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In der besten Form seiner Karriere? Mesut Özil ist im Moment richtig stark drauf.

© dpa

Interview mit Mesut Özil: "Die Zehn steckt voller Mythen"

In Deutschland gilt er als lustloses Genie. Dabei lernte er schon auf dem Bolzplatz in Gelsenkirchen, wie man sich durchsetzt. In England liegen ihm die Fans zu Füßen. Ein Gespräch mit Mesut Özil in London.

Mesut Özil, sind Sie in der Form Ihres Lebens?

Ich habe auch früher gute Saisons gespielt. Aber ich bin definitiv auf einem guten Weg.

Auf einem guten Weg? Die Fans vergleichen Sie mit Dennis Bergkamp. Die „SZ“ schrieb, dass wir gerade den „besten Özil seit der Olgastraße“ erleben.

Trotzdem: Die Saison ist noch jung und ich muss weiter an mir arbeiten.

Es heißt, Sie haben Ihre Ernährung umgestellt: weniger Brot, mehr grünen Tee.

Ich habe ein paar Kleinigkeiten geändert, das stimmt. Ich habe schon immer auf meinen Körper geachtet, aber hier in England gibt es keine Pausen, weshalb die Verletzungsgefahr größer ist. Trotzdem heißt das nicht, dass ich wie ein Asket lebe. Ich esse immer noch gerne Menemen (türkisches Rührei, d. Red.), Döner oder Köfte. Es gibt ein tolles türkisches Restaurant in London, das mir Poldi empfohlen hat, als ich hergezogen bin. Da gehe ich sehr gerne hin. Und da habe ich einige meiner Londoner Freunde kennengelernt.

Noch während der EM war die Berichterstattung eine andere. Vor allem die deutsche Presse kritisierte gerne Ihre Körpersprache. Spüren Sie nun Genugtuung?

Ganz ehrlich: Was in der Presse steht, interessiert mich nicht sonderlich. Für mich zählt nur das, was die Trainer sagen.

Arsène Wenger sagte mal: „Wer das Spiel von Özil nicht liebt, liebt den Fußball nicht.“ Und Jose Mourinho befand: „Es gibt keine Kopie von Özil, nicht mal eine schlechte.“ Trainer waren immer Ihre Fans.

Ich bin mit Mourinho gut zurechtgekommen. Er ist manchmal sehr laut, aufbrausend, das weiß man ja. Aber er kann Spieler gut motivieren. Und er hat mich verstanden. Ich wirke abseits des Platzes ein wenig ruhig, auf dem Feld war ich schon immer selbstbewusst. Selbst wenn der Spieler Ramos heißt: Ich tunnle ihn, wenn es sein muss. Vielleicht drückt er mir dann einen Ellenbogen, aber egal. Weil ich positiv frech bin, mochten mich meine Trainer und meine Mitspieler immer.

Und Wenger?

Wenger ist ein anderer Typ als Mourinho. Er ist unglaublich lange im Geschäft, und das merkt man. Er ist ein Mann mit großem Charisma.

Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal der Olgastraße in Gelsenkirchen-Bismarck?

Vor dem Länderspiel gegen Tschechien. Ich bin gerne dort. Ist ein Stück Heimat. Man darf nicht vergessen, wo man herkommt. Der Affenkäfig (Bolzplatz in der Straße, d. Red.) sieht aber ganz schön einsam aus, da spielen kaum noch Kinder. Schade.

Wie war das, als Sie klein waren?

Es gab nur Fußball für uns, von morgens bis abends. Wir haben alles andere um uns herum vergessen und oft so lange gespielt, bis man den Ball nicht mehr sehen konnte. Es gab sogar eine richtige Straßenmeisterschaft.

Wer waren die härtesten Gegner?

Die Älteren. Also mein Bruder und seine Freunde. Da gab es meistens auf die Mütze.

Baris Ciftci, ein Jugendfreund von Ihnen, erzählte uns, dass Sie schon damals die Fouls an Ihnen mit buddhistischer Ruhe ertragen haben. Warum haben Sie sich nie gewehrt?

Mein Bruder und seine Jungs sind ja vier oder fünf Jahre älter. Ich hatte krassen Respekt vor denen. Aber natürlich habe ich manchmal gedacht: Jetzt revanchierst du dich mal, aber im nächsten Moment hatte ich Sorge, dass ich von denen dann ordentlich Haue bekomme. Hart waren auch die Duelle, die wir gemeinsam gegen die Teams aus angrenzenden Stadtteilen austrugen. Gegen Bulmke-Hüllen zum Beispiel. Die Verlierer mussten den Gewinnern Döner ausgeben. Was nicht immer zu unserem Vorteil war (lacht).

Warum?

Weil Mutlu (Özils Bruder, d. Red.) und ich nur fünf Mark Taschengeld im Monat bekamen – und die waren schnell weg, wenn wir verloren haben.

Was haben Sie aus den Bolzplatz-Tagen für Ihre Karriere mitgenommen?

Ich habe gelernt, dass man mit Spaß Fußball spielen muss. Ohne Druck. Es ist noch heute so, dass ich wirklich gut bin, wenn ich spiele, als ob ich kicken würde. Wie damals im Affenkäfig.

Würden Sie gerne mal wieder kicken?

Ich will am liebsten immer kicken. Selbst wenn ich meinem Bruder in der Kreisliga zuschaue. Da juckt der Fuß schon, sobald ein Ball neben mir ins Aus rollt. Schlimm ist es auch im Urlaub. Da vermisse ich den Fußball oft.

Sie sind heute Multimillionär, betonen aber oft, dass Sie Ihre Wurzeln nicht vergessen wollen. Mal ehrlich: Ist das überhaupt möglich?

Wir haben uns damals auf dem Bolzplatz geschworen: Wenn es einer von uns ganz nach oben schafft, nimmt er die anderen mit. Und so habe ich es gemacht. Ich habe meine Freunde nicht vergessen. Einige von ihnen arbeiten heute in meiner Firma (Özil Marketing GmbH, d. Red.).

"Meine Freunde wissen alles über Fußball"

Haben Ihre Freunde die fachliche Kompetenz für eine Berater-Tätigkeit?

Sie wissen alles über Fußball. Und viele fachliche Dinge haben sie schnell gelernt, etwa von meinem Berater. Außerdem war mir wichtig, dass sie in meiner Nähe bleiben. Das macht auch mich besser. Ein Beispiel: Wenn wir früher gemeinsam in den Urlaub fahren wollten, musste ich immer hoffen, dass meine Freunde frei bekommen. Andere hatten nicht das nötige Geld oder ihnen wurde gekündigt, obwohl sie fleißig waren und gute Arbeit gemacht haben. Ich wollte, dass sich niemand sorgen muss.

2006 wurden Sie Profi beim FC Schalke 04. Wissen Sie noch, was Sie sich von Ihrem ersten Gehalt gekauft haben?

Eine Handtasche für meine Mutter. Sie war immer für mich da. Ich wollte sie glücklich machen.

Zuvor sind Sie durch die Jugendschule beim U19-Coach Norbert Elgert gegangen. Mit ihm stehen Sie immer noch in Kontakt. Warum ist Elgert so wichtig für Sie gewesen?

Ich bin ihm einfach sehr dankbar. Er war der erste Trainer, der mich taktisch geschult und mir Ehrgeiz vermittelt hat. Außerdem ist er ein guter Typ. Er hatte immer so geile Sprüche parat, sagte ständig: „Du musst geduldig ungeduldig sein.“ Am Anfang dachte ich: „Was will er? Verstehe ich nicht!“ Aber im Nachhinein checkst du das schon.

Elgert sagt, Sie sollen damals schon von Real Madrid und Arsenal geträumt haben. Hatten Sie eine Vision?

Ich bin in Gelsenkirchen aufgewachsen, und natürlich war Schalke mein Lieblingsklub. Alle in der Olgastraße träumten davon, dort eines Tages Profi zu werden. Und dann spinnt man die Geschichte natürlich weiter. Was wäre, wenn ich es wirklich schaffe? Arsenal fand ich toll wegen Dennis Bergkamp oder Thierry Henry. Und Real Madrid ist einfach der größte Klub der Welt.

Fühlt man sich als Spieler dort nicht sehr klein?

Wenn du das erste Mal in die Kabine kommst oder das Stadion besichtigst, die Legenden-Bilder und all die Pokale siehst, dann denkst du schon: „Ok, krass!“ Aber das ist auch Ansporn. Du willst was erreichen. Eine Legende werden. Wie Kaka. Oder wie Zinédine Zidane.

Wie war Ihre erste Begegnung mit Zidane?

Ich war supernervös. Ich hatte vorher schon ein paar Interviews gegeben, in dem ich erzählt hatte, dass Zidane mein Vorbild ist. Meine Hände haben geschwitzt, aber er war total nett. Er sagte beim ersten Treffen: „Ich freue mich auf dich, denn ich sehe dir gerne beim Spielen zu“, was für mich unglaublich war. Manchmal trainierte er auch mit – und er hatte es immer noch drauf. Einmal applaudierte die ganze Mannschaft.

Was war geschehen?

Sergio Ramos hatte einen Pass über 80 Meter geschlagen, den Zidane einfach mit dem Fuß vom Himmel pflückte. Dann lag der Ball vor ihm und Sami (Khedira, d. Red.) kam angerannt. Zidane machte eine kurze schnelle Körpertäuschung und Sami rannte drei, vier Meter nach links. Bloß: Der Ball hatte sich keinen Zentimeter bewegt. Die ganze Mannschaft johlte und klatschte. Sami schien zunächst ein wenig angefressen, aber dann lachte und applaudierte er auch.

"In England gibt es kaum Security"

Sind Sie eigentlich durch den Fußball offener geworden?

Ich habe andere Kulturen und Sprachen kennengelernt und bin dafür sehr dankbar. Offen war ich aber immer und bin es auch heute noch. Zumindest wenn ich Leute um mich herum habe, denen ich vertraue, die ich kenne und mag. Es ist nur so, dass ich nicht alles an mich ranlasse.

Wie ist es, wenn Sie in einen neuen Verein kommen?

Der Wechsel nach Bremen war hart. Ich war nicht mal 20 Jahre alt und das erste Mal von zu Hause weg, ohne Freunde, ohne Familie. Damals bin ich häufig nach dem Training wieder nach Gelsenkirchen gefahren. Aber man wird ja reifer. Die nächsten Umzüge waren einfacher für mich. In Madrid wurde ich super aufgenommen. Auch bei Arsenal war es einfach für mich, zumal ich mit Per und Poldi (Mertesacker und Podolski, d. Red.) zwei Jungs gut kannte. Ich bin sehr selten ganz alleine, mein bester Freund Baris und mein Bruder Mutlu sind oft in London. Mein Cousin Serdar wohnt fast dauerhaft bei mir.

Können Sie denn abseits vom Fußball etwas unternehmen?

Wie meinen Sie das?

Sie werden überall erkannt. Schon wenn Sie in Ihrem Auto sitzen und an einer roten Ampel stehen, kommen die Fans angerannt. Oder haben Sie getönte Scheiben?

Die sind verboten. Aber das stört mich auch nicht. Ich mag diese Nähe.

Wirklich?

Ich war doch selbst mal Fan. In Madrid war vieles anonymer und distanzierter, die Polizei hat alle Straßen um das Stadion abgeriegelt. In England liegen die Stadien direkt in den Wohngegenden, und es gibt kaum Security.

Herr Özil, sprechen wir zum Abschluss noch über eine besondere Nummer.

Die Zehn?

Seit Podolskis Rücktritt aus der Nationalmannschaft tragen Sie diese Nummer. Bei Arsenal könnten Sie die Zehn demnächst bekommen. Was ist so toll an dieser Zahl?

Die Zehn steckt voller Mythen. Große Legenden wie Pele oder Maradona haben sie getragen. Oder Zidane in der Nationalelf. Seit ich mich erinnere, wollte ich immer diese Nummer haben, schon damals in den Gelsenkirchener Jugendmannschaften.

Aber was macht diese Nummer mit Ihnen? Sie sehen ja während des Spiels nicht auf den Rücken.

(Überlegt) Das stimmt natürlich. Aber wenn man in die Kabine geht, und dann hängt da das Trikot mit der 10 und deinem Namen, dann sagst du dir natürlich: „Ah, okay. Läuft bei dir!“

- Das Interview führte Andreas Bock im Rahmen seiner Recherche für eine größere Geschichte über Mesut Özil für das Magazin "11 Freunde".

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