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Lurz

© dpa

Interview: "Das sind doch alles Ausreden"

Stefan Lurz, Trainer und Ehemann von Annika Lurz, spricht im Interview über sensible Athleten, den neuen Anzug und ein Schockerlebnis des Cheftrainers.

Herr Lurz, bei den deutschen Schwimm-Meisterschaften in Berlin geht es um die Olympiaqualifikation. Doch ausgerechnet jetzt schwimmt die internationale Elite viele Weltrekorde. Könnten die deutschen Schwimmer nun verkrampfen?

Das kann ich mir schon vorstellen. Für einige war es bestimmt ein Schock. Die Rekorde wurden ja teilweise um Sekunden verbessert. Wenn man die eigene Bestzeit nimmt und den Rückstand in Meter umrechnet, ist das schon ein Hammer.

Wie erklären Sie sich die Rekordflut?

In einem Olympiajahr steigern sich immer die Leistungen. Hinzu kommt der neue Speedo-Anzug. 35 von 39 Weltrekorden in dieser Saison wurden im neuen Anzug geschwommen. Das ist vor allem eine Frage der Psyche. Ein Sportler fühlt sich darin fast unverwundbar. Bei mir im Verein ist es so: Sobald die Sportler wissen, dass sie den neuen Anzug erhalten, schwimmen sie schon schneller. Verrückt, sie haben ihn ja noch gar nicht an.

Ihre Frau Annika, die Weltklasseschwimmerin über 200 Meter Freistil, darf den Speedo-Anzug nicht tragen, weil sie bei Arena unter Vertrag steht. Ein Nachteil?

In Berlin nicht, weil ihre Bestzeit wesentlich besser ist als die ihrer nationalen Konkurrentinnen. International sieht es anders aus. Im olympischen Finale geht es um Hundertstelsekunden, da kann es nicht sein, dass ihre Gegnerinnen einen Anzug tragen, der schneller ist als der von ihr. Der Verband muss dafür sorgen, dass da kein Nachteil entsteht.

Die Weltrekordflut trifft viele deutsche Topschwimmer ja offenbar an ihrem neuralgischsten Punkt: der Psyche. Cheftrainer Örjan Madsen wirft einigen vor, sie hätten Angst vor harter Konkurrenz.

Viele sind zu wenig selbstbewusst. Die Deutschen lassen sich relativ schnell aus der Bahn werfen, wenn es mal nicht optimal gelaufen ist oder wenn äußere Einflüsse zu stark sind. Die WM 2007 in Melbourne war so ein Beispiel. Da fand alles vor 10 000 Zuschauern statt. Das ist schon beeindruckend, wenn man normalerweise in kleinen Hallen schwimmt.

Wie sensibel ist denn Ihre Frau?

Och, sie ist gar nicht so sensibel. Aber sie nimmt schnell die Stimmung der anderen auf. In Melbourne waren alle mies drauf, das hat sie mit runtergezogen. Da muss man sagen: He Annika, bist du irre? Dann erst macht sie sich wieder klar: Okay, ist ja alles nicht so schlimm. Das Hotelbett ist vielleicht ein bisschen zu weich. Na und?

Bei der WM in Barcelona waren die Startblöcke zu steil, bei der EM in Sevilla war das Wasser zu warm.

Das sind doch alles Ausreden. Von ausländischen Schwimmern hört man so etwas erst gar nicht. Die deutschen Beckenschwimmer fragen ja immer ihre Freiwasserkollegen: Wwarum seid ihr denn so gut? Die sind wirklich Weltklasse. Ich trainiere ja selber einen.

Ihren Bruder Thomas, er ist Weltmeister 2007 über fünf Kilometer.

Genau, aber er macht sich genauso wenig eine Platte über solchen Kram wie die anderen. Sie sind wesentlich härter. Sie schwimmen in Flüssen, das sind, auf deutsch gesagt, Dreckslöcher. Sie haben keine tollen Hotels wie die anderen Schwimmer, sie müssen kämpfen, damit sie irgendwo Wasserfläche bekommen, um trainieren zu können. Sie bekommen teilweise auch miserables Essen.

Dann war es beim Freiwasser-Weltcup in Dubai vor vier Wochen ja offenbar unterhaltsam.

Sehr unterhaltsam. Wir sind zwei Stunden durch die Wüste gefahren worden, weil keiner wusste, wo die Wettkampfstrecke ist. Dann ging auch noch der Bus kaputt. Trotzdem haben die Sportler fünf Stunden später ihre Leistung gebracht. Wenn ich das mit einem Beckenschwimmer machen würde, dann gute Nacht.

Chef-Bundestrainer Örjan Madsen war in Dubai dabei.
Wie hat er denn reagiert?

Der hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Wir sind erst mal mit zwei Stunden Verspätung angekommen, mitten in der Nacht. Wir werden nicht abgeholt, dann gibt es keine Zimmer. Also müssen wir noch sechs Stunden in der Hotellobby sitzen. Dann gibt es keine Einzelzimmer, wir werden mit anderen Nationen in Fünfer- und Sechserzimmer gesteckt. Dann ist der Wettkampf 150 Kilometer von Dubai entfernt. Und im Bus sind wir eingequetscht zwischen Massagebänken und Verpflegungsbeuteln. Der Madsen ist fast durchgedreht. Da sagt mein Bruder zu ihm: He, da haben wir schon schlimmere Sachen erlebt.

Sie haben gesagt, 75 Prozent der deutschen Schwimmer trainieren nicht hart genug.

Ich beschäftige mich viel mit dem Training anderer Nationen. Andere Sportler schwimmen einfach mehr Kilometer, sie arbeiten härter. Sie gehen öfter an Leistungsgrenzen. Wir Deutschen haben alles schön ausgetüftelt. Ist ja alles gut, aber man soll es nicht übertreiben. Lieber mal Vollgas geben, auch wenn gerade kein Vollgas geplant ist. Wir haben den Drang, uns nicht überzubelasten. Ich bin eher für die Vollgasvariante.

Das Gespräch führte Frank Bachner.

Stefan Lurz, 31, ist Trainer und Ehemann von Annika Lurz, der Vizeweltmeisterin von 2007 über 200 Meter Freistil. Stefan Lurz belegte bei der EM 1995 Platz sechs über fünf Kilometer

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