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Paralympics 2008 - Hu empfängt Craven

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Interview mit Philip Craven: "Das ist keine Show"

Philip Craven ist seit 2001 Vorsitzender des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC). Als Rollstuhlbasketballer nahm der Engländer selbst fünfmal an Behindertenspielen teil. Im Interview mit dem Tagesspiegel erklärt der 58-Jährige, warum er die Paralympics in Peking "einfach fantastisch" findet.

Es gibt bisher sehr viele Höhepunkte bei diesen Paralympics. Was war für den Präsidenten der Paralympischen Bewegung der schönste Moment?

Vier Tage bevor die Spiele angefangen haben, hat ein Freund zu mir gesagt: Es sind die großartigsten Paralympics aller Zeiten. Ich habe ihn gefragt, wie kannst du das jetzt schon sagen? Er sagte, es liegt in der Luft, ich kann es spüren. Tatsächlich: Die Eröffnungszeremonie war unglaublich, und vor drei Tagen bin ich das erste Mal ins Nationalstadion gekommen – da saßen 90 000 Zuschauer. Ich sah die 5000 Meter für blinde Läufer. Der Chinese Zhang Zhen überholte den Weltrekordinhaber Henry Wanyoike aus Kenia - und das Dach im Stadion wackelte vor Lärm. Es ist einfach fantastisch, was hier passiert.

Es passieren aber auch nicht so fantastische Dinge. Die Webseite des Tischtennisspieler Rainer Schmidt ist in China nicht zu erreichen, außerhalb schon. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich habe keine Erklärung. Ich weiß, dass die Webseite des IPC nicht geblockt ist. Ich habe auch keine Probleme, wenn ich zum Beispiel auf die Webseite meiner Bank in Schottland und in Frankreich gehe. Und ich bin sicher, dass sie für mich im Internet keine spezielle Ausnahme machen.

Rainer Schmidts Webseite ist eindeutig geblockt. Müssen Athleten bei Paralympischen Spielen nicht auch auf ihre eigenen Webseiten zugreifen können?

Natürlich wäre das schön. Aber wir sind hier, um eine riesige Sportveranstaltung namens Paralympics zu organisieren, wir sind keine Organisation, die sich um Webseiten kümmert. Es ist kein Thema, dem ich viel Aufmerksamkeit zuwende, wenn ich einen 18 bis 20 Stunden langen Tag habe.

Vor den Olympischen Spielen war die Zensur ein großes Thema…

…vielleicht war es das, aber es ist keines bei den Paralympischen Spielen. Außerdem habe ich von diesem Fall bis zum heutigen Tag nicht gehört.

Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele durfte ein Mädchen nicht singen, weil es nicht schön genug war. Einige Wochen später zeigt sich China bei den Paralympischen Spielen plötzlich offen für jede Art des Aussehens. Glauben Sie diese plötzliche Wandlung?

Ich kommentiere nicht die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. Aber was ich sagen kann: Ist es nicht wundervoll, wenn es eine Öffnung des Geistes gibt - und wenn die Paralympischen Spiele das bewirkt haben?

Ist diese Öffnung in China dauerhaft?

Das glaube ich. Während der Olympischen Spiele haben die Leute gesagt: China will in beiden Spielen nur Platz eins im Medaillenspiegel erreichen, und wenn die Spiele erst einmal vorbei sind, wird das Interesse am Sport wieder nachlassen. Diese Leute haben zu viele westliche Artikel über China gelesen. Das wird nicht passieren, wir haben hier eine unglaubliche Öffnung des Geistes und des Landes gesehen.

Beschränkt sich diese Öffnung nicht nur auf Peking?

Paralympics - Philip Craven
Hochzufrieden Craven ist davon überzeugt, derzeit in China die besten Paralympics aller Zeiten zu erleben.

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Es passiert nicht nur in Peking, sondern auch in vielen Städten im ganzen Land. Und zwar schon seit einigen Jahren. Ich habe einen Bericht erhalten von Dimitri Tschernyschenko, dem Vorsitzenden des Organisationskomitees der Winterspiele in Sotschi 2014. Er hat viele Städte in China besucht, die bei diesen Spielen keine Wettbewerbe organisiert haben. Er war begeistert, wie die Paralympischen Spiele das Land verändert haben. Er hofft auf einen ähnlichen Effekt in Russland. Oder glauben Sie, die Dinge außerhalb Chinas wären perfekt?

Natürlich nicht.

Wissen Sie, im Jahr 2005 habe ich auf einem Flug von Manchester nach Genf eine Stewardess gefragt, ob ich in der ersten Reihe sitzen könnte. Die Dame hat geantwortet: Die Economy Klasse beginnt ab Reihe sieben. Sie hat nie mein Ticket angesehen, um zu schauen, dass ich ein Ticket für die Business-Klasse hatte. Weil ich in einem Rollstuhl sitze, hat sie angenommen, dass ich Economy-Klasse gebucht habe. Es ist überall dasselbe in der Welt, man sollte sich nicht auf China konzentrieren. Die Fortschritte hier sind unglaublich, und sie sind sicherlich dauerhaft.

Was macht Sie so sicher?

Ich war hier 16 oder 17 Mal, ich habe die jungen Leute getroffen und mit ihnen gesprochen über viele Themen. Sie sind extrem offen, und haben mir ihre Meinungen über alles Mögliche gesagt. Seien Sie versichert, dass ich hier Menschen getroffen habe, die nicht nur zu mir geschickt worden sind, um mir einen falschen Eindruck zu vermitteln. Seien Sie versichert, dass sich China öffnet.

Warum sind dann außerhalb dieser Spiele immer wieder Geschichten zu hören, die ein behindertenunfreundliches Bild von China vermitteln?

Ein Wechsel kann nur von innen angegangen werden. Dazu muss man in einem Land sein. Diese Paralympischen Spiele sind das Mittel, um Wahrnehmungen zu ändern und steigende Investitionen zu ermöglichen. Und das wird in der Zukunft passieren, davon bin ich überzeugt. Wir können dieses Interview in zehn Jahren wieder führen, dann können Sie mir erzählen, dass es nicht passiert ist. Aber im Moment bin ich sehr optimistisch. Auch aufgrund des Gefühls hier. Sie müssen das doch auch fühlen?

Wir sind nicht sicher, ob hier nicht eine zweifellos positive, aber große Show veranstaltet wird.

Das ist keine Show, die irgendetwas überdeckt. Die chinesische Regierung hätte nicht eine so große Investition in diese Spiele getätigt, wenn sie kein Interesse daran hätte, etwas zu ändern. Oder besser: Etwas voranzubringen.

Könnte es nicht sein, dass das Hauptanliegen der chinesischen Regierung ist, nach innen und außen ein gutes Bild abzugeben?

Da stimme ich Ihnen nicht zu. Es geht sehr weit darüber hinaus. China hat schon eine großartige Show bei den Olympischen Spielen geliefert, wofür sollte es noch die Paralympischen Spiele benötigen?

Weil es auch ein große internationale Veranstaltung ist?

Das war es zuvor nicht. Die Veranstalter haben so viel darin investiert, weil sie daran glauben. Sie hatten die Show, sie brauchten keine zweite Show. Sie suchen etwas Außergewöhnliches hier. 

Was sind ihre Visionen für den paralympischen Sport?

Diesen Startschuss in nachhaltiges Wachstum, wie ich die Spiele in Peking nennen würde, müssen wir nutzen. Diese Investition in Zeit und Geld muss weitergehen. Unsere Vision aber bleibt dieselbe: Paralympischen Athleten die Möglichkeit zu geben, in ihrem Sport außergewöhnliche Leistungen zu bringen. Und damit die Welt zu inspirieren.


Das Gespräch führten Joanna Bartlett, Simona Bianco und Benedikt Voigt

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