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Milan Sasic

© firo Sportphoto

Interview über MSV-Trainer Sasic: "Der Geist des Milan ist immer noch da"

Vom Bauarbeiter zum Pokalfinalisten: Der Aufstieg von Duisburgs Trainer Milan Sasic begann in der Kreisliga B – ein ehemaliger Spieler der DJK Gebhardshain/Steinebach erinnert sich.

Herr Gross, haben Sie einen Lieblingsklub?

Ja, den FC Bayern München. Einen anderen hat es nie gegeben.

Was ist mit dem MSV Duisburg?

Zum MSV hatte ich nie eine Verbindung. Inzwischen guckt man natürlich genauer hin, weil man da einen kennt. Und im Pokalfinale gegen Schalke, da halten wir alle zu Milan Sasic – außer den paar Schalke- Fans, die wir hier in Gebhardshain haben. Er war zwar nur ein Jahr hier, aber der Geist des Milan ist immer noch da. Wir sind alle unheimlich stolz auf ihn.

Vor 17 Jahren hat Sasic Ihr Team, die DJK Gebhardshain/Steinebach, trainiert. Erinnern Sie sich noch an die erste Begegnung?

Ja, das war in der Turnhalle in Gebhardshain. Es hieß, der neue Trainer wird vorgestellt, und da stand Sasic plötzlich vor uns. Der Wirt vom Westerwälder Hof hatte ihn, woher auch immer, nach Gebhardshain geholt. Vor kurzem hat er erzählt, dass er Milan ein bisschen überrumpelt hat. Der wollte eigentlich gar nicht, hat sich aber breitschlagen lassen.

Ihre Mannschaft spielte in der Kreisliga B des Fußballkreises Westerwald-Sieg. Es heißt, Sasic sei davon ausgegangen, ein höherklassiges Team zu übernehmen.

Das halte ich für ein Gerücht. Bei dem, was Milan bei uns bekommen hat, konnte er gar nicht davon ausgehen, dass wir in der Oberliga spielen. Und dass er mit uns zweimal am Tag trainieren wollte und nicht nur zweimal in der Woche – das ist eine schöne Medienerfindung. Das wäre gar nicht gegangen.

Warum nicht?

Milan hat damals als Lkw-Fahrer in einem Straßenbaubetrieb gearbeitet. Der war beruflich eingespannt. Und ihm muss schon beim ersten Training klar gewesen sein, dass das Umfeld alles andere als professionell ist. Wobei es nicht stimmt, dass wir beim Training geraucht haben oder bei Spielen ein Kasten Bier in unserer Kabine stand. Das habe ich irgendwo gelesen.

Bei wem war denn das Erstaunen größer: bei den Spielern oder bei Milan Sasic?

Ich glaube bei uns. Normalerweise haben wir in der Winterpause nur so zum Spaß in der Halle gekickt. Milan hat zu unser aller Überraschung gleich ein richtiges Training durchgezogen. Mit Warmlaufen, Pulsmessen, gymnastischen Übungen. Das war für uns schon etwas exotisch.

Wann haben Sie denn mitbekommen, dass Sasic in Jugoslawien schon professionell als Trainer gearbeitet hatte?

Wir haben gar nichts von ihm gewusst, und er sprach auch noch nicht besonders gut Deutsch. Erst nach und nach ist durchgesickert, dass Milan im Bürgerkrieg alles verloren hatte. Man sah ihm an, dass er nicht reich war. Er kam in einem klapprigen Kadett, nein, in einem sehr klapprigen Kadett. Aber Milan hat nie gejammert.

War Ihnen schon nach der ersten Trainingseinheit klar, dass Sasic eigentlich zu gut ist für die Kreisliga B?

Nein, es war nicht absehbar, dass wir da einen Bundesligatrainer vor uns haben. Ich bin nach dem Training nach Hause gekommen und habe zu meinem Bruder gesagt: „Oje, was haben die denn da für einen an Land gezogen? Der kann kaum Deutsch und versucht, uns Gymnastik beizubringen.“ Nach ein paar Wochen hat sich aber gezeigt, welche Ausstrahlung Milan besitzt und was er uns vermitteln kann.

Wie machte sich das bemerkbar?

Zur Halbserie waren wir Siebter mit großem Rückstand zur Tabellenspitze, dann haben wir bis Saisonende kein Spiel mehr verloren. Milan hat alle Leute unter einen Hut gepackt, auch die Problemfälle, die etwas luschig und undiszipliniert waren. Er hat die Mannschaft in seinen Bann gezogen und es irgendwie geschafft, aus uns ein Team zu formieren. Entscheidend war, dass Milan uns Disziplin vorgelebt hat. Er war immer da, er war immer pünktlich, und er war immer vorbereitet.

Welche Idee hatte er vom Fußball?

Er wollte eine relativ gute Ordnung auf dem Platz haben, wir sollten die Positionen besetzen, und es war ihm wichtig, dass die Bälle sinnvoll von hinten herausgespielt werden. Ein bisschen wie bei van Gaal. Und er wollte Aggressivität sehen. Ich habe noch seinen Spruch im Ohr: „Auch eine Ecke ist ein Abschluss.“ Wir sollten die Bälle nicht endlos hin- und herschieben, sondern lieber schießen – auch wenn nur eine Ecke dabei heraussprang.

Wie sah Sasics Training aus?

Er hat kein Zaubertraining abgehalten, aber er hat jedem Spieler klipp und klar gesagt, was er wollte. Wenn Milan etwas Bestimmtes sehen wollte, hat er das durchgezogen. Wir haben auf Asche trainiert, sogar auf einem sehr schlechten Aschenplatz. Da ist es doppelt schwierig, weil die Bälle hoppeln. Aber dann hat er uns eben eine Stunde lang immer dieselbe Übung machen lassen, bis wir zumindest ein paar Mal das hinbekommen hatten, was ihm vorschwebte: dass der Ball vernünftig läuft und wir uns vernünftig bewegen.

Hat die Mannschaft Sasic manchmal in die Verzweiflung getrieben?

Ja, klar. Wir waren ja alle Freizeitfußballer, bei uns hat keiner für Geld gespielt. Wenn etwas nicht so klappte, wie Milan sich das vorstellte, konnte er sich da richtig reinsteigern. Ich erinnere mich an unser zweites Spiel mit ihm, wir führten auswärts nach zehn Minuten 2:0, trotzdem ist er mit seinem kaputten Knie die Linie rauf und runter gerannt. Jeder Ball wurde von außen kommentiert. Ich war damals Kapitän und habe gesagt: „Mir führen 2:0, mir haben das Spiel im Griff. Halt doch mal die Klappe!“ Fünf Sekunden später: Auswechslung, ich musste raus. In der Pause hat sich dann noch jemand erdreistet, während seiner Halbzeitansprache etwas zu sagen. Er hatte eine Trinkflasche in der Hand, die flog dann gegen die Kachel und platzte. Wir haben übrigens 4:0 gewonnen.

Und wie ist die Sache für Sie ausgegangen?

In der Woche danach holte er mich vor dem Spiel in sein Auto und sagte: „Ridiger“, das Ü konnte er nicht aussprechen, „ich muss wahren Gesicht vor Mannschaft. Du nicht spielen von Anfang an.“ „Okay“, habe ich geantwortet. „Aber du kannst auch nicht jeden Ball kommentieren. Du machst uns ja verrückt.“ Ich habe dann die erste Halbzeit auf der Bank gesessen, wurde eingewechselt – und damit war das Thema erledigt. Es war aber auch bei der Mannschaft klar: Der zieht sein Ding durch. Der wechselt auch einen aus, der eigentlich nicht ausgewechselt wird.

Haben Sie sich mal überfordert gefühlt?

Schwer zu sagen. Ich hatte in der Saison zuvor noch vier Klassen höher in der Verbandsliga gespielt. Für mich war es nicht so schwierig. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass Milan Unglaubliches von uns verlangt hat. Rhetorisch wurde er immer besser. Er machte super Ansprachen. Milan war ein Motivationskünstler, das ist er ja heute, glaube ich, immer noch. Er hat aus einer guten B-Klassenmannschaft eine Top-B-Klassenmannschaft gemacht. Den Ersten haben wir zwar nicht mehr gepackt, aber über die Relegation sind wir noch in die A-Klasse aufgestiegen.

Wie ging es dann weiter?

Irgendwann zeichnete sich ab, dass Milan bei uns an Grenzen stieß. In der Rückrunde hat er den Verein verlassen, das ging alles relativ schnell. Er hat es nicht ertragen, dass ein paar von uns in ihre alten Rollen zurückgefallen sind. Milan war extrem erfolgsorientiert. Das hat ihn wahrscheinlich auch so weit gebracht hat.

Wenn Sie Milan Sasic heute im Fernsehen sehen, erkennen Sie an ihm noch etwas, das Ihnen bekannt vorkommt?

Er ist ein bisschen pummeliger geworden (lacht). Aber wenn er an der Seitenlinie steht, die Arme verschränkt und so ein bisschen verschmitzt grinst – diese Haltung kenne ich gut. Das ist nur eine Fassade, in ihm brodelt es dann. Der Vulkan ist noch nicht erloschen.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns.

Rüdiger Gross, 43, war Kapitän der DJK Gebhardshain/Steinebach, als Milan Sasic dort 1994 Trainer wurde. Gross lebt mit seiner Familie noch immer in Gebhardshain.

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