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Interview: "Ich bin jetzt noch motivierter"

Der schwer gestürzte Skirennfahrer Daniel Albrecht über Koma, Gedächtnisverlust – und sein Comeback.

Herr Albrecht, mit welchen Gefühlen sind Sie nach Kitzbühel zurückgekehrt? Ist es eine Reise in die Vergangenheit oder in die Zukunft?

Eher in die Zukunft. Ich wollte einfach wissen, wie wird es hier sein? Werde ich Angst haben? Aber es war ziemlich normal.

Warum gehen Sie dann nicht in den Zielraum und werden auch die Rennen nicht in Kitzbühel verfolgen?

Ich werde erst wieder auf die Strecke zurückkehren, wenn ich wieder Skirennfahrer bin. Dann kann ich der Piste zeigen, dass ich der Chef bin – und nicht die Piste. Ich gehe nicht auf die Piste, um nur Fotos zu machen. Ob und wann ich noch einmal Rennen fahren kann, ist im Moment nebensächlich.

Nach Ihrem schweren Sturz vor einem Jahr auf der berüchtigten Streif in Kitzbühel hatten sie beim Erwachen aus dem Koma große Gedächtnislücken. An was konnten Sie sich als Erstes erinnern?

Es war wirklich alles weg. Es dauerte einige Wochen, bis die Frage kam: Was war ich? Ich denke, heute ist wieder alles zurück, denn was ich nicht weiß, vermisse ich auch nicht.

Sie haben anfangs Ihre Freundin gar nicht erkannt.

Nicht einmal meine Eltern. Es gab mal die Situation, als um vier Uhr eine Physiotherapeutin kommen sollte. Um vier Uhr kam dann meine Freundin. Und ich glaubte, das sei meine Physiotherapeutin.

Haben Sie auch anderes verwechselt?

Meine Freundin habe ich beim Essen gefragt, warum der Audi so hart ist. Sie sagte dann: Du meinst das Fleisch. Ich hatte gar nicht gemerkt, was ich gesagt hatte. Für mich war das alles der gleiche Lernprozess wie für ein kleines Kind.

Gibt es noch Situationen, in denen Ihre Eltern etwas aus Ihrer Vergangenheit erzählen, Sie aber keine Ahnung haben, von was sie sprechen?

Es gibt schon Situationen, in denen ich mit Leuten rede und dann etwas Neues kommt. Aber so lange das nicht erwähnt wurde, wusste ich nichts davon. Dann wird jedoch die Verbindung hergestellt und ich kann mich wieder erinnern.

Gibt es Personen in Ihrem Umfeld, die Sie jetzt nach ihrem Sturz davon abhalten wollen, ihre Karriere als Skirennfahrer fortzusetzen?

Direkt gesagt hat das niemand. In gewissen Gesprächen meinten manche schon: Fahr lieber nicht mehr! Aber es hat niemand gesagt: Du fährst sicher kein Rennen mehr. Doch wenn jemand sagt, das ist zu schwierig für dich, dann hat mich das schon früher nur noch mehr motiviert. Ich dachte zum Beispiel schon, beim Saisonauftakt in Sölden fahren zu können. Dabei habe ich damals noch nicht einmal einen Liegestütz geschafft.

Wann haben Sie sich Ihren Sturz zum ersten Mal angesehen?

Ziemlich früh, als ich realisiert hatte, dass ich Skirennfahrer war. Ich habe den Sturz entgegen der Ratschläge der Ärzte noch im Krankenhaus angeschaut. Ich sehe das Video an, drücke auf Pause und merke: Das bin wirklich ich. Aber ich kannte mich ja nicht. Dann schaue ich den Sturz an, und nochmal und nochmal und denke: Es könnte auch jemand anderes sein. Wenn man jemanden nicht kennt, hat man auch keine Gefühle. Ich habe nur gedacht: Oh krass, das hat sicher extrem weh getan.

Haben Sie schon einen Zeitpunkt für Ihr Comeback ins Auge gefasst?

Dass ich es überhaupt noch einmal versuchen kann, dass ich noch ein normaler Mensch bin – da hatte ich so viel Glück, darauf kann ich stolz sein. Ich habe immer an allem stark gearbeitet, aber wenn es dann nicht geklappt hat, bin ich auch nicht zusammengebrochen.

Glauben Sie, dass die Veranstalter die Athleten einem zu hohen Risiko aussetzen?

Schon früher waren die Abfahrten gefährlich. Aber die Sportler sind auch athletischer geworden, sie haben sich den Gefahren angepasst.

Also haben Sie keine Angst vor Stürzen?

Ich war früher schon ein spezieller Typ bei Unfällen. Wenn ich gestürzt bin, habe ich nicht gedacht: Oh Scheiße, ich bin gestürzt. Sondern ich habe gedacht: Der Sturz war cool, nochmal. Wenn ich normal wäre, müsste ich jetzt auch sagen: Das mache ich nicht mehr. Aber ich sage: Ich zeige, wer der Chef ist. Ich bin jetzt fast noch motivierter, diese Abfahrt in Kitzbühel zu gewinnen als vorher.

Das Interview führte Jörg Köhle.

Daniel Albrecht, 26, kam bis zu seinem schweren Sturz vor einem Jahr auf vier alpine Weltcupsiege. Bei der Ski-WM 2007 in Are gewann der Schweizer Gold, Silber und Bronze.

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