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© AFP

Interview: "Die Chinesen leiden nicht so, wie wir uns das vorstellen"

Britta Heidemann kennt sich aus in Peking, schon als Schülerin war sie lange in China. Tagesspiegel-Redakteur Frank Bachner hat die Degenfechterin zu einem Gespräch über die chinesische Politik, Menschenrechte und ihre Medaillen-Hoffnungen getroffen.

Frau Heidemann, Sie waren schon häufig in China. Nach einem Schüleraustausch haben sie Peking später nochmals für ein Berufspraktikum besucht. Jedes Mal, wenn sie ankommen, läuft ein Ritual ab.

Ja, ich gehe immer sofort in eines meiner Lieblingsrestaurants. Das liegt im Osten von Peking, so ein ganz kleines gemütliches Restaurantchen, und es liegt gleich neben der Wohnung, in der mal mein Bruder lebte. Ich freue mich jedes Mal aufs Mittagessen, wenn ich Peking bin. Das ist für mich ein Pflichtbesuch am ersten Tag. Sonst bin ich nicht glücklich.

Wenn sie durch den Flughafen Peking laufen, ist die Atmosphäre nicht anders als beim Flughafen in Frankfurt. Wann spüren Sie denn zum ersten Mal, dass sie wirklich in China sind?

Den stärksten emotionalen Eindruck von China hatte ich gar nicht in Peking. Komplett verzaubert von der Atmosphäre und der Kultur wurden meine Familie und ich bei meinem ersten China-Besuch. Da waren wir im Süden unterwegs. Das ist einer der schönsten Gegenden von China, mit Kegelbergen und Reisfeldern und traditionellen Spitzhüten. Da habe ich dieses alte, dieses echte China kennen gelernt. Bis heute ist das die Gegend, die mich am meisten gefangen genommen hat.

Und in Peking, dieser verwestlichten Start. Spüren sie dort auch noch dieses alte, traditionsreiche China?

Peking ist natürlich sehr viel Großstadt, aber Peking hat viele Facetten. Das kann man nicht mit einem Begriff beschreiben. Touristen sehen in der Regel nur das Zentrum, die Ausländerbezirke. Ich halte mich dort ja auch am meisten auf. Dort ist Peking verwestlicht, klar.

Und dort hat sich Peking am stärksten verändert?

Ich kann nur über das Zentrum sprechen, und das hat sich immens verändert. Nach meinem ersten Peking-Besuch habe ich meinen alten Schulweg nicht mehr wieder erkannt. Dort sind einfach ganze Stadtviertel abgerissen und neu aufgebaut worden. Peking ist in Ringe aufgebaut, und bis zum fünften Ring werden neue Hochhäuser gebaut. Das verändert das Stadtbild sehr

Und wie sehr verändert so ein Stadtbild die Mentalität der Menschen?

Die jungen Chinesen übernehmen gerade den westlichen Freizeitstil. Schick einkaufen ist sehr in. Es gibt ja jetzt viele neue Einkaufszentren. Und wenn ich sehe, wie viele neue McDonald’s und Burger King-Läden, aber auch Diskotheken es seit im einem ersten Pekingbesuch gibt. Und trotzdem: Peking hat 13 Millionen Einwohner, ich bin sicher, dass Millionen Menschen von diesem Wandel noch nicht betroffen sind.

 

Und die stehen dann eher befremdet vor Starbucks und Malls?

Die gehen zwar in die Einkaufszentren, aber sie passen eigentlich nicht wirklich in diese Welt. Ich glaube, dass sehr viele von dieser Entwicklung einfach überrollt wurden, gerade in den Großstädten. Die kommen mit dieser Geschwindigkeit nicht mit. Die sind damit relativ überfordert.

Der klassische Generationenkonflikt?

Auf jeden Fall. Aber genau das finde ich ja schön an Peking. Die jungen Leute wachsen mit dem Handy auf, die älteren, traditionsbewussten Menschen gehen einfach weiter zu ihren alten Familientreffpunkten. Diese Menschen leben einfach so wie man vor 50 Jahren schon gelebt hat. Man sieht ja frühmorgens auch noch immer genügend alte Menschen beim Thai Chi. Die machen da ihren Frühsport. Das finde ich wahnsinnig beeindruckend. Es kann alles parallel laufen, ohne dass es Konflikte gibt.

Gibt es eine Art Grenze, an der diese Weltbilder ganz krass aufeinander treffen?

Ein großes Problem ist schon die Individualisierung, und das Problem wird noch größer. China basierte extrem auf einem funktionierenden Familiensystem. So das bei uns vor 200 Jahren war. Die Jüngeren versorgen die Alten. Aber in China gerät dieses System ins Wanken, weil es eine riesige Wanderarbeiterbewegung gibt. Diese Wanderarbeiter sind jetzt nicht bloß von ihrer Familie getrennt, und sie ziehen auch vom Land in eine große Stadt, in eine völlig neue Welt. Dazu kommt, dass junge Leute, die in der Stadt ausgewachsen sind, neuerdings in eigene Wohnungen umziehen. Das hatte es noch nie gegeben. Es ist üblich, dass man bis zur Heirat bei den Eltern wohnt. Da gibt es große soziale Probleme.

 

Inwieweit fängt die Regierung dieses sozialen Probleme ab?

Durch neue Ansätze zur Sozialpolitik. Die Altersvorsorge wird verbessert, Krankenversicherung ist ein großes Thema. In China ist der soziale Unterschied zwischen Stadt und Land ein Riesenproblem. Durch die neue Marktwirtschaft verfallen die alten Sicherungssysteme. Es gibt deshalb verschiedene Modelle für Städte und für Landbewohner und dazu entsprechende Versicherungen. Das Hauptproblem sind ja nicht fehlende Gesetze, die Regierung hat da ja einiges getan. Aber China ist durch die 30 Provinzen wahnsinnig dezentral organisiert Es ist superschwierig, diese Gesetze in allen Kreisen und Bezirken durchzusetzen.

Das heißt aber auch, dass es durchaus vernünftige Ansätze gibt?

Genau, China hat in bestimmten Bereichen ein sehr modernes Rechtssystem und vernünftige Gesetze. Nur, wenn man sie umsetzen will, scheitert man an allen Ecken und Enden. Das liegt natürlich auch an der Korruption. Aber in den einzelnen Provinzen und Städten kümmert man sich nicht sonderlich um die Wünsche der Regierung.

Bei den Menschenrechten ist China alles andere als modern. Es gibt massive Proteste, die Regierung sperrt unliebsame Internetadressen. Sehen Sie trotzdem Entwicklungen zum Positiven?

Ich war im Frühjahr bei einer Menschrechtsdebatte im Bundestag, da wurde über dieses Thema gesprochen. Ich denke, dass es Ansätze zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation gibt. Aber man muss da realistisch bleiben: Natürlich kann ein Land, das in so kurzer Zeit solche Entwicklungen und Fortschritte gemacht hat, nicht in kurzer Zeit an allen Ecken und Enden alles verbessern. Es gibt wahnsinnige Umwelt- und soziale Probleme, es knallt an allen Ecken. Ich denke, dass die Regierung aber auch wegen der Wirkung der Olympischen Spiele viel tut, die Menschenrechtssituation zu verbessern.

Chinas Medien berichten ausführlich über diese Umweltprobleme. Ist das ein Zeichen, dass es zunehmend mehr Pressefreiheit gibt?

Zumindest bei den Umweltthemen hat die Regierung erkannt, dass es so nicht weitergehen kann. Aber ich finde es falsch, wenn man pauschalisiert und sagt, alles in China läuft beim Umweltschutz schief. Sicher haben die Chinesen große Müll- und Abgasprobleme, aber wie will man Chinesen, die gerade mal selber ein wenig Geld verdienen, verbieten, ein Auto zu fahren. China hat in den letzten Jahren viele internationale Abkommen unterschrieben und bemüht sich. Fabriken haben jetzt zum Beispiel Vorschriften über Abgasausstoß. Aber wie will man überprüfen, ob die eingehalten werden? Sobald man aus Peking heraus geht, gibt es unzählige Kilometer Berge und Hügel, in denen so kleine Fabriken gebaut worden sind. Die wurden alle in den 80er Jahren mit einem Schlag geschlossen. Mit dem Erfolg, dass sie halt an anderer Stelle wieder aufgebaut wurden. Die sind wie Metastasen.

Ist dann so ein Land, wenn es nicht quasi diktatorisch regiert wird, unregierbar?

Nach den ganzen Jahren Studium glaube ich: Es ist offensichtlich, dass China diesen ganzen wirtschaftlichen Fortschritt nicht mit einem liberalen Mehr-Partien-System erreichen könnte. Das würde zum riesigen Chaos führen.

Ist in Peking oder in China bei der Bevölkerung echte Olympiabegeisterung zu spüren?

Schwer zu sagen. In Peking ist alles voll mit Plakaten. Da steht dann: „Lasst uns der Welt zeigen, dass wir eine tolle Nation sind." Oder: „Wir hören auf zu spucken, wenn die Touristen kommen.“ Die eine Hälfte der Bevölkerung ist total begeistert und will genau das umsetzen, die andere ist wahrscheinlich genervt, weil man überall auf diese Parolen trifft. Natürlich gibt es durch Olympia auch viele Probleme. Durch die Neubauten leiden ganze Viertel. Die werden dann einfach abgerissen. An ein Haus, der abgerissen werden sollte, kam einfach ein rotes Kreuz, fertig. Dann heiß es: Ihr habt fünf Tage Zeit, um Eure Sachen zu packen. Das ist jetzt allerdings nicht mehr möglich, aber vielen Chinesen nützt das nichts mehr.

Wie sehr wehrten sich die Betroffenen?

Ich habe mit den Menschen natürlich nicht gesprochen, aber üblicherweise ist es so: Die Leute bekommen Neubauten zur Verfügung gestellt, aber die stehen außerhalb von Peking. Damit haben die jetzt eine viel längere Arbeitsstrecke. Aber es wird halt hingenommen. Solche Exzesse werden natürlich überall in der Welt kritisch gesehen. Andererseits: Jede Stadt, die Olympische Spiele ausrichtet, bemüht sich, schön dazustehen. In Atlanta sind alle Bettler aus der Stadt vertrieben worden.

Reden Sie mit ihren chinesischen Fechtkolleginnen über solche Probleme?

Es ist generell nicht zu empfehlen, über Politik zu diskutieren, das wird auch in jedem Reiseführer gesagt. Aber ich kann Ihnen versichern, dass sich meine Kolleginnen keine Gedanken darüber machen. Die machen Ihren Sport. Es ist eine sehr westliche Sicht zu glauben, dass diese Menschen sehr unter der Gesamtsituation leiden, die Mentalität ist einfach anders. Die sind in diesem ganzen System, auch dem Sportsystem, groß geworden. Wenn man zum Beispiel kleine Turner, die geschlagen wurden, fragt, ob sie diese Prügel verdient haben,  dann würden sie immer sagen: ja. Das ist nicht gut, es sollte natürlich anders sein, aber die Leute leiden nicht so sehr, wie wir uns das vorstellen.

Und im Fechten ist die westliche Trainingslehre auch noch nicht angekommen?

Ich habe nur die Erfahrung gemacht, dass wir dreimal täglich Training im Stil von Turnvater Jahn hatten. Eins, zwei, drei, vier fünf, sechs, es ist sehr militärisch. Man muss sich da auch richtig aufstellen. Ich bin schon froh, dass ich keine chinesische Sportlerin bin.

Und die Sportler wehren sich nicht dagegen?

Noch nicht, jedenfalls im Sport. Dass der Westen in China angekommen ist, wird eher im Freizeitbereich wahrgenommen. Nach dem Motto: Wir sind jetzt cool, wir gehen zu McDonald’s. Aber dass im Sport aufgeschrieen wird, das gibt es nicht, das gab es noch nie. Dass Einzelne Rechte haben, das ist ein völlig fremder Gedanke. Aber ich glaube, dass diese Denkweise durch die Olympischen Spiele, aber auch durchs Internet langsam aufgeweicht wird.

Und wann könnte sich dieser Wandel endgültig vollzogen haben?

Das ist eine sehr schwere Frage, die stellen wir uns auch im Studium. Es gibt drei Meinungen: 1. Die ganze Wirtschaft kippt in ein paar Jahren, 2. Das System wird sich ewig halten. Ich denke, die Chinesen werden nicht untergehen, das ist ein so zähes Volk, die wollen den Aufschwung,  aber ich glaube, solange der Aufschwung stattfindet, wird sich nicht viel ändern. Die Menschen sind zu sehr damit beschäftigt, diesen Aufschwung zu genießen. Das sagt jeder, der in China unterwegs ist. Ich kenne kaum ein Land, das kapitalistischer agiert als China. So geldgeil sind die Menschen.

Wie äußert sich die Geldgier im Sport oder im Alltag?

Es gibt wahnsinnig viele Straßenhändler. Und alle meine Freunde und Bekannten, die in Peking sind, sagen, man spüre diesen Aufschwung. Jeder versucht, für sich das Beste herauszuschlagen. Da wird nicht groß nach links oder rechtes geschaut. Es geht um einen besseren Job, um eine bessere Stellung hier und da. Jeder will ein eigenes Auto haben und gute Kleidung tragen. Es gibt viele Stutussymbole.

Wie werden erfolgreiche chinesische Sportler alimentiert? Eigenes Auto, eigene Wohnung?

Im Sport ist das etwas abgestuft. Die Athleten haben ja schon Glück, dass sie überhaupt Sportler sind. Die meisten wurden aus Verhältnissen herausgeholt, in denen sie sonst ums Überleben gekämpft hätten. Allein schon, dass sie täglich ihre drei warmen Mahlzeiten am Tag und Unterkunft bekommen, das ist schon mal ein Aufstieg. Es gibt zwar Prämien, aber was bedeutet das schon? Kolleginnen haben sich eine Wohnung gekauft, aber die sind zehn Monate im Jahr in der Sportkaserne. Die kommen einmal im Monat nach Peking rein. Obwohl sie in Peking wohnen! Die haben gar keine Zeit, abends wegzugehen.

Der frühere deutsche Kanu-Trainer Josef Capousek hatte Chinesen trainiert und ist kurz vor Olympia entlassen worden. Capousek hatte mal seinen Athleten freigegeben. Da fragten fassungslose Funktionäre: Warum brauchen die Freizeit?

Könnte das im Fechten auch passieren?

Ich war nicht lange genug da, um das über eine lange Periode beschreiben zu können. Die hatten sieben Tage die Woche zweimal täglich Training, sonntags immerhin nur einmal. Ich verstehe es nicht. Aber es gibt sogar in Deutschland Athleten, die durchtrainieren. Die wissen gar nicht, dass Regenration auch gesund und leistungssteigernd ist. Aber in China wird so trainiert.

Die Robustesten bleiben übrig?

Mich wundert, dass die mit diesem System immer noch Erfolge haben. Anscheinend geht es auch so. Was ich feststelle, ist dass sie früher als andere müde werden. Die sind in den letzten Jahren im Fechten besser geworden,  aber jetzt gehen die Leistungen zurück. Diese mentale Frische, die sie am Anfang mitgebracht haben, ist aufgebraucht. Und die mentale Regeneration ist im Fechten wichtig.

 

Haben sie in letzter Zeit diese Müdigkeit festgestellt?

Ja, vor allem im letzten halben Jahr sind sie sehr müde aufgetreten. Die beste Chinesen, Weltranglisten-Erste, hatte sechs richtig schlechte Wettkämpfe hintereinander geliefert. Ich habe gefragt: Was ist denn los? Sie sagte: Mensch, ich fühle mich einfach nicht frisch, ich will nach Hause. Genau dieses Symptom hat die ganze Mannschaft. Alle hängen wie ein Schluck Wasser in der Kurve und können nicht mehr. Es ist Wahnsinn.

Es gibt ja viele ausländische Trainer in China. Ist die Trainingslehre von denen trotzdem bislang an den chinesischen Athleten vorbeigegangen?

Die Chinesen schauen sich schon viel ab, und sie versuchen von uns zu lernen. Die klassischen guten Fechtnationen liegen in Europa, aber ihr Grundsystem werden die Chinesen beibehalten.

Denken auch junge Trainer so?

 

Das stellt keiner in Frage. Der normale chinesische Schüler und Sportler macht sich über solche Dinge keine Gedanken. Es ist absolut falsch zu denken, dass die in ihrem Zimmer sitzen und überlegen, was man anders machen könnte. Man spürt auch häufig, dass sie naiv wirken. Die stellen wenig flektierende Fragen. Die können gut wiederholen, multiple choice ist deren Ding. Wir haben im Englischunterricht Texte nur auswendig gelernt und nicht selber geschrieben. Und genau dieses System setzt sich bei denen in der Schule und die Ausbildung fort.

Aber gerade die industrielle Entwicklung ist doch so, dass sie sehr viel selber entwickeln. Ist es trotzdem eher verpönt, sich eigene Gedanken zu machen?

Ich weiß nicht, ob es verpönt ist, es ist einfach nicht üblich. Natürlich gibt es unter diesen vielen Millionen Menschen ein paar brillante Köpfe, die sitzen zum Beispiel in den Forschungszentren. Aber man darf nicht vergessen, dass viele Forschungszentren von Westlern geleitet werden.

Wie viel Freiraum kann sich ein chinesischer Fechter erlauben?

 

Es ist völlig unmöglich auszuscheren. Daran denkt gar keiner. Meine Kollegen kennen ihr Trainingszentrum und sonst nichts. Ich bin sicher, dass ich mich tausend Mal besser in Peking auskenne als die. Die werden ja schon ein bisschen wie Kinder gehalten. Da haben ja nie studiert.

Wie war dann der Dialog mit diesen Sportlern? Da müssen ja zwei Welten aufeinander prallen?

Die können zum Beispiel nicht verstehen, dass ich seit sechs Jahren in meiner eigenen Wohnung in Köln lebe und dreimal pro Woche zur Uni gehe und ein bisschen Sport mache und der Sport nicht mein Lebensmittelpunkt ist. Das sind Modelle, die die nicht kennen. Die denken wahrscheinlich, wenn ich davon erzähle, dass ich mich nicht richtig ausdrücken konnte. Jedesmal, wenn ich meine Geschichte einem Chinesen erzähle, fragt der mich 20 Mal, ob er mich richtig verstanden hat. So nach der Art: Du machst jetzt Sport und lernst nebenher Chinesisch? Ich sage nein: Das verstehen die nicht.

Wie geht es dann mit chinesischen Sportlern, die ihre Kariere beenden weiter? Werden die Trainer oder in anderer sozial abgefangen?

Das ist ein weiteres Problem. Wenn sie besonders gut sind, bekommen sie eine lebenslange Rente die aber nicht sehr hoch ist. Aber ansonsten muss man Trainer werden. Und wer kein Trainer wird, tja. Ich glaube, dass da viele auf der Strecke bleiben.

Haben chinesische Sportler immer noch so einen Stellenwert wie früher? Oder hat sich alles relativiert, weil der normale Chinese den Westen gefühlt vor der Haustür hat?

Nein, das ist auch einer der Gründe, weshalb ich gerne in China bin. In China wird jede Leistung gewürdigt. Wenn ich dahin komme und sage: Ich bin Weltmeisterin, dann kippen die fast um vor Ehrfurcht, und das ist einfach toll. Bei uns ist ja Neid die größte Form der Anerkennung. In China hat Erfolg es einen wahnsinnigen Stellenwert. Egal ob im Studium oder im Sport.

Wie viel hilft Ihnen ihr Status, wenn sie in China bestimmte Botschaften vermitteln? Werden Sie als Weltmeisterin mehr gehört oder stoßen Sie auch an Grenzen?

Ich habe mich nie berufen gefühlt, Botschaften zu verbreiten. Aber ich hatte vor kurzem einen ganz persönlichen Erfolg bei meinem Umgang mit den Chinesen. Ich war in Paris beim Weltcup, da haben alle Trainer aller Länder wegen irgendwelcher neuen Regelungen protestiert. Das habe ich den chinesischen Trainern gesagt. Normalerweise haben wir alle gedacht, dass sich die Chinesen da raushalten, weil kein Offizieller gesagt hat, ihr müsst auch protestieren. Weil sie ja selber hätten entscheiden müssen. Ich habe das denen erklärt und gesagt, kommt doch mal mit dazu, und da sind die tatsächlich gekommen. Das fand ich stark. Das ist nicht üblich.

Was empfindet der normale Chinese, wenn er über den Platz des Himmlischen Friedens geht, wo 1989 das Massaker an Demonstranten angerichtet wurde?

Ich bin mir sicher, dass die meisten wahnsinnig stolz sind, dass ein so großer Platz gebaut wurde. Es ist der größte Platz der Welt. Es gibt diese paar Demonstranten, aber das sind vor allem Akademiker. Man darf auch nicht vergessen, dass damals nicht ein Mehr-Parteien-System gefordert wurde, sondern vor allem mehr Meinungsfreiheit. Der normale Chinese läuft über den Platz und diskutiert, was es zum Abendessen gibt.

Wie sind Ihre sportlichen Erwartungen? Ist eine Medaille Pflicht?

Eine Pflicht gibt es bei uns im Fechten nicht. Wir haben ein K.o-System ohne Hoffnungslauf. Ein verlorenes Gefecht bedeutet das Aus. Wir haben zehn Favoriten. Ich möchte gut sein, ich möchte eine Medaille, am liebsten eine goldene. Es wäre für mich der größte Traum, der in Erfüllung ginge.

 

Und wenn nicht?

Dann wäre ich erstmal schon sehr traurig. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass ich, wenn ich den ersten Schmerz überwunden habe, diese gigantischen Spiele genießen werde. Wenn es nicht sein soll, dann werde ich nicht weinend nach Hause fahren.

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