Spaniens Taktik gefunden – doch die Kroaten haben den anderen Teams mit ihrer Disziplin erste Hinweise geliefert.

Iker Casillas nahm den ganzen Schwung mit, drehte nach links ab – und erledigte seine Pflicht wie ein diensteifriger Beamter. Gleich nach dem Abpfiff begab sich der Torhüter der spanischen Nationalmannschaft in die rote Kurve des Danziger Stadions. Er hob seine Hände über den Kopf, applaudierte den Fans, zog sich anschließend seine Handschuhe aus und warf sie in den Rang. Die Stücke besitzen vermutlich schon jetzt einen höheren Sammler- als Materialwert. Es sind die Handschuhe, mit denen Iker Casillas bei der Europameisterschaft aller Wahrscheinlichkeit nach das Ausscheiden des Titelverteidigers verhindert hat.

Eine knappe Stunde war im letzten Vorrundenspiel der Spanier gespielt, als die Außenseiter aus Kroatien dem Turnierfavoriten zeigten, wie man einen Angriff entschlossen zu Ende spielt. Luka Modric flankte den Ball mit dem Außenrist seines rechten Fußes ans hintere Ende des spanischen Strafraums. Ivan Rakitic stand dort völlig frei, er hatte das gegnerische Tor in seiner ganzen verlockenden Schönheit vor sich, traf den Ball perfekt mit dem Kopf – und brachte ihn doch nicht an Casillas vorbei. „Rakitic hat alles richtig gemacht“, sagte Kroatiens Trainer Slaven Bilic, „aber das reicht nicht, wenn du dich mit Iker Casillas misst.“

Die Uefa und einer ihrer Sponsoren zeichnen nach jedem EM-Spiel den „Man of the Match“ aus. Die Wahl langweilt durch eine erschreckende Vorhersehbarkeit, bei Spielen der Spanier gewinnt eigentlich immer Andres Iniesta. So war es auch am Montag nach dem 1:0 gegen Kroatien, bei dem Iniesta zwei Minuten vor Schluss das Tor von Jesus Navas vorbereitet hatte. Der entscheidende Mann aber war Torhüter Casillas gewesen. Mit seiner Rettungstat gegen Rakitic verhinderte er, dass die Spanier an diesem Abend in ernste Schwierigkeiten gerieten. Das Aus des Welt- und Europameisters schon nach der Vorrunde war angesichts ihres Auftritts mehr als eine theoretische Möglichkeit. „Wir haben gelitten“, sagte Trainer Vicente del Bosque.

Der inoffizielle Untertitel der EM 2012 lautet: „Wie stoppt man die unstoppbaren Spanier?“ Die Vorrunde hat noch keine Lösung erbracht, aber sie hat zumindest ein paar Hinweise geliefert. Nach den Italienern zum Auftakt fanden auch die Kroaten einen Weg, das spanische Kombinationsspiel buchstäblich ins Leere laufen zu lassen. „Sie waren sehr gut auf uns eingestellt“, sagte Casillas. Obwohl die Kroaten nach Stand der Dinge ein Tor zum Weiterkommen benötigten, wahrten sie jederzeit die defensive Disziplin. Zwischen Abwehr und Mittelfeld fanden die Spanier kaum Platz, um ihre Angriffe vorzubereiten. Sie kamen zwar auf die üblichen 64 Prozent Ballbesitz, aber der Ertrag lag nur knapp über null. In der ersten Hälfte hatte der Titelverteidiger durch Fernando Torres eine einzige gute Chance, in der zweiten besaßen die Kroaten sogar die besseren Möglichkeiten.

Es ist immer noch beeindruckend zu sehen, mit welcher Verve die Spanier den Ball jagen, wenn sie ihn nicht haben; wie sie auf diese Weise den Gegner von ihrer letzten Verteidigungslinie fernhalten – und damit die Schwächen der Abwehr kaschieren. Dass es diese Schwächen gibt, war in der Schlussphase zu sehen, als den Spaniern die Verve im sogenannten Spiel gegen den Ball abging. Die Lücken zwischen den Linien wurden so groß wie Lkw-Parkplätze. Eine Frage der Kraft? „Das habe ich nicht gesehen“, sagte Bundestrainer Joachim Löw, der das Spiel im Stadion verfolgt hatte. „Das kann ich mir auch nicht vorstellen.“

Vicente del Bosque vermisste im Auftritt seiner Mannschaft „die Überzeugung und Entschlossenheit, die wir normalerweise haben. Das hat uns Tempo und Intensität geraubt.“ Hinzu kam erneut eine große Sorglosigkeit im gegnerischen Strafraum. Der eingewechselte Cesc Fabregas hatte einmal freie Schussbahn – trat aber noch einmal auf den Ball, anstatt den Abschluss zu suchen. Kurz danach eröffnete sich den Spaniern eine exquisite Kontermöglichkeit mit einer Fünfgegen-drei-Überzahl. Trotzdem wurde Sergio Busquets im letzten Moment noch gestoppt.

Man sollte aus den bisherigen Schwierigkeiten der Spanier noch keine generellen Schlüsse für den weiteren Turnierverlauf ziehen. Auch bei der WM 2010 hatten sie zwischenzeitlich Probleme. „In einem Turnier ist es schwierig, in jedem Spiel gut zu sein“, sagte del Bosque. Trotzdem erlaubte sich sein Kollege Slaven Bilic in dieser Frage eine sehr pointierte Meinung. Er sehe Spanien nicht als den großen Favoriten: „Ich sehe andere Mannschaften, die mehr Tempo haben, die hungriger und aggressiver auf dem Platz sind.“

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