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Klinsmann

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Interview: Jürgen Klinsmann: "Es ging nur emotional und populistisch zu"

Seine Arbeit bei Bayern München, sein Rauswurf und seine Pläne - Ex-Trainer Klinsmann spricht über seine Fehler und die schmerzhaften Erfahrungen beim deutschen Rekordmeister.

Herr Klinsmann, was machen Sie am Samstag um 15.30 Uhr?

Da werde ich mir die Bundesliga live im Fernsehen anschauen. Ins Stadion werde ich nicht gehen.

Und wem drücken Sie die Daumen?

Trotz allem werde ich die Daumen drücken, dass vielleicht noch ein Wunder passiert und der FC Bayern deutscher Meister wird. Auch wenn der Titel für Wolfsburg viel wahrscheinlicher ist. Ich habe einschließlich der Vorbereitung anderthalb Jahre intensiv mit dem Club gearbeitet, natürlich auch eine Beziehung aufgebaut mit den Spielern und zu vielen an der Säbener Straße. Vielleicht tat es deshalb auch so weh im ersten Moment, als die Beurlaubung kam.

Würden Sie trotzdem noch ein wenig feiern, wenn es die Bayern noch schaffen?

Ich fiebere und hoffe mit. Aber die Feier ist dann den Fans und der Mannschaft überlassen.

Mit einer Einladung würden Sie dann nicht rechnen?

Da geh' ich mal nicht davon aus.

Wie groß ist drei Wochen danach noch der Frust, nicht die Chance erhalten zu haben, langfristig Ihr Konzept zu etablieren?

Im ersten Moment saß der Stachel unglaublich tief. Weil es noch die Chance gab. Das Gefühl war einfach schlecht, dass man eine Arbeit, die man mit viel Energie angefangen hat, nicht mal bis zum ersten Kapitel beenden zu können. Natürlich waren wir auf einem schmalen Grat, weil die Spieler absolut auf die Champions League fokussiert waren. Das erste Kapitel sollte aber nach einem Jahr abgeschlossen und bilanziert werden, um daraus die Schlüsse zu ziehen. Diese Möglichkeit habe ich nicht mehr bekommen.

Ist damit Ihr Konzept gescheitert? Ist es nicht möglich, in diesem schnelllebigen Geschäft solche Wege zu gehen?

Nein. Die Ansatzpunkte waren und sind genau die richtigen. Es bedarf allerdings ein wenig Geduld und eines langen Atems. In München war die Arbeit in den letzten zehn Monaten extrem von allen Richtungen. Jede Kleinigkeit hat für einen Riesenaufruhr gesorgt. Das Sportliche wurde in den Hintergrund gerückt. Es ging nur emotional und populistisch um die verschiedensten Themen. Es kann letztlich nur dann funktionieren, wenn die Bewegung von innen kommt und alles von außen liegen gelassen wird. Wenn man jede Woche infrage gestellt wird, ist es schwer, diesen Prozess mittel- und langfristig zum Erfolg zu führen.

Vieles hat sich nur auf Sie fokussiert, mit welchen Auswirkungen?

Da hatten viele ein Schutzschild. Ich habe auch die Mannschaft - das ist mein Stil - in Schutz genommen. Diese Skepsis, die vom ersten Tag an da war, wurde immer wieder geschürt und an meiner Person festgemacht. Und mir wurden Dinge angedichtet, mit denen ich nichts zu tun hatte.

Welche Dinge zum Beispiel?

Ob es die Buddhas waren, die ein Architekt aufgestellt hatte, oder die Aussage, ich mache kein öffentliches Training. Ich habe viele öffentliche Trainingseinheiten angeordnet und wir haben die Zäune wegmachen lassen, damit die Kinder drüberschauen können. Viele Dinge hat man versucht, in meine Richtung zu interpretieren. Man kann denken, da stand System dahinter.

Was nehmen Sie mit aus den zehn Monaten? Auch Dinge, die Sie jetzt anders machen würden? Kreiden Sie sich selbst Fehler an?

In so einem Prozess werden auch Fehler gemacht, das ist normal. Ein Fehler war ohne Zweifel, dass ich mich auf zu viele Kompromisse eingelassen habe. Zum einen beim Kader, ohne dass ich Namen nenne. Natürlich hat man auch dann noch die Möglichkeit der Korrekturen. Aber als Vereinstrainer kann man die nur am Saisonende vornehmen. Als Nationaltrainer lädst du das nächste Mal einfach vier andere Spieler ein. Ich hätte von Anfang an auf drei, vier neue Spieler bestehen müssen.

Hat sich Ihr nicht einfaches Verhältnis als Spieler und Bundestrainer zum FC Bayern noch negativ ausgewirkt?

Es gab sicher alte Denkweisen gegen mich. Es wurden alte Themen geschürt von Leuten außerhalb des Clubs. Vielen ist einfach Sepp Maier oder Oliver Kahn hängengeblieben, das wurde medial geschürt. Bösartig und kontinuierlich. Jedes Spiel wurde zum nächsten Schlüsselspiel erklärt. Das war schon in den letzten zwei, drei Monaten eine unwürdige Hetzjagd.

Ihr Lebensmittelpunkt mit Ihrer Familie soll Deutschland bleiben. Ist damit auch ein Job in Deutschland erste Option?

Ich mache mir da jetzt keine Gedanken. Es war ein großer Schritt familiär. Weil wir nach zehn Jahren Amerika gesagt haben, wir möchten den Kindern deutsche Wurzeln geben, die Verbindung zu meiner Familie wieder herstellen. Sie lernen, die deutsche Kultur und das Land richtig zu spüren. Und vor allem: Wir fühlen uns hier absolut wohl. Da reißen wir die Kinder nach einem Jahr nicht wieder heraus. Deshalb werden wir hierbleiben. Und was sich bei mir beruflich entwickeln wird, hat Zeit, ist erst einmal sekundär.

In die neue Saison werden Sie also nicht direkt einsteigen?

Das schließe ich aus. Man weiß, dass im Fußball viele Dinge passieren können. Dennoch ist es jetzt wichtig, mich erst einmal ein bisschen zurückzuziehen und zu überlegen, was für ein Schritt kommen könnte.

Aber Trainer bleibt ihre erste Wahl?

Gut vorstellbar. Die Arbeit als Trainer ist absolut faszinierend. Es kommt doch auch auf die Philosophie an. Und meine ist es, den Spieler zu helfen, besser zu werden. Was man mir jetzt oft um die Ohren gehauen hat. In jedem Beruf ist es wichtig, in den Tag zu gehen und etwas zu bewegen. Wir leben in der Denkweise, die mich in Deutschland in der Form etwas überrascht hat: Besitzstand-Erhaltung. Nach dem Motto: Wenn ich etwas aufgebaut habe, muss ich es verteidigen. Aber damit komme ich nicht weiter. Wenn ich kein Risiko eingehe, werde ich nicht besser.

Nach dem Abschieds als Bundestrainer hatten Sie zwei Jahre Pause genommen, gibt es jetzt wieder eine so lange Pause?

Die Aufarbeitung FC Bayern findet jetzt statt. Ich werde mit vielen darüber reden, was gut und was schlecht war. Um daraus für mich persönliche Schlüsse zu ziehen und daraus zu lernen. Die WM war noch ein ganz anderes Extrem, ein Event, der eine ganze Nation in einem Ausmaß beeinflusst hatte, wie wir uns es nicht vorstellen konnten. Das war emotional extrem. Deshalb hat es Zeit gebraucht. Das war für uns einfacher in Amerika. Die Arbeit beim FC Bayern ist auch eine ganz wichtige Lebenserfahrung, die leider jetzt so zu Ende gegangen ist - entgegen meiner Überzeugung. Deswegen schmerzt sie auch. Das muss man schlucken und den Blick wieder nach vorn richten.

Beim DFB sind sie als Held gegangen, ohne das ganz große Ziel erreicht zu haben? Reizt es, da nochmals einzusteigen?

Für mich ist immer wichtig, eine Arbeit zu tun, auf die andere aufbauen können. Ich habe nach der WM Jogi Löw überredet, dass er unsere Arbeit fortsetzt. Das macht er hervorragend. Und auch jetzt habe ich beim FC Bayern eine Arbeit gemacht, auf die Louis van Gaal aufbauen kann - auch wenn das einige Leute anders darstellen. Er findet das modernste Trainingszentrum vor, er hat Strukturen und geniale Möglichkeiten. Er kann jetzt die Schlüsse ziehen, die ich nicht mehr ziehen durfte - sprich einige Spieler zu verabschieden und neue zu holen. Und ich bin überzeugt, wenn wir das durchgezogen hätten, dann wäre einiges abgehoben nächstes Jahr.

Das Interview führte Jens Mende, dpa

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