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Fredi Bobic, 39, erzielte für den VfB Stuttgart, Borussia Dortmund, Hannover 96 und Hertha BSC 108 Tore in 285 Bundesligaspielen. Ab März 2009 war er Manager des bulgarischen Erstligisten Burgas, seit Juli 2010 ist er Sportdirektor in Stuttgart.

© Reuters

Interview mit Fredi Bobic: "Die Zeit bei Hertha war sehr wichtig für mich"

Fredi Bobic über sein erstes Jahr als Sportdirektor in Stuttgart, den Abstiegskampf in der Bundesliga und seine Erfahrungen in Berlin.

Herr Bobic, DFB-Sportdirektor Matthias Sammer hat vor kurzem eine Lizenz für Sportdirektoren gefordert. Machen Sie sich schon Sorgen um Ihren Job?

Wenn Matthias Sammer meint, dass das notwendig ist… Ich weiß nicht, ob ich auf diesen Zug aufspringen muss. Aber man darf da auch nicht eitel sein. Ich bin erst 39. Ich weiß, dass ich immer weiterlernen muss.

Fühlen Sie sich denn ausreichend qualifiziert für Ihren Job?

Was heißt qualifiziert? Ich habe an einer Berufsakademie das Studium zum Fußballmanager abgeschlossen. Das war okay. Aber du kannst vieles auf dem Papier lernen – entscheidend ist die Praxis. Nach meiner Karriere als Spieler habe ich versucht, alle wichtigen Themenfelder genauer kennenzulernen, Medien, Wirtschaft, Sport. Das war für mich wie eine Lehre. Ich habe zum Beispiel bei der DFL hospitiert, um zu sehen: Wie funktioniert dieses System Fußball insgesamt?

Sie haben vor einem Jahr erst kurz vor Saisonbeginn beim VfB angefangen, hatten keinen großen finanziellen Spielraum und konnten auch kaum Einfluss auf die Zusammenstellung des Kaders nehmen. Haben Sie nicht manchmal gedacht: Warum hast du dir das angetan?

Der Zeitpunkt war absolut nicht ideal, das stimmt. Ich bin hier angekommen und musste als erstes den Transfer von Sami Khedira zu Real Madrid abwickeln. Da ist mir klar geworden, das geht jetzt gleich ans Eingemachte.

Ihnen war also bewusst, dass Sie ein Risiko eingehen?

Was heißt Risiko? Wir sprechen hier vom VfB Stuttgart. Für mich war das ein fantastischer Einstieg. Zu Stuttgart habe ich eine besondere Beziehung, hier bin ich groß geworden, und der VfB ist der Klub, in dem ich verwurzelt bin.

Zuvor haben Sie in gleicher Funktion bei Chernomoretz Burgas gearbeitet. War das eine realistische Vorbereitung auf den Job in Stuttgart?

Auf jeden Fall. In Bulgarien war ich geschäftsführender Vorstand, da ging alles über meinen Tisch. Der Präsident wollte, dass wir den Klub europäisch machen. Wir haben sein Geld nicht in die Mannschaft investiert, wir haben erst einmal Strukturen geschaffen. Das hat Riesenspaß gemacht. Als ich gegangen bin, hatten wir das modernste Stadion in Bulgarien.

In Burgas konnten Sie einen Verein nach Ihren Wünschen gestalten, beim VfB ist vieles fest gefügt. Ist das nicht manchmal frustrierend?

Der VfB ist ein Traditionsverein, da weißt du natürlich, dass da viele Leute mitreden und du gewisse Kompromisse eingehen musst, auch wirtschaftlich. Als ich die Zahlen gesehen habe, war mir klar, dass wir ein, zwei schwierige Jahre vor uns haben werden. Nicht dass Sie das falsch verstehen: Der VfB ist ein gesunder Verein, aber wir hatten in der vorigen Saison eben auch diese Baustelle Stadion. Trotzdem habe ich nicht im Ansatz gedacht, dass es so negativ laufen würde. Natürlich hatte ich mir ein Bild gemacht, aber selbst als Experte schaust du im Endeffekt nur auf die Fassade. Wie es im Haus aussieht, weißt du nicht.

Aber es ist ja dann doch noch so gelaufen, wie die meisten gedacht haben: Der VfB mit seiner Qualität, der packt das schon.

Nein, nein, nein. Die Situation war wirklich brenzlig. Nach den ersten sieben Spielen war mir klar, dass das ein langer Weg werden wird.

Warum?

Weil ich den Zustand der Mannschaft gesehen habe. Und weil ich weiß, was auf einen Verein in einer solchen Situation zukommt. Bei Hertha habe ich diese Erfahrung 2004 als Spieler gemacht, als wir mit zwölf Punkten in die Rückrunde gegangen sind. Mir war klar, dass der Abstiegskampf für den VfB bis zum Schluss dauern wird. Das war auch so. Obwohl wir in der Rückrunde 30 Punkte geholt haben, mussten wir bis zum vorletzten Spieltag zittern.

Haben Sie sich manchmal überfordert gefühlt?

Es gab sicherlich Momente, in denen ich am liebsten gesagt hätte: „Jetzt lasst mich alle mal in Ruh’!“ Nach der Niederlage gegen Kaiserslautern zum Beispiel. Eigentlich waren wir auf einem guten Weg – und dann verlieren wir zu Hause 2:4. Wenn ich meinen Emotionen freien Lauf gelassen hätte, hätte ich wahrscheinlich alles in Grund und Boden geschrien. Und das wäre genau das Falsche gewesen. Ich musste mich erst einmal wegschließen, um mich innerlich zu beruhigen. Zwanzig Minuten habe ich mit niemandem geredet. Manche haben gesagt, ich hätte auf weiche Welle gemacht. Ja, vielleicht. Man muss eine Mannschaft, wenn sie ganz am Boden ist, auch streicheln – obwohl sie eigentlich Tritte verdient hätte.

Helfen einem da die eigenen Erfahrungen als Spieler?

Mir helfen sie sehr viel. Aber es kommt auch darauf an, wie man als Spieler war. Für mich war die Zeit bei Hertha BSC sehr wichtig. Da habe ich ein anderes Bewusstsein dafür bekommen, was eigentlich mit einem Verein im Abstiegskampf passiert. Das hat mich damals unheimlich beschäftigt, weil ich auch schon etwas älter war. Mit 20 fliegt das Leben so an dir vorbei, da denkst du eigentlich nur an dich selbst. Mit 30 machst du dir einen ganz anderen Kopf. Da weißt du, welche Verantwortung du hast.

Wenn man selbst in diesem Job tätig ist, lernt man dann die Arbeit von, sagen wir, Dieter Hoeneß besser zu schätzen?

Du hast auf jeden Fall viel mehr Respekt davor, Demut auch. Ich weiß inzwischen, was für ein unheimlicher Druck auf einem lastet. Man wird aber auch in bestimmte Dinge reingedrängt. Der VfB ist 2007 Meister geworden, ganz überraschend eigentlich – und trotzdem haben alle erwartet, dass das jetzt der Beginn einer richtigen Ära ist. Als Meister kannst du eigentlich keinen Spieler mehr für eine halbe Million kaufen, der muss zehn Millionen kosten und eine Granate sein. Aber wenn es nicht funktioniert, wirst du gesteinigt, weil du so viel Geld ausgegeben hast.

Müssen Sie in Ihren Job manchmal ganz bewusst von Ihren Erfahrungen als Spieler abstrahieren? Oder anders gefragt: Hätten Sie sich vorstellen können, Hans Meyer als Trainer zum VfB zu holen, obwohl Sie bei Hertha Probleme mit ihm hatten?

Auf jeden Fall. Hans Meyer hat das damals super gemacht. Ich habe sogar im Herbst überlegt, ob er für uns der Richtige wäre. Persönlich hatte ich nie ein Problem mit ihm. Ich war ja damals schon etwas älter und kannte diese Generation Trainer. Mich hätte er nicht brechen können. Bei den jungen Spielern war das ganz anders. Aber wie Hans Meyer Fußball sieht, das ist sehr gut. Ich halte auch als Typ wirklich viel von ihm. Die Frage war nur: Passt er zu unserer Mannschaft? Und da habe ich gesagt: Nein. Weil die Generationen sich ändern, und sie ändern sich immer schneller.

Herr Bobic, Sie haben ein aufregendes Jahr als Sportdirektor hinter sich. Was war Ihre wertvollste Erkenntnis?

Dass nichts über Geschlossenheit geht. Es gab hier viel Panik, und es wurde immer wieder versucht, Unruhe reinzubringen. Aber gerade da haben wir es geschafft, ruhig zu bleiben. Auch wenn man dafür oft die Faust in der Tasche ballen musste …

… und nach außen Zuversicht ausstrahlen soll.

Ja. Vielleicht war es ein Vorteil, dass ich neu in dem Job war, dass die Leute gesagt haben: „Was will dieser Novize eigentlich? Was erzählt der denn? Der hat ja gar keine Ahnung.“ In der Öffentlichkeit haben viele gedacht: Der Bobic muss doch mal richtig draufhauen. Das ist ja auch einfach, so zu argumentieren. Aber einfache Dinge – dafür war ich nie da.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns.

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