zum Hauptinhalt
Britta Steffen

© Tsp

Interview: ''Wir sollten wieder im Badeanzug schwimmen''

Sie ist Deutschlands Sportstar des Jahres. Britta Steffen hält sich dennoch bewusst zurück. Der Tagesspiegel sprach mit der Schwimmerin über Nachhaltigkeit und ihre Zukunftspläne.

Frau Steffen, was wollen Sie mal werden?



Mal sehen, was ich später mache. Im Moment bin ich Schwimmerin und Studentin.

Sie studieren Wirtschaftsingenieurswesen für Umwelt in Berlin. Was lernen Sie da genau?

In den letzten Wochen saß ich oft im Labor. Dort habe ich mir verschiedene Bakterien- und Hefekulturen unter dem Mikroskop angeschaut und ihre Eigenschaften studiert. Manche Bakterien können zum Beispiel das Grundwasser reinigen. Leuchtbakterien wiederum …

Leuchtbakterien?

Ja, vor kurzem haben wir einen Leuchtbakterientest gemacht. Dabei gibt man verschiedene Bakterienkulturen in eine Kochsalzlösung, ein paar davon leuchten, wenn sie leben. Dann werden Umweltgifte wie Cadmiumchlorid eingefüllt, und man kann beobachten, wie lange die Bakterien leuchten und ab wann sie sterben.

Frau Steffen, eigentlich wollten wir mit Ihnen über Nachhaltigkeit reden.

Aber darum geht es gerade. Anhand der Leuchtbakterien kann man lernen, bis zu welchem Punkt sich die Umwelt selbst regenerieren kann. Wenn der Punkt überschritten wird, kann man das Wasser nicht mehr trinken.

Studieren Sie das, weil Sie schon mal in dreckigem Wasser schwimmen mussten?

Ich bin doch keine Leuchtbakterie (lacht). Und man trinkt als Schwimmer das Wasser nicht. Aber man schmeckt es auf den Lippen. Einmal war es wirklich eklig, bei einer Europameisterschaft in Moskau. Andere Schwimmer hatten mich schon vorher gewarnt: Schlucke da keinen Tropfen, die haben erst vor ein paar Wochen die Algen von den Kacheln gekratzt. So war es: Das hat geschmeckt wie Abwaschwasser. Aber sonst schwimmen wir immer in sauberem, verchlortem, mit Ozon gereinigtem Wasser.

Kann es sein, dass gerade die deutschen Schwimmer beim Wasser überempfindlich sind? Mal ist es ihnen zu hart oder zu weich, mal zu warm oder zu kalt.

Schwimmer sind nun mal empfindlich, denn Temperatur und Härte des Wassers haben Einfluss auf das Gefühl beim Schwimmen. Normalerweise würde das nicht so auffallen, aber weil in diesem Jahr bei uns Deutschen die Leistungen nicht gestimmt haben, kommt das hypersensibel rüber.

Jetzt ist der neue Schwimmanzug der Konkurrenz an allem schuld …

Die Lage ist ja auch verzwickt. In diesem Jahr sind plötzlich mehr als 100 Weltrekorde gebrochen worden. Die Entwicklung der Schwimmanzüge ist in diesem Jahr rasant vorangeschritten, und zwar bei allen Herstellern.

Nach massiven Beschwerden deutscher Schwimmer hat nun Adidas seinen Ausrüstervertrag gekündigt.

Wen wundert’s? Adidas hat in kürzester Zeit und noch vor Olympia einen Anzug entwickelt, mit dem ich immerhin Olympiasiegerin geworden bin. Mein Vertrag ist auch nicht gekündigt worden. Was glauben Sie, was vor den Olympischen Spielen in Peking los war? Da raunten sich alle am Beckenrand zu: Wenn du nicht mit einem anderen Anzug schwimmst, hast du keine Chance. Ich habe das Gegenteil bewiesen. Vielleicht haben sich andere verunsichern lassen. Ich aber sage: Man muss immer noch selbst schwimmen. Man muss sich auf sich selbst besinnen.

Stört es Sie, dass der Sport immer schnell lebiger wird?

Wenn ich überlege, welchen Wert für mich der Weltrekord über 100 Meter Kraul vor zwei Jahren in Budapest hatte, wie groß ich mich damals gefühlt habe, dann frage ich mich: Kann man sich heute über diese Rekordflut freuen? Ich finde diese Inflation eher traurig.

Haben Sie den neuen Anzug schon einmal probiert?

Ich muss jetzt mal richtigstellen, dass die Begriffe alt und neu nicht stimmen. Mein Anzug ist sechs Wochen vor Olympia fertig geworden, da kann man kaum von einem alten Anzug reden. In der aktuellen Diskussion geht es um die Zulassung verschiedener Materialien. Ich bin 2001, als ich es nicht zur EM geschafft hatte, einmal bei einem Freiwasser-Event mitgeschwommen. Dort hatte ich einen Neoprenanzug an, der hatte einen unglaublichen Auftrieb. Darin hat man zwar auch nicht mehr Kraft als sonst, aber der eigene Körper fühlt sich zehn Kilogramm leichter an.

Also ist man schneller.

Bei einem Neoprenanzug sind andere Schwimmfähigkeiten gefragt. Augenscheinlich verschafft dieses Material Auftrieb, und der Welt-Schwimmverband muss jetzt entscheiden, ob dieser Vorteil zur Wettbewerbsverzerrung führt. Wenn dieses Material einem wirklich Vorteile verschafft, hätte man die neuen Anzüge gar nicht erst zulassen dürfen. Ich bin gespannt, wie der Welt- Schwimmverband aus dieser Nummer wieder herauskommen möchte.

Wird Schwimmen nicht langsam absurd? Früher ging es darum, wer am Ende der Bahn als Erster anschlägt. Inzwischen wird über Anzüge und Härtegrade von Wasser diskutiert.

Mich würde mal interessieren, was passiert, wenn alle im Badeanzug schwimmen. Das wäre wieder ehrliches Schwimmen: ein Wettkampf mit den Besten der Welt über 100 Meter Kraul in einfachen Badeanzügen.

Zurück zu den Wurzeln! Nieder mit dem Fortschritt!

Jaja, ich kenne dieses Gegenargument: Das Leben entwickelt sich doch weiter, niemand hämmert doch mehr auf einer Schreibmaschine herum. Aber jeder Fortschritt hat auch Nachteile. Ein normaler Badeanzug kostet 30 Euro, ein Hightech-Gerät 360 Euro. Wenn Sie fragen, ob Schwimmen absurd wird, dann frage ich zurück: Ist nicht unsere ganze Welt absurd?

Wie kommen Sie denn darauf?

Deutschland ist so ein reiches Land, und trotzdem gibt es krasse soziale Unterschiede. Und anderswo auf der Welt müssen die Menschen hungern. Wir geben einerseits so viel Geld für Unsinn aus, andernorts ist nicht mal das Nötigste da. Wir denken hier, wir hätten Wirtschaftsprobleme – dabei geht es uns doch so gut.

Das klingt alles sehr wohlfeil. Was tun Sie denn für Ihre bessere Welt?

Ich mach’ mein eigenes Ding, lebe bewusst. Das heißt: Ich besinne mich auf das, was wichtig ist im Leben. Viele Menschen fragen mich: Warum strengst du dich überhaupt so an mit deinem Sport, macht dir das überhaupt Spaß? Da sage ich: Weil es schön ist, wenn man nach dem Training mal richtig Hunger hat und sich etwas Gesundes zu essen kochen kann. Das ist doch besser, als sich schnell in der S-Bahn noch einen Burger in den Mund zu schieben, um irgendein dumpfes Gefühl zu überdecken. Mir geht es besser, wenn ich etwas im Bioladen einkaufe. Dort riecht es wie bei meiner Oma im Konsum. Das erinnert mich an meine Kindheit, und die war schön.

Viel Obst gab es im DDR-Konsum nicht.

Das stimmt. Aber wenn ich heute sehe, wie überladen alles ist und wie laut – ist das besser? Ich finde es erschreckend, wie wenig sich die Menschen an einfachen Dingen erfreuen können, wie selten sie von sich aus lachen. Manche Leute sind so aufgedreht, als wären sie auf Drogen, sie lachen nur noch über absurde Sachen. Viele sind übersatt.

Vielleicht empfinden andere das gar nicht so schlimm wie Sie.


Wenn man sieht, wie viele Ratgeber verkauft werden, merkt man doch: Die Menschen sind unsicher, was überhaupt noch zählt im Leben.

Und, was zählt im Leben?

Für mich zählt an allererster Stelle die Familie. Geteilte Freude ist eben doppelte Freude. Diese Olympischen Spiele waren mir nur so wichtig, weil ich meine Siege mit der Familie und meinen Freunden teilen konnte. Die kennen meinen Weg und wissen, was mir diese Goldmedaillen wert sind. Nur die unterschiedlichen Wege machen doch die Menschen in teressant.

Verbirgt sich hinter Ihrem Studium also eher die Suche nach etwas Werthaltigem?


In meinem Fach heißt das: Man darf die Umwelt nur so sehr strapazieren, dass sie sich wieder selbst regenerieren kann. Der Energiehunger wächst, die Bevölkerung wächst. Und zu selten stellen wir uns die Frage: Wo soll das eigentlich alles herkommen? Für mich heißt das: Ich nehme nur so viel weg, wie da ist.

Geht’s konkreter?


Ich lebe mein Leben so naturnah wie möglich. Ich beziehe Ökostrom und wasche nicht jeden Tag meine Pullover. Die ganzen Waschmittel gehen schließlich ins Grundwasser, genauso wie andere Chemikalien. Ich fahre Fahrrad, und wenn Auto, dann eins mit Hybridmotor.

Frau Steffen, kann Sport auch nachhaltig sein?

Ja klar. Ich dope nicht.

Einer Leistungsschwimmerin ist das schwer zu glauben.

Das weiß ich, aber ich kann nicht mehr tun, als mich andauernd kontrollieren zu lassen. Ich möchte nicht, dass der Sport so krankhafte Züge annimmt. Da spritzen sich Leute Epo, und dadurch wird ihr Blut so dick, dass sie sich nachts andauernd bewegen müssen.

Warum haben Sie nach Ihren Olympiasiegen nicht einfach aufgehört?


Jetzt kann ich es ja sagen: Eigentlich wollte ich aufhören. Aber es erhob sich nach dem ersten Sieg sofort ein Riesentamtam in der Öffentlichkeit, dass ich weitermachen soll. Im ersten Moment dachte ich: Etwas Größeres werde ich nicht mehr erreichen. Selbst wenn ich noch einmal Olympiasiegerin werden sollte, hätte das nicht den gleichen Wert wie jetzt in Peking. Aber dann habe ich längerfristig gedacht.

Und sich für die Sponsorenverträge entschieden ...

Nein, mir wurde klar: Ich habe jetzt noch 70 Jahre Leben vor mir. Was also mache ich mit der Zeit? Im Studium merke ich, dass ich dort wohl niemals zu den Besten der Welt zählen werde. Da haben sich manche schon als Kinder ein technisches Verständnis erworben, das ich wohl nicht wettmachen kann. Ich habe mit dem Schwimmen das gefunden, was ich am allerbesten kann.

Aber es gibt keine wertvollere Medaille mehr für Sie zu gewinnen.

Mein Trainer hat immer gesagt: Wenn du keinen Bock mehr hast, kannst du nach Hause gehen. Jetzt habe ich keinen Druck mehr, und genau deshalb habe ich wieder Bock, etwas anderes zu gewinnen. Ein Weltmeistertitel fehlt mir noch, die Chance gibt es 2009. Aber ich bleibe locker, ich habe im letzten halben Jahr nur einmal am Tag trainiert.

Warum?

Sport ist mein Hobby, nicht mein Leben. Gerade war die Fachhochschule wichtiger. Im Dezember hatte ich einige Blockseminare und musste zu Hause Protokolle schreiben, da blieb nicht viel Zeit. Im Januar stehen noch drei Klausuren an, aber ich werde dann wieder zweimal täglich trainieren. Wenn ich die Klausuren überstanden habe, fehlen mir noch zwei Semester und die Bachelor-Arbeit.

Und was kommt dann?

Ich würde gern im sozialen Bereich arbeiten, etwa mit Kindern aus problematischen Familien. Die könnte ich zu Hause abholen und mit ihnen gemeinsam Schwimmen trainieren oder etwas tun, was ihnen sonst Spaß macht. Ich bin Schirmherrin des Projektes Lichtpunkte, das sich um die Förderung von Kindern kümmert. Viele Kinder aus sozial schwachen Familien bekommen zu selten Gelegenheit zur Entfaltung. Bis sie 12 sind, werden sie bemitleidet, weil sie zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Aber wenn sie mit 13 oder 14 anfangen zu klauen, sind sie plötzlich nicht mehr Opfer, sondern Täter, mit denen keiner mehr etwas zu tun haben möchte. Hier würde ich gerne ansetzen, Hilfe anbieten. Aber vielleicht stelle ich mir das zu einfach vor. Dazu neige ich gelegentlich.

Wer sagt das? Ihre Eltern?


Ich habe sehr engen Kontakt mit meinen Eltern, wir waren im Herbst gemeinsam auf Usedom. Ich denke, dass sie mir sagen würden, wenn ich mich negativ verändere oder zu sehr träume. Im neuen Jahr würde ich gern wieder öfter bei ihnen sein. Am Telefon redet es sich nicht so gut wie am Tisch beim Kirschkuchen.

Worüber wollen Sie denn reden? Über Enkelkinder?


Vielleicht. Zunächst einmal möchte ich meine Eltern besser kennenlernen. Ich weiß zu wenig darüber, wie ihr Leben früher aussah. Und das will ich doch den Enkelkindern einmal weitergeben. Wenn wir zusammen die alten Familienfilme sehen und ich entdecke dort meinen Bruder, wie er noch ganz klein ist, dann könnte ich heulen.

Sie sind altmodisch, oder?


Ja. Ist doch schön.

Das Gespräch führte Robert Ide.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false