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 Rudolf Scharping, 64, ist seit 2005 Präsident beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Zuvor war er unter anderem Bundesverteidigungsminister, Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender der SPD.

© dpa

Interview mit BDR-Präsident Scharping: "Armstrong ist Vergangenheit"

Rudolf Scharping ist Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR). Im Interview spricht er über die jüngsten Doping-Enthüllungen, die Rolle des Weltradsportverbands und die Auswirkungen auf den deutschen Radsport.

Herr Scharping, bereits vor Ihrer Zeit als Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) waren Sie radsportbegeistert, sind beim Team Telekom bei der Tour de France im Mannschaftswagen mitgefahren. Nun hat die US-Anti-Doping-Agentur Usada umfassende Beweise vorgelegt, die Lance Armstrong des Dopings überführen. Wie betrachten Sie die damalige Zeit heute?

Sehr ernüchtert, spätestens seit 2006 mit der Aufdeckung von Doping beim damaligen Team T-Mobile. An meiner Begeisterung für den Radsport hat sich nichts geändert.

Hat Sie der Usada-Bericht überrascht?

Für mich persönlich war er die Bestätigung eines Verdachts. Die Seiten enthalten allerdings eine Dichte von Ergebnissen bezogen auf ein erkennbar intelligentes und gleichermaßen skrupelloses System – das habe ich mir nicht vorstellen können.

Warum ist es in Deutschland nicht möglich, eine ähnlich umfangreiche Dokumentation zu erstellen, wie sie die Usada über viele Jahre angefertigt und nun vorgelegt hat?

Das Zusammenwirken staatlicher Ermittlungsbehörden und der Sportgerichtsbarkeit ist in Deutschland verbesserungsfähig und auch verbesserungsbedürftig.

Wo würden Sie konkret ansetzen?

Die Usada hat Möglichkeiten, die unsere Nationale Anti-Doping Agentur leider nicht hat – oder nur eingeschränkt. Beispiesweise kann die Usada eine Kronzeugenregelung anbieten, die Nada leider nicht.

Die bayerische Justizministerin Beate Merk hat sich jüngst genau dafür ausgesprochen. Ehemalige Teamkollegen von Armstrong haben gegen ihn ausgesagt und dafür eine verkürzte Sperre erhalten. Ist das ein Schritt in Ihrem Sinne?

Ich stehe hier den Standpunkten von Frau Merk näher als manch einer in Politik oder Sport. So konnte die Usada doch überhaupt erst diese Enthüllungen vorantreiben. Sie sagte zu den Zeugen: Sag uns die Wahrheit, dann fällt es uns leichter die Vergangenheit aufzuklären und zu verstehen. Im Gegenzug ist dafür die Strafe begrenzt.

Die Usada fordert nun eine Wahrheitskommission. Die soll nicht nur helfen, verdächtige Sportler zu überführen, sondern auch auf Funktionärsebene nach Unregelmäßigkeiten in der Vergangenheit schauen. Unterstützen Sie die Idee?

Ja. Und auch der Weltradsportverband UCI muss ein Interesse daran haben, dass durch neutrale Dritte all das geklärt wird, was derzeit an Verdächtigungen im Raum steht hinsichtlich der Vertuschung von Dopingproben durch Offizielle der UCI.

Wie ist das Verhältnis des Bundes Deutscher Radfahrer zur UCI?

Offen und kritisch. Ich halte nur nichts davon, regelmäßig Konflikte zu personalisieren.

Was erwarten Sie von der UCI in den folgenden Wochen?

Entscheidend ist, wie sie mit den Verfehlungen Armstrongs umgeht. Der sportliche Wert der Siege Armstrongs ist jetzt praktisch gleich null. Das ist das Entscheidende. Ich bin dafür, dass alle, die nachgewiesen gedopt haben, ersatzlos aus den Ergebnislisten gestrichen werden. Damit die Lücken sichtbar werden – als Symbol für ein verseuchtes Jahrzehnt. Und ich nehme an, das wird sich durchsetzen. Die UCI wird auch prüfen müssen, ob einige Vorgänge bereits verjährt sind. Aber das ist sekundär angesichts des faktischen Verlusts jedes sportlichen Ansehens und Wertes bei Armstrong.

"Mit der Kultur des Generealverdachts kann ich jeden in Zweifel ziehen"

Der ehemalige sportliche Leiter vom Team Telekom, Rudy Pevenage, hat nun unumwunden zugegeben, dass die Konkurrenten Armstrongs quasi dazu gezwungen waren, auch zu dopen – in gewisser Weise aus Notwehr, um Wettbewerbsgleichheit herzustellen. Auch das deutsche Team Telekom. Wie beurteilen Sie so eine Aussage?

Ich halte das für absoluten Quatsch. Nach dem Motto: Wenn alle betrügen, dann hat man nur eine Chance, wenn man mitbetrügt. Solche Methoden bringen den Sport um.

Aber ein erneuter Imageschaden droht nun auch dem deutschen Radsport.

Die Aufarbeitung der Armstrong-Vergangenheit war dringend notwendig. Das ändert aber nichts daran, dass wir in Deutschland schon 2006 entsprechende Konsequenzen gezogen haben: junge Sportler in den Vordergrund zu stellen, verbunden mit unbelasteten und erfahrenen Sportlerinnen und Sportlern. Außerdem haben wir den Blutpass angeregt, der dann Jahre später international eingeführt worden ist. Armstrong ist Vergangenheit, die muss aufgearbeitet werden. Für uns aber ist die Zukunft entscheidend.

Wie steht es denn um die Zukunft im deutschen Radsport? Wie haben sich beispielsweise die Mitgliedszahlen des BDR in den vergangenen Jahren entwickelt?

In der Breite steigen die Zahlen stetig. Aber natürlich müssen wir uns wie jeder andere Sportverband auch mit dem demografischen Wandel auseinandersetzen. Und auch mit einem gewissen Trend der Individualisierung, also dem Glauben, man könne alles selber machen und brauche keine Gemeinschaft dafür.

Und das hat nichts mit dem schlechten Ruf zumindest eines Teils des Radsports zu tun?

Nein. Die Menschen sind ja intelligent und feinfühlig. Und die wissen ganz genau, dass das, was im organisierten Profiradsport der Männer los war, nicht mit dem Radsport insgesamt verwechselt werden darf.

Wie sicher sind Sie, dass die jüngsten sportlichen Erfolge deutscher Radfahrer bei der Weltmeisterschaft oder den Olympischen Spielen allesamt ohne Hilfsmittel zustande gekommen sind?

Mit der Kultur des Generalverdachts kann ich alles und jeden in Zweifel ziehen. Und den Sport einstellen.

Deswegen richtet sich die Frage ja auch an Sie persönlich: Wie sicher sind Sie, dass in den letzten Jahren in Deutschland im Radsport nicht gedopt wurde?

So sicher wie ein Mensch, der sich bemüht.

Was muss generell im Radsport passieren, damit man irgendwann mit Ihnen ein Interview führen kann, das ohne die Problematisierung des Dopings auskommt?

Lassen Sie uns nach dem nächsten Bahnrad-Weltcup in Glasgow reden, Mitte November. Aber grundsätzlich: Ich hoffe sehr, dass wir uns künftig dem Kern des Sports zuwenden können: Leistung und Respekt. Und dieser Respekt wird zerstört, wenn ihm stets der Verdacht des Betruges anhaftet.

- Das Gespräch führte Nicolas Diekmann.

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