zum Hauptinhalt
André Schürrle, 20, schoss in der abgelaufenen Saison 15 Bundesliga-Tore für den FSV Mainz 05. Von der kommenden Saison an spielt er bei Bayer Leverkusen.

© AFP

Interview: André Schürrle: "Disko konnte ich mir nicht oft erlauben"

Fußball-Nationalspieler André Schürrle vom FSV Mainz erzählt im Interview mit dem Tagesspiegel, warum er es im Gegensatz zu anderen bei den Profis geschafft hat.

Herr Schürrle, wie fühlt man sich als Nationalspieler?

Ob Sie es glauben oder nicht, ich muss mir auch immer mal wieder klarmachen, was das bedeutet. Das Spiel gegen Uruguay war ja erst mein drittes Spiel für Deutschland. Es dauert, ehe man wirklich sagen kann, dass man zum Team gehört. Ich bekomme jetzt langsam das Gefühl, Nationalspieler zu sein, und es ist ein tolles Gefühl. Aber es ist halt alles noch etwas neu für mich.

Ein Gefühl wie nach einem erfolgreichen Torschuss?

Besser, viel besser. Obwohl: Ich schieße ja gerne Tore. Und na klar war das Tor gegen Uruguay ein ganz besonderes. Ein unvergesslicher Moment.

In Ihrer noch frischen Karriere muss es ja nur so wimmeln von solchen Momenten.

Na ja, meine Entwicklung in den zwei zurückliegenden Jahren verlief sehr schnell. Da waren für mich schon kleine Meilensteine dabei. Vor allem die deutsche A-Jugendmeisterschaft mit dem FSV Mainz. Dann ging es direkt hoch zu den Profis, die ersten Einsätze, die ersten Tore. Dann die erste Nominierung für die Nationalmannschaft. Ich war natürlich aufgeregt. Ich habe mich gefragt: Was erwartet dich dort? Was für ein Gefühl wird es sein, als Nationalspieler aufzulaufen?

Sie gelten inzwischen als Paradebeispiel für eine Entwicklung, die es vor wenigen Jahren so nicht gegeben hat. Aus dem Nachwuchs drängen immer mehr Talente nach. Woran liegt das?

Vor allem ist wohl die Ausbildung in den Leistungszentren sehr viel besser, professioneller geworden. Überall arbeiten sehr viele gute Leute. Und die deutschen Klubs investieren ja seit ein paar Jahren sehr viel Geld in den Nachwuchs. Das zahlt sich aus.

Sagen Sie uns doch mal, was man mitbringen muss, um Nationalspieler zu werden.

Schwierige Frage. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.

Vielleicht beim Bundestrainer?

Gute Idee. Joachim Löw stellt natürlich gewisse Ansprüche. Die Nationalmannschaft hat eine Spielphilosophie, die sich weiterentwickelt. Ganz oben stehen die fußballerischen Qualitäten, das betont der Bundestrainer ja immer wieder. Die deutsche Mannschaft bewegt sich in der Weltspitze. Wer da rein will, muss also entsprechende Fähigkeiten und Fertigkeiten haben. Ich meine das schnelle Umschalten, das Offensivspiel insgesamt.

Haben Sie Ihren Spielstil dem der Nationalmannschaft angepasst?

Nein. Es war immer schon meine Art, so Fußball zu spielen. Also im Spiel mit Tempo ein gewisses Risiko einzugehen. Ich glaube, das passt ganz gut hier her.

Tempo spielt in Ihrer Karriere eine zentrale Rolle. Sie sollen pro Spiel 600 Meter in einem Tempo von 24 km/h und etwa 13 Kilometer insgesamt zurücklegen – das sind Topwerte. Was war denn zuerst da: Ihre Lust am Rennen oder das gute Kicken?

Ganz klar, die Lust am Rennen, die Schnelligkeit. Es war schon immer so, dass ich einer der Schnellsten war. Dass mein Laufaufwand insgesamt gestiegen ist, das hängt wiederum mit Thomas Tuchel zusammen.

Ihrem Trainer beim FSV Mainz.

Ja, er sagte mir, dass es mein Spiel sei, so viel zu laufen, um so in Toraktionen zu kommen. Das passt zu mir, ich bin ein Typ, der sich gerne voll verausgabt. Aber speziell trainiert habe ich meine Schnelligkeit nie. Man sieht es ja als Junge schon in den Duellen, dass man ganz gut unterwegs ist.

Aus Ihnen hätte auch ein guter Sprinter werden können.

Oh nein, das kam für mich nie in Frage. Meine Schwester war Leichtathletin, daher hatte ich den Vergleich. Als kleiner Junge hatte ich immer nur den Fußball vor Augen. Ich wollte so werden wie die großen Stars. Jeder, der in der Nationalmannschaft ist, hatte den Traum vom Profifußball. Den Traum, in Stadien vor so vielen Menschen zu spielen und die Fans mit seinen Toren zu begeistern.

Den Traum vom Profifußball träumen Millionen von Kindern. Woran, glauben Sie, scheitern die meisten?

Der Knackpunkt ist wohl der Sprung aus dem Nachwuchsbereich in den Profibereich. Da gehört auch eine mentale Stärke dazu, sich nicht ablenken zu lassen, seinen Weg konsequent weiterzugehen. Kicken können sehr viele sehr gut, aber es braucht mehr. Ein klares Ziel vor Augen und einen starken Willen.

Was hätte Sie denn ablenken können?

Feiern gehen zum Beispiel. Wenn man 16 ist, geht man in die Disko, trinkt mal was, tanzt die ganze Nacht. Schon in der A- und B-Jugend kommen diese Themen auf. Aber genau da konnte ich mir solche Sachen halt nicht allzu oft erlauben, weil man sonst bei den Spielen am Wochenende nicht topfit ist. Außerdem, viele Spieler werden ja in Internaten groß. Das muss man vieles aufgeben, Freundschaften, Gewohnheiten und so weiter. Aber Profifußball übt eine enorme Faszination aus. Da nimmt man solche Opfer gern in Kauf, oder man empfindet sie dann vielleicht auch nicht so sehr als Opfer.

Haben Sie noch Kontakt zu Spielern, die vielleicht nicht so opferbereit waren und es nicht geschafft haben?

Den großen Kontakt gibt es nicht mehr. Aber in Mainz bei den Amateuren sind noch einige dabei, mit denen ich in der A-Jugend gespielt habe, die den Durchbruch nicht geschafft haben. Aber sie haben den Traum noch nicht aufgegeben.

Sie haben es geschafft und werden im Sommer nach Leverkusen wechseln – von zehn Millionen Euro Ablöse ist die Rede. So viel wurde noch nie für einen 19-Jährigen in der Bundesliga ausgegeben.

Natürlich weiß ich, dass es viel Geld ist. Aber ich mache mir über irgendwelche Zahlen, Millionen gar keine Gedanken. Ich freue mich einfach auf die neue Mannschaft und die neuen Ziele.

Nicht jeder nimmt das so gleichmütig hin.

Das steckt wohl in mir drin. Es entspricht nicht meinem Naturell zu sagen, so jetzt lehne ich mich mal ein Jahr zurück, weil ich einen dicken Vertrag habe. Und ich bin auch nicht der Typ, der abhebt. Da passt schon meine Familie auf. Wenn es geht, fahre ich jedes Wochenende zu ihr. Wenn ihr irgendwas aufgefallen ist, dann sagt sie es mir. Sie fragt mich, wie ich mich dabei fühle, wenn so viel Trubel um mich ist. Meine Eltern sind sehr bodenständig. Meine Mutter wollte auch unbedingt, dass ich das Abitur mache.

Einige junge Spieler brechen die Schule ab, sobald sie einen Profivertrag unterschrieben haben.

Es ist auch nicht so einfach, alles unter einen Hut zu bringen. Da will man am liebsten die Schule Schule sein lassen und nur noch spielen. Schon als Nachwuchsspieler war ich viel unterwegs. Das Abitur habe ich auch nicht mehr gemacht, allerdings mit Ende der zwölften Klasse das Fach-Abitur. Meine Mutter hatte ein Einsehen – sie sah ja, welche Belastung es zuletzt für mich darstellte.

Und heute Abend könnten Sie in Wien spielen. Das letzte Spiel gegen Österreich liegt drei Jahre zurück. Erinnern Sie sich noch?

Na klar, da war Ballacks Megahammer.

Der wird jetzt nicht helfen können.

Dann werden eben wir andere treffen.

– Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false